Essen. Am Donnerstag bricht Jonas Deichmann zu seinem größten Projekt auf. Er wird 120 Triathlon-Langdistanzen nacheinander absolvieren.
Zu seinem Arbeitsgerät pflegt Jonas Deichmann zuweilen ein inniges, gar intimes Verhältnis. Das Rad, mit dem er vor rund dreieinhalb Jahren die größte und längste Teildisziplin bei seinem Triathlon um die Welt zurücklegte, nannte er liebevoll „Esposa“ (spanisch für „Gattin“). Schließlich hatte er auf dem hoch entwickelten Reiserad die meiste Zeit seiner anderthalb Jahre dauernden Reise verbracht. Auf diese Obsession für Materielles reagierten viele Menschen mit einem verständnislosen Kopfschütteln. Wie auf das meiste, das sie vom Extremsportler aus Stuttgart mitbekommen. Bei dessen nächster Herausforderung ist das nicht anders.
Denn schon das bloße Zahlenwerk von Deichmanns nächstem Projekt flößt Respekt ein: In 120 Tagen will der 37-Jährige 120 Triathlon-Langdistanzen absolvieren. Ohne Pausentag. Pro Tag sind das 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer auf dem Rad und ein Marathonlauf von 42,195 Kilometern. In Summe wird Deichmann, der am Donnerstag aufbricht und am 5. September fertig sein will, 456 Kilometer im Wasser verbringen, 21.600 Kilometer radeln und mehr als 5000 Kilometer laufen. Zwölf Stunden, so seine Rechnung, wird er täglich unterwegs sein, Essenspausen eingerechnet.
Rekord liegt bei 105 Langdistanzen nacheinander
Noch nie hat es jemand geschafft, so viele Langdistanzen nacheinander hinter sich zu bringen, oder hat es sich noch niemand getraut? „Ich glaube, beides“, sagt Deichmann im Gespräch mit dieser Redaktion lachend. 105 Langdistanzen hat der simbabwische Extremsportler Sean Conway im vergangenen Jahr absolviert, Deichmann will ihn toppen. „Aber ich wollte jetzt nicht 106 machen, sondern 120. Das ist ja die Distanz, die ich bei meinem Triathlon um die Welt zurückgelegt habe.“
Den Feinschliff für das Projekt hat er sich im spanischen Girona geholt, zuletzt war er für die finalen Vorbereitungen im österreichischen Fuschl am See. Erst einen Tag vor dem Start wird er ins fränkische Roth reisen. Dort, so sagt man, schlägt das Herz der deutschen Triathlon-Szene, Deichmann wird auf dem Kurs der größten Triathlon-Veranstaltung der Welt jeden Tag dieselbe Strecke zurücklegen.
Deichmann begeistert und fasziniert mit seinen Projekten. Er ist Abenteurer, Extremsportler und mehrfacher Rekordhalter. Als erster Mensch umrundete er die Welt im Triathlon und legte dabei bereits das 120-fache einer Triathlon-Langdistanz zurück. Im vergangenen Jahr durchquerte er zweimal die USA - einmal mit dem Rad, einmal zu Fuß. Vom Nordkap in Norwegen bis zum Kap der Guten Hoffnung in Südafrika fuhr er mit dem Rad in 73 Tagen, auch das ist ein Rekord.
Aber wie verpackt sein Körper diese riesigen Strapazen?
Der könne sich an sehr viel anpassen, entgegnet Deichmann und verweist auf die Bedeutung seiner mentalen Fähigkeiten: „Ich bin ein bedingungsloser Optimist. Alles kann klappen, das visualisiere ich immer. Ich bin mir sicher, dass viele Leute mehr können, als sie sich selbst zutrauen.“ Auf die Frage, ob er einen Gedanken ans Scheitern verschwende, reagiert der 37-Jährige mit einer trockenen und aufgrund seiner Historie schwer zu beantwortenden Gegenfrage: „Warum sollte ich?“ Und schließt dann an: „Ich habe keinen Grund, ans Scheitern zu denken. Denn bisher habe ich alle meine Projekte geschafft. Ich zweifle nicht an mir.“
Deichmann hofft auf Rücksichtnahme
Die Wahl des Ortes ist kein Zufall. „Der Landkreis lebt für Triathlon, jeder Triathlet träumt davon, eines Tages dorthin zu gehen.“ Und: Deichmann spekuliert darauf, dass das Verständnis für das Projekt größer sein wird als andernorts. Denn die Radstrecke wird sich der Stuttgarter mit Autos und Motorrädern teilen. Gut möglich - und von Deichmann ausdrücklich gewünscht -, dass sich einige Triathletinnen und Triathleten dem mit einem Livetracker ausgestatteten Extremsportler anschließen und ihn einige Kilometer begleiten werden. „Ich wünsche mir Rücksichtnahme für das Projekt und hoffe gleichzeitig, dass die Autofahrer sich nicht genervt fühlen, wenn mal mehrere Radfahrer auf der Straße unterwegs sind.“
40 bis 50 Stunden hat Deichmann nach eigener Aussage pro Woche trainiert, aktuell sei er in der Form seines Lebens, könne den Start kaum erwarten. Den Start in 120 größtenteils einsame Tage, nur an einem wird er garantiert nicht allein auf seiner Rennstrecke sein. Denn die Challenge Roth, der größte Triathlon der Welt am 7. Juli, markiert die Halbzeit seiner eigenen Herausforderung, die er in Anlehnung an den Namen des Triathlon-Veranstalters „Challenge 120“ genannt hat. Traditionell ist das Rennen dort immer prominent besetzt. Deichmann wird in diesem Jahr einer der mehr als 3500 Einzelstarter sein und die Riesen-Show im deutschen Triathlon-Mekka „ergänzen“, wie er sagt.
„Da bin ich einfach ein Teilnehmer mit einer anderen Geschichte. Und ich hänge noch 60 Extra-Runden dran“, sagt er lachend. Wenige Tage vor dem Start in dieses knapp vier Monate dauernde Mammut-Projekt wirkt er entspannt. So, als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen. Dabei gäbe es doch einen Grund, aufgeregt zu sein: Für die „Challenge 120“ hat er ein neues Rad bekommen. Das alte wäre zu langsam gewesen, Deichmann peilt einen Schnitt von 35 km/h auf den 180 Kilometern an. „Das Rad, das ich jetzt fahre, ist eine richtig heiße Rennmaschine“, sagt er. Ob es auch der Beginn einer neuen großen Liebe ist? „Bestimmt.“