Essen. Markus Rehm ist bei den Laureus World Sports Awards als Behindertensportler des Jahres nominiert. Was den Prothesenspringer antreibt.
Markus Rehm hat dieser Tage einen besonderen Titel bejubelt. Nicht wie sonst in der Weitsprunggrube, sondern bei Instagram. „Well deserved“ – wohlverdient –, schrieb der weltbeste Prothesenspringer zu einem Bild der Fußball-Mannschaft von Bayer Leverkusen. Es war die erste Deutsche Meisterschaft für die Werkself. Für Markus Rehm ist sein erster nationaler Titel als Para-Athlet von Bayer Leverkusen schon eine ganze Weile her, 2010 war das. Doch die Freude über Erfolge, die Lust am Gewinnen, die spürt der 35-Jährige noch immer in jeder Faser.
Markus Rehm, dem nach einem Wakeboard-Unfall mit 14 Jahren der rechte Unterschenkel amputiert werden musste, hat im Para-Weitsprung alles gewonnen. Seit 2011 ist er bei internationalen Großereignissen ungeschlagen. Dreimal hat er Paralympics-Gold gewonnen. Nach so vielen Siegen – spürt man da überhaupt noch Druck? „Ich glaube definitiv, dass man entspannter ist“, sagt Markus Rehm. Er braucht diese Lockerheit. Sie macht ihn nicht überheblich – nur noch besser. Im vergangenen Jahr schnappte er sich seinen sechsten WM-Titel. Kurz zuvor hatte er seinen eigenen Weltrekord auf 8,72 Meter verbessert.
Dritte Nominierung bei den Laureus World Sports Awards
Nun ist der gebürtige Göppinger bei den Laureus World Sports Awards, die am Montag in Madrid verliehen werden, als bester Behindertensportler des Jahres nominiert. Es ist seine dritte Nominierung, er könnte in dieser Kategorie der zweite deutsche Preisträger nach der früheren Para-Biathletin Verena Bentele 2011 werden.
Für Rehm wäre die Auszeichnung der perfekte Start in eine besondere Saison. Im Mai kann er seine Superserie bei der WM in Kobe/Japan fortsetzen, im August bei den Paralympics in Paris. Bei den Gedanken an die Sommerspiele leuchten seine Augen. „London 2012 war von der Stimmung her unfassbar. Und ich habe das Gefühl, dass wir das in Paris vielleicht wieder erleben können.“
Markus Rehm hat lange darum gekämpft, sich auch auf der olympischen Bühne mit Athleten ohne Behinderung messen zu dürfen. Doch seine Klagen vor den Sportgerichten scheiterten. „Da ist keine Wehmut“, sagt er heute. „Die olympischen Spiele sind toll – aber meine paralympischen sind für mich nicht weniger wertvoll. Ich hätte nur gerne diese große Plattform für uns genutzt.“
Erfolgduo Markus Rehm und Ex-Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius
Er hat die Situation angenommen. Doch zwischendurch, da tat es weh. Seine Trainerin hat ihm durch diese Zeit geholfen. „Sie war immer eine wichtige Stütze für mich“, sagt Rehm, der sich weiterhin für mehr Inklusion bei internationalen Meetings stark macht.
Seit 2008 wird er von Steffi Nerius trainiert. Die ehemalige Speerwurf-Weltmeisterin und ihr Athlet sind gemeinsam in das Abenteuer Parasport aufgebrochen. „Sie hat mir nie etwas vorgeschrieben, sondern wir haben uns alles gemeinsam erarbeitet“, sagt Rehm. „Sie kann sehr direkt sein, damit muss man klarkommen. Aber ich glaube, mit einem anderen Coach wäre ich wohl nicht so weit gekommen wie mit ihr. Sie weiß ganz genau, was ich wann brauche.“
Trotz seiner vielen Erfolge – an Motivation mangelt es dem Orthopädietechniker-Meister nicht. Das hat auch mit seiner Herangehensweise zu tun. Er pflegt den Blick über den Tellerrand. „Ich brauche Impulse von außen“, sagt er. Manchmal ist es auch ein Ausflug in eine andere Welt: 2022 nahm er an Snowboardwettbewerben teil – erfolgreich.
In Leverkusen tauscht er sich oft mit Nachwuchsathleten aus. „Die haben mich durchanalysiert“, sagt er und lacht. In die Rolle als Mentor schlüpft der 35-Jährige immer mehr – und sie gefällt ihm. „Ich musste erstmal lernen, wie ich Dinge erkläre, die für mich selbstverständlich sind. Dabei habe ich dann auch meine Abläufe hinterfragt. Das ist toll und bringt mich auch weiter.“
Der Traum von den magischen neun Metern
Auch das gehört zu Markus Rehm: extremer Ehrgeiz. „Man sieht mich oft bei Wettkämpfen eher unzufrieden dreinblicken, obwohl ich führe“, sagt er. „Das liegt daran, dass ich weiß, was eigentlich noch möglich gewesen wäre.“
Die Grenzen seines Sports hat er längst verschoben. Doch der perfekte Sprung, auf den wartet er noch. Er ist die ultimative Sehnsucht. Wie die magische und bislang unerreichte Marke von neun Metern. Der Weltrekord des US-Amerikaners Mike Powell liegt seit 1991 bei 8,95 Metern. „Ab da fängt es an ganz groß zu werden“, sagt Rehm. Seine Trainerin wurde vergangenes Jahr deutlich. Neun Meter? „Ich glaube schon, dass er das schaffen kann“, sagte Nerius in einem Interview. „Das hat sie einfach frech rausgehauen“, sagt Rehm und lacht. „Aber seitdem hat das Ding einen Namen und manchmal muss man Ziele auch laut aussprechen, damit sie real werden.“
Markus Rehm spürt, was noch in ihm steckt. „Ich habe richtig Bock. Ich will noch sehr weit springen.“ Sein Ansporn ist es, „das Maximale aus mir herauszuholen. Das macht den Sport aus. Wir haben ans Limit zu gehen und herauszufinden, wo es ist – das ist es, was mich jedes Mal packt.“
Keine Geheimnisse um die Prothesentechnik
Dafür arbeitet er hart. Allerdings alles andere als geheim. „Wir laden alle zu uns ein, sich unsere Prothesen anzuschauen, ich gebe vielen Athleten Ratschläge“, sagt Rehm. „Ich lasse es nicht gelten, wenn jemand sagt, ich sei der Beste, nur weil ich das beste Material habe. Sicherlich ist das ein Faktor. Aber es kommt auf den Athleten an.“
Auch bei seinem Heimatverein Bayer Leverkusen reagiert man auf seine Ziele: Die Weitsprunggrube wurde extra für ihn verlängert. Ideale Bedingungen für etwas ganz Großes.