Peking. Die Formel 1 buhlt um den Erfolgsbringer von Red Bull. Die Zukunft von Adrian Newey hängt offenbar an der von Max Verstappen.

Am liebsten hat Adrian Newey ein Brett vor dem Kopf, ein möglichst großes. Damit seine Ideen für immer neue, immer schnellere Rennwagen auch den nötigen Raum bekommen. Wahlweise kann es auch ein Klemmbrett sein, mit dem er in der Startaufstellung vor einem Grand Prix durch die Reihen geht, begutachtend, was den Konkurrenten an aerodynamischen Lösungen eingefallen ist. Meistens aber ist es umgekehrt, orientiert sich der Rest der Formel 1 am „Herrn der Lüfte“: Der Brite in Diensten von Red Bull Racing ist nicht nur die bescheidenste Führungskraft in diesem Schaustellergewerbe, sondern auch die mit Abstand erfolgreichste. Mittlerweile 13 Fahrer- und 12 Konstrukteurs-Weltmeisterschaften gehen maßgeblich auf sein Konto. Was kann der 65-Jährige noch groß wollen? Vor allem eins: Seine Ruhe.

Die findet er bei dem hinter den Kulissen tobenden Machtkampf zwischen Briten und Österreichern immer seltener. Die Geschehnisse um Teamchef Christian Horner, die Duldung von Motorsportberater Helmut Marko, die Abwanderungsgedanken von Weltmeister Max Verstappen, all das stört ihn in seiner Konzentration aufs Wesentliche. Gelegentlich dürfte er froh sein, dass in seiner Materie Gefühle keine große Rolle spielen, von Konflikten mit dem technischen Regelwerk einmal abgesehen. Newey leidet, so ist es ihm zumindest anzusehen, körperlich unter den Spannungen. Daran ändert auch seine Gehaltsklasse im zweistelligen Millionenbereich nur wenig. Im Grübeln ist der stille Mann zwar brillant, aber es ist kein Dauerzustand für ihn, er hat lieber klare Pläne im Kopf.

Formel 1: Transfermarkt köchelt

So kommt es, dass er sich vor dem Großen Preis von China an diesem Wochenende auf dem ohnehin überkochenden Transfermarkt wiederfindet, als die wahre Königsfigur der Königsklasse. Dreimal hat er schon Angebote von Ferrari abgelehnt. Es zeugt von seiner Güteklasse, dass die so stolzen Italiener gerade zum vierten Mal nachgefragt haben. Eine zweite Offerte soll von Aston Martin vorliegen. Der Vorteil des Aufsteigerrennstalls ist vor allem geografischer Natur, denn Newey ist stark mit Großbritannien verwurzelt, und möchte Arbeits- und Lebensmittelpunkt auf Dauer nicht getrennt haben. Es ist die Qual der Wahl für den Guru, der jüngst öffentlich bedauert hatte, wie gern er einmal mit Lewis Hamilton oder Fernando Alonso zusammengearbeitet hätte. Hamilton fährt im kommenden Jahr in Rot, Alonso weiterhin in Grün. Das ist gleich mehrfach eine Verlockung.

Max Verstappen (l.) und Adrian Newey führten Red Bull von Erfolg zu Erfolg.
Max Verstappen (l.) und Adrian Newey führten Red Bull von Erfolg zu Erfolg. © Getty Images | Clive Mason

Raus aus einem Klima des Misstrauens, hin an einen Ort, wo seine Einzigartigkeit geschätzt wird. Adrian Neweys große Stärke ist, dass er den Beruf als Renningenieur von der Pike auf gelernt hat. Er kombiniert mechanisches Wissen mit technischer Routine und aerodynamischem Ideenreichtum. Auf den Mann ist Verlass, er baut zwar immer radikal an der Grenze des Machbaren, aber das macht dann auf der Strecke den Unterschied. Schnell und leicht bauen ist das eine, aber vor allem legt der Technische Direktor Wert darauf, dass seine Schöpfungen auch möglichst ästhetisch sind. Er ist versessen aufs Detail und ist eine Idee erstmal formuliert, weicht er in seiner Herangehensweise nicht davon ab. Anderen erklären kann der Mann, der schon im Religionsunterricht lieber Rennwagen gemalt hat, sein Tun oft selbst nicht. Es muss die Intuition sein, gepaart mit einer gewissen Genialität.

Mercedes will Newey und Verstappen holen

Ins Tauziehen um den Star-Designer hat sich nun auch Mercedes eingemischt. Wahrscheinlich ist, dass Newey seinem Schützling Verstappen folgen wird, was auch umgekehrt gelten dürfte. Der Niederländer, der einen bis 2028 laufenden Vertrag mit Ausstiegsklausel hat, behauptete kürzlich, in der kommenden Saison in jedem Fall noch für Red Bull zu fahren. Das würde dazu passen, dass Newey noch bis 2025 an seinen derzeitigen Arbeitgeber gebunden ist. Es geht da nicht nur um die Formel 1, sondern auch einen spektakulären Supersportwagen, der im Herbst an die zahlungskräftige Kundschaft ausgeliefert werden soll. Das Hypercar RB17 mit 1.100 PS zum Preis von gut sechs Millionen Franken wird unter Neweys Aufsicht bei Red Bull in Milton Keynes gebaut. Eine Art Krönung seiner technischen Karriere.

Aber allen ist auch klar, dass Adrian Newey schneller weg sein kann, wenn die Unzufriedenheit zu groß wird. Das ist das Privileg der Exzentriker, sie lassen sich kaum zwingen. Neweys Ehefrau Amanda, die traditionell die Verhandlungen führt und die Vertragssummen hochpokert, soll schon länger sauer auf Teamchef Horner sein. Dieser schätze ihren Gatten nicht genügend. Manchmal sind es tatsächlich solche persönlichen atmosphärischen Störungen, die ein Imperium zerbrechen lassen.