Dortmund. Borussia Dortmund erlebt dank außergewöhnlicher Moral einen berauschenden Abend. Nun hat man die Chance auf das Finale.
Nach einer kurzen Nacht, in der Hans-Joachim Watzke nach eigener Aussage bis um 5 Uhr in der Früh wachgelegen hatte, war Borussia Dortmunds Geschäftsführer am Mittwochvormittag schon wieder zu Terminen unterwegs. Das, was am Abend zuvor geschehen war, begleitete ihn aber noch immer. „Ich habe in der Vergangenheit selten glücklichere Gesichter gesehen“, sagte Watzke im Gespräch mit dieser Redaktion. „Das waren Eruptionen des Glücks.“ Ausgelöst durch den Halbfinal-Einzug in der Champions League.
Man konnte das besonders gut an Niclas Füllkrug studieren, der am Dienstag um kurz vor Mitternacht durch die Mixed Zone zu schweben schien.
BVB: Niclas Füllkrug gerät ins Schwärmen
Er könnte gerade ein Neunjähriger gewesen sein, der die nigelnagelneue Spielekonsole unter dem Weihnachtsbaum findet. Er könnte eben 16 geworden sein und festgestellt haben, dass ihm eine Mitschülerin schöne Augen machen möchte. Oder vielleicht Anfang 20, und man hat ihm gerade den Schlüssel für das erste eigene Auto in die Hand gedrückt.
Eigentlich aber ist er ja ein 31 Jahre alter gestandener Fußballprofi. Und trotzdem versprühte Füllkrug diese kindliche, unschuldige Freude. Mit jedem Satz wurde sein Lächeln breiter, die Stimme einen Hauch leiser, aber aufgeregter, so wie es ist, wenn man ins Schwärmen gerät.
„Für jemanden wie mich ist es heute noch einmal besonderer“, sagte Füllkrug. „Es gibt ein paar bei uns, die das schon erlebt haben.“ Er jedoch nicht. Der Angreifer fasste noch einmal zusammen, was an diesem denkwürdigen Abend geschehen war, es wirkte wie ein Selbstkneifen mit Worten. „Ich spiele jetzt Champions-League-Halbfinale mit Borussia Dortmund, habe sogar im Viertelfinale ein Tor geschossen“, sagte Füllkrug, der Spätstarter, der noch gar nicht so lange in der Bundesliga spielt.
BVB erlebt einen „magischen Abend“
Am Verhalten des früheren Stürmers von Werder Bremen ließ sich dieser berauschende Fußballabend, den der BVB sich selbst und seinen Fans geboten hat, bestens erkenenn. Mit 4:2 (2:0) besiegten die Dortmunder Atlético Madrid und stehen nach einem „magischen Abend“ (Füllkrug) zum vierten Mal in ihrer Geschichte in der Runde der letzten Vier.
„Es ist natürlich ein stolzer Tag für alle Borussen“, befand der Geschäftsführer noch im Stadion und bezeichnete das Viertelfinal-Rückspiel eine als „Achterbahnfahrt“. „Ich habe in der Nacht Nachrichten aus ganz Europa erhalten. Diese Anerkennung für den Erfolg unserer Mannschaft tut gut“, sagte der 64-Jährige dann dieser Redaktion.
Als Angel Correa in der 64. Minute zum 2:2 traf, schien es, als würde der von Watzke angesprochene Ritt abrupt enden. Julian Brandt (34.) und Ian Maatsen (39.) hatten zur Pause den BVB vom Halbfinale träumen lassen. Ein Eigentor von Mats Hummels (49.) holte Madrid ins Spiel zurück, der Ausgleich bahnte sich an und fiel kurz darauf.
Anschließend allerdings erlebten die Dortmunder Spielminuten, von denen sie noch lange erzählen werden. Angeführt vom teils bellinghamlesk aufspielenden Marcel Sabitzer, der praktisch jeden Job auf dem Rasen erledigte, zeigte der BVB unerschüttliches Selbstvertrauen, sodass man sich zwingend die Fragen stellen musste: Woher kann das in dieser wankelmütigen Saison überhaupt resultieren?
BVB: Marcel Sabitzer krönt einen herausragenden Auftritt
Womöglich von der ohrenbetäubenden Unterstützung der Fans. „Wenn du weißt: Dienstagabend, Champions League, 80.000 –davon träumst du als kleiner Junge. Wenn du das erleben kannst, läufst du Extra-Meter“, sagte Sabitzer. Zum Beispiel in die Tiefe, als er technisch brillant auf Füllkrug flankte, der zum 3:2 einköpfte (71.). Und die Krönung folgte beim 4:2, als Sabitzer selbst traf und den benötigten Zwei-Tore-Vorsprung herbeiführte.
Träumen, das war schon ein gutes Stichwort an diesem Abend, im flirrenden Hexenkessel Westfalenstadion, in dem es sogar die Zuschauer auf Haupt- und Gegentribüne von den Stühlen riss, die sich sonst eher vom Spiel und den Gesängen der Südtribüne berieseln lassen. „Jetzt gibt es nur noch ein Ziel: Wembley“, kündigte Füllkrug an.
BVB winken mehr als 20 Millionen Euro
Bevor der BVB wie vor elf Jahren nach London fliegen darf, muss er sich im Halbfinale noch Paris Saint-Germain auseinandersetzen. Weitere 12,5 Millionen Euro Einnahmen aus dem Topf der Europäischen Fußball-Union hat der Verein schon sicher, mehr als 20 Millionen Euro dürften es ingesamt werden, da Erlöse aus dem Heimspiel und TV-Anteile hinzukommen.
„Es macht süchtig, den Menschen diese Freude zu geben“, fasste Julian Brandt zusammen. „Das sind diese Abende, für die du Fußball spielst, was dich einfach komplett mitnimmt. Diese ganzen Emotionen, diese ganzen glücklichen Gesichter hier zu sehen in einer durchwachsenen Saison – das macht schon Spaß.“ Und es soll nicht das letzte Mal gewesen sein.
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