Hamburg/Essen. Der Vendée-Globe-Starter spricht über Kinderkrankheiten seines Bootes, Segeln im Grenzbereich und Einsamkeit im Südpolarmeer.

Boris Herrmann ist gerade erst von einer Regatta zurückgekehrt. Zehn Tage lang hetzte er mit seiner High-Tech-Yacht über den Atlantik, auch über die Weihnachtsfeiertage blieb wenig Zeit für Besinnlichkeit. Eigentlich hätte er sich im Rathaus vom Hamburger Innensenator sogar das Bundesverdienstkreuz abholen sollen, aber da bremste ihn eine Krankheit aus. Die Zeit daheim nutzte er dann schon wieder für die Vorbereitungen auf das große Ziel für 2024, den Start bei der Vendée Globe im November. Im Interview spricht der 42-Jährige über sein Boot, Segeln im Grenzbereich und die Einsamkeit im Südpolarmeer bei der Einhand-Regatta Non-stop um die Welt.

Boris Herrmann, Segeln ist Ihr Sport und zugleich Ihr Beruf. Verstehen Sie, dass Segeln im Extremen, die Hatz um die Welt rund um die Antarktis oft noch als Aufbruch ins Unbekannte, als eines der wenigen Abenteuer in einer fast vollständig erforschten Welt empfunden wird?

Das geht mir genau so, ist es ja faktisch auch. Diese Rennen kann man nicht wirklich planen, man weiß nie, was auf einen zukommt - und es ist immer wieder eine Riesen-Überwindung, dieser Sprung ins Unbekannte.

Boris Herrmann liebt die Faszination von Abenteuergeschichten

Und warum machen Sie das?

Es gibt verschiedene Motive. Es ist natürlich mein Beruf. Zudem bin ich ein Sportler, mich treibt mein großer sportlicher Ehrgeiz. Dann gibt es das tiefer liegende Motiv, dass mich dieses intensive Abenteuer fasziniert. Die Geschichten von Abenteurern haben mich schon als Kind in den Bann gezogen, sodass ich es seither als Lebensprojekt verfolgt habe, das selber zu machen – und so ist es einfach ein großer Teil meines Lebens geworden. Es ist auch ein Beruf, der viel mehr umfasst als diese drei Monate Rennen, die alle wahrnehmen. Es geht darum, über mehrere Jahre hinweg ein großes Projekt vorzubereiten.

Können Sie als Extremsportler, der sich Kälte und Dunkelheit aussetzt, die Sofa-Abenteurer verstehen, die sich mit Tee und viel Schokolade versorgt, mit den Dramen um Ernest Shackleton, John Franklin - oder eben auch Boris Herrmann - beschäftigen?

Ja, das mache ich auch. Ich bin ja auch Sofa-Abenteurer, wenn ich nicht unterwegs bin.

Sie haben ein Sachbuch geschrieben, aber eigentlich ist Abenteuer Ocean Race genau das. Eine spannende Abenteuergeschichte, beinahe ein Abenteuerroman. Finden Sie das merkwürdig, dass Menschen eine große Emotionalität gerade dann entwickeln, wenn sie von Beinahe-Katastrophen, von entmasteten Booten, Konkurrenten in Seenot und schwierigen Rettungsaktionen lesen?

Mir geht es selbst genauso. Und das ist doch in Ordnung. Die Leser sind in der Regel doch sehr wohlwollend und freuen sich nicht darüber, dass ein Unglück passiert, sie freuen sich doch, wenn jemand aus diesen brenzlichen Situationen wieder rauskommt, und das ist natürlich Teil einer guten Abenteuergeschichte.

Der 42-jährige Hamburger Boris Herrmann und sein britischer Co-Skipper Will Harris  beim Ocean Race.
Der 42-jährige Hamburger Boris Herrmann und sein britischer Co-Skipper Will Harris beim Ocean Race. © Team Malizia | Ricardo Pinto

Wie oft müssen Sie im Gespräch mit Nicht-Seglern diese ganzen romantischen Vorstellungen von Sonnenuntergängen und sternklaren Nächten aufräumen? Und nervt Sie das?

Zum Glück traut sich niemand, danach zu fragen. Es gibt auch ehrlich gesagt gar nicht so oft so unbefangene Unterhaltungen, weil die Leute doch wissen, dass wir von unseren Rennen sehr viel schreiben, sehr viel publizieren. Manchmal sind sie dann einfach ein bisschen schüchtern, wenn sie denken, „oh, jetzt habe ich nichts davon angeguckt oder gelesen, dann frage ich jetzt auch lieber nicht“. Es sind die eher Kinder, die diese Fragen stellen, beispielsweise wissen wollen, wie hoch die höchste Welle war.

Wassereinbruch auf offener See

Ihr neues Schiff, die Malizia, ist jung. Sie haben das Schiff in Rekordzeit zeichnen und bauen lassen. Ich kann mich erinnern, dass es vor wenigen Wochen einen Instagram-Post von Ihnen gegeben hat, dass Sie auf dem Atlantik mal wieder einen Wassereinbruch hatten. Sind jetzt alle Kinderkrankheiten beseitigt?

Leider noch nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass ich jetzt ohne Werkzeugtasche durch die Gegend fahren kann. Daraus wird aber wohl nichts. Das Boot ist ja auch ein Prototyp. Es sind aktuell wieder drei, vier kleine Sachen passiert, und das trotz all der Mühe, die wir uns mit dem großen Team gegeben haben. Ein Beispiel: Es gibt an Bord einen Motor zur Stromerzeugung, und der steht auf vier Ankerfüßen. Die haben wir nach dem Ocean-Rennen um die Welt verstärkt, weil sie gebrochen waren. Und dennoch sind sie erneut gebrochen. Das ist ärgerlich, aber der Motor ist natürlich extrem harten Einsatzbedingungen ausgesetzt, die man so kaum irgendwo anders hat. Trecker oder Gabelstapler, die ähnliche Motoren verwenden, springen nicht zehn Tage am Stück alle zehn Minuten über eine zwei Meter hohe Rampe und schlagen dann wieder auf.

Wie verzweifelt sind Sie in solchen Situationen? Können Sie dann gelassen sagen: Pech, das passiert?

Nee, das bringt mich an den Rand des Erträglichen. Dann ist man erst genervt und irgendwann am Rande der Kräfte. Man braucht ja eigentlich diese kurzen Pausen zwischendurch, um einen Schlag zu schlafen, sich zu erholen, ein bisschen zu entspannen von dem Stress, um dann überhaupt essen zu können. Das fiel jetzt beim Rennen über den Atlantik weg, weil ich ständig Wasser schöpfen musste oder über dieses Wasserproblem gegrübelt habe. Aber dann ist man auch glücklich, wenn man den Fehler findet und hofft, dass er bei der Vendée Globe nicht wieder passiert.

Wird er aber vermutlich.

Irgendwas passiert bestimmt, aber hoffentlich nicht genau diese Dinge, und hoffentlich weniger und später.

Segler Boris Herrmann lebt Gegensätze im Extremsport

In dem Buch werden sie von ihren Mitseglern ganz hübsch beschrieben. Einerseits sind Sie demnach einer, der sich ständig sorgt, nicht abschalten kann - und dann werden Sie gleichzeitig Surfer-Boy genannt, also genau das Gegenteil von jemanden, der sich ständig Sorgen macht. Fühlen Sie sich gut charakterisiert? Und wenn ja: braucht es vielleicht genau diese Gegensätze, um Extremsport machen zu können?

Auf jeden Fall. Man muss gut mit Unsicherheiten, Ungewissheiten, Überraschungen umgehen können. Man darf sich nicht verrückt machen - und ich mache mich oft ein bisschen zu sehr verrückt. Auf der anderen Seite ist eine gewisse Umsicht, die das mit sich bringt, natürlich schon wichtig, sich vorher zu überlegen, was passieren, was man vorhersehen, wie man Folgen abmildern könnte. So ein bisschen hat das jeder gute Segler, dass er ständig mit dem Ohr beim Schiff ist und wenn es ein komisches Geräusch gibt, es irgendwo klappert, dass er mit der Taschenlampe hinklettert und guckt, ob da irgendwas lose oder gebrochen ist.

Boris Herrmanns Yacht „Malizia - Seaexplorer“ auf der Nordsee
Boris Herrmanns Yacht „Malizia - Seaexplorer“ auf der Nordsee © dpa | Antoine Auriol

Das nächste große Ziel ist die Vendée Globe, ist das auch der nächste Start mit der Malizia?

Am 10. November geht‘s los. Bis dann haben wir noch zwei Transatlantik-Rennen. Ende April und Ende Mai geht es einhand über den Atlantik nach New York und zurück. Das sind noch mal schöne Trainingsfahrten, um sich ans Schiff zu gewöhnen und Routine und Selbstvertrauen zu gewinnen.

Aber wenn ich das in Ihren Büchern richtig gelesen habe, ist es ja irgendwie keine ganz ungeteilte Liebe, alleine um den Globus zu hetzen. Sie machen mit großer Leidenschaft. Aber es liest sich so, als fühlen Sie sich da auch nicht komplett auf Rosen gebettet. Wie sieht der Bauch den Rennen entgegen?

Es ist eine gute Frage, und Sie haben das ganz gut beschrieben. Es sind schon ambivalente Gefühle. Ich hatte nach der letzten Vendée Globe meine Frau gebeten, mich daran zu erinnern, das nie wieder zu tun - und nun gehe ich trotzdem wieder an den Start. Ich habe Freunde, die Marathon laufen, die mir sagen, dass sie am Ende des Rennens sich fragen, warum sie das tun und laufen dann doch immer wieder. Wahrscheinlich hat jeder solche Lebenserfahrungen, bei denen er denkt, „was mache ich hier eigentlich gerade“. Die Vendée Globe ist eine starke mentale Herausforderung, so lange alleine zu und so einer Intensität ausgesetzt zu sein. Deswegen habe ich mich jetzt beim Rennen über den Atlantik sehr genau beobachtet - und das ging ganz gut. Ich habe mich zumindest nicht einsam gefühlt in diesen zehn Tagen. Das hat mir schon mal Mut gemacht, dass ich schon besser aufgestellt bin als beim ersten Mal, wo das dann irgendwann unterwegs für mich nicht so leicht war.

Von der letzten Vendée Globe hatten Sie erzählt, dass Sie nie alleine gewesen wären, aber oft sehr einsam.

Ja. Ich habe jetzt immer Leute gehabt, die sich melden. Ich hatte viel Kontakt mit der Außenwelt und mich gut aufgehoben gefühlt, aber das wird bei der Vendée Globe schwieriger als bei einem Zehn-Tage-Rennen – und ich kann es natürlich nicht bis zum Ende genau vorhersehen. Ich weiß einfach, es wird hart, aber ich bin bereit, wieder loszufahren. Und dennoch werde ich es unterwegs sicherlich auch wieder bereuen.