London. Am Freitag spielen die besten Darts-Profis im Ally Pally wieder um den WM-Titel. Rekordmeister Phil Taylor verrät seinen Favoriten.

Es ist ruhig geworden um den Mann, der einst den Alexandra Palace zum Beben brachte. Für den wahre Jubelstürme im Mekka der Darts-Profis aufbrandeten, wenn er unter ohrenbetäubender Musik einlief und dann bei konzentrierter Stille seine Pfeile auf die Scheibe warf. Nicht selten verkündete der Hallensprecher dann euphorisch eine „180“, die höchste Wertung nach drei Würfen. Die Menge johlte, Phil Taylor ballte die Hand zur Faust. 16 Mal wurde der Engländer insgesamt Weltmeister, so häufig wie kein anderer. An diesem Freitag ab 20 Uhr (Sport1/DAZN) aber wird er auf der Couch im beschaulichen Crewe bei Manchester sitzen und das Geschehen aus der Ferne verfolgen, wenn die besten Darts-Spieler der Welt bis zum 3. Januar erneut ihren Champion in London suchen und um das Preisgeld von 500.000 Pfund (rund 581.000 Euro) werfen. Seit 2018 ist Phil Taylor im WM-Ruhestand. Im „Ally Pally“ aber ist er unvergessen, so wie er selbst den WM-Austragungsort seit 2007 immer in Erinnerung behalten wird. „Es ist ein spezieller Ort“, sagt Taylor.

Wie wahr: Tausende Fans werden in den kommenden Tagen in das 1873 errichtete Gebäude im Norden der englischen Hauptstadt strömen und die Duelle der 64 WM-Starter verfolgen. Sie werden Kostüme tragen wie hierzulande beim Karneval, sie werden mit dem Bier in der Hand feiern und grölen wie die Deutschen beim Oktoberfest. Fast drei Wochen wird Ausnahmezustand herrschen, lediglich unterbrochen von einer kurzen Weihnachtspause.

Phil Taylor: „Van Gerwen ist hungrig“

Michael van Gerwen.
Michael van Gerwen. © firo Sportphoto/PSI | Shane Healey

Phil Taylor aber wird es ruhig angehen lassen. „Ich werde mir die WM zu Hause angucken”, sagt der 63-Jährige im Gespräch mit dieser Redaktion. „Ich habe einen tollen großen Fernseher und schaue sie gemeinsam mit meinem Enkel Matthew.“ Eine neue Generation von Darts-Profis bestimmt derweil das Geschehen in London. Darunter der Waliser Gerwyn Price, 38, Champion von 2021 und optisch noch immer an seine Jugendzeit als Rugbyprofi erinnernd, als er seine Gegner noch brachial in den Boden rammte statt sie wie jetzt mit gezielten Würfen zur Verzweiflung zu bringen. Oder der Engländer Luke Humphries, 28, der bei drei der vergangenen vier Major-Turniere gewann und in jedem davon einen Ex-Weltmeister schlug. „Cool Hand Luke“ gilt bei den Wettanbietern als größter Favorit, weit vor dem amtierenden Weltmeister Michael Smith, 33, aus England, der momentan mit Formschwäche zu kämpfen hat. Auch Peter Wright, 53, der Schotte mit dem bunten Irokesenschnitt, und der bullige Niederländer Michael van Gerwen, 34, wollen ihre WM-Ausbeute von zwei, bzw. drei Titeln in die Höhe schrauben.

Viele Namen, doch für Phil Taylor ist Michael van Gerwen der Topfavorit. „Er wird diesmal wirklich bereit sein, denn er hat es satt, zu verlieren“, meint der Altmeister, der den 34-Jährigen einst selbst bei ihren drei WM-Aufeinandertreffen bezwang, darunter 2013 im Finale. Insgesamt verlor van Gerwen drei seiner sechs WM-Endspiele, auch das Anfang 2023 gegen Smith. Keine Frage: Die Nummer zwei der Weltrangliste ist topmotiviert.

Viele Deutsche bei der Darts-WM

Gabriel Clemens.
Gabriel Clemens. © dpa | Zac Goodwin

Rund ein Viertel der über 90.000 verkauften Eintrittskarten gehen nach Deutschland – und erstmals sind gar fünf Deutsche an der Scheibe. Angeführt werden sie von Gabriel Clemens, dem „German Giant“. Der 40-jährige Saarländer hatte sich im vergangenen Turnier bis ins Halbfinale gekämpft. Martin Schindler, der Kölner Florian Hempel und Dragutin Horvat sind ebenfalls WM-erfahren. Seine Premiere in London feiert Ricardo Pietreczko, und das mit einem besonderen Auftakt: Es geht gegen die Japanerin Mikuru Suzuki, eine von zwei Frauen im Teilnehmerfeld. Die englische Darts-Queen Fallon Sherrock ist bereits zum vierten Mal dabei. „Ich denke, Clemens hat von den deutschen Startern die besten Chancen, weit zu kommen. Weil er einfach der beste Deutsche ist“, meint Taylor.

Der Sport mit den Pfeilen hat Phil Taylor zum Multimillionär gemacht. Selbst spielte er in den vergangenen Jahren aber nur noch auf der Senioren-Tour, und auch diese Auftritte werden bald vorbei sein. Bei der Senioren-WM im vergangenen und in diesem Jahr schied der Mann mit dem Spitznamen „The Power“ jeweils im Viertelfinale aus. Die Pfeile fliegen nicht mehr so wie einst, die Erfolge werden weniger, die Motivation sinkt. Kommendes Jahr wird Taylor seine Kariere endgültig beenden, die Senioren-Tour wird zur Abschiedstournee. Dann kann der Engländer verstärkt das tun, was er seit seinem Abschied von der Profi-Tour macht: es ruhiger angehen lassen. „Ich genieße derzeit, was ich 30 Jahre lang nicht konnte“, sagt Taylor. „Ich bin zu Hause und verbringe Zeit mit meiner Frau und den Enkelkindern. Und ich liebe es.“