Hamburg. Am Rande der EM-Auslosung verrät Bundestrainer Julian Nagelsmann, dass er im DFB-Team taktisch und personell einiges ändern will.
Steve Clark ist nicht mehr aufzufinden. Eigentlich sollte der schottische Nationaltrainer jetzt, nach Ende der Auslosung der Europameisterschafts-Gruppen, auf die Bühne in der Hamburger Elbphilharmonie kommen, um ein Gruppenfoto zu machen. Aber Clark taucht nicht mehr auf und so gibt es von Gruppe A nur ein Dreierfoto statt des geplanten Viererbildes: Neben Bundestrainer Julian Nagelsmann stehen Marco Rossi, italienischer Nationaltrainer Ungarns, znd Murat Yakin, Coach der Schweiz. Es sind die Trainer, von denen man auch erwarten muss, dass sie jene Gruppe A überstehen – es kommen ja auch die vier besten der sechs Gruppendritten weiter.
Schottland, Ungarn und die Schweiz als Gegner: Es ist eine Gruppe, für die in der Fußballsprache der Begriff „machbar“ geprägt wurde. „Sehr gut“ sei diese Auslosung, meint etwa der Schalker Gerald Asamoah, als er sich mit seinem bekannt breiten Grinsen den Weg durch die Menschenmengen in der Elbphilharmonie bahnt. Bevor man den EM-Botschafter der Stadt Gelsenkirchen aber fragen kann, ob er die deutsche Gruppe meint oder dass die Schalker-Arena das Kracherspiel Spanien gegen Italien zugelost bekommen hat, ist er schon wieder verschwunden.
DFB-Präsident Neuendorf glaubt an erfolgreiche EM
Und so ist es an den DFB-Verantwortlichen, diese Auslosung einzuordnen – und die Worte „sehr gut“ verwendet keiner von ihnen. Das verbieten schon die Grundregeln der Höflichkeit gegenüber dem Gegner, hat aber auch handfeste sportliche Gründe: Die erschreckenden Leistungen gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) haben die Skepsis gegenüber dem DFB-Team gehörig wachsen lassen, sodass an diesem Abend in Hamburg ständig die Frage durch die Elbphilharmonie wabert, ob es so etwas wie eine machbare Gruppe für die deutsche Nationalmannschaft zurzeit überhaupt gibt. „Wir dürfen aktuell gar keinen Gegner unterschätzen oder auf die leichte Schulter nehmen“ – diesen Satz sagt DFB-Sportdirektor Rudi Völler an diesem Abend immer wieder.
Der 63-Jährige, der in seinem Fußballerleben schon einige Auslosungen erlebt hat, sagt aber auch: „Der Anspruch wird sein, dass wir eine Runde weiterkommen.“ DFB-Präsident Bernd Neuendorf geht sogar noch ein Stückchen weiter: „Ich bin überzeugt, dass wir eine sehr erfolgreiche Euro spielen werden.“ Und Julian Nagelsmann, der am Morgen noch in München festsaß, weil dort wegen des Schneefalls keine Flugzeuge flogen, keine Züge fuhren und der deswegen kurzentschlossen die knapp 800 Kilometer quer durch Deutschland selbst mit dem Auto gefahren ist? Der will sich an diesem Abend gar nicht so sehr mit der Qualität der Gegner auseinandersetzen: „Am Ende geht es darum, dass wir bestimmen, wie gut die Gegner sind“, meint der Bundestrainer. „Wenn wir besser auftreten als in letzten Spielen, können viel regulieren.“
Bundestrainer Julian Nagelsmann lässt seine Spieler zittern
Vor diesen Gegnern muss kein Nationalspieler zittern – wohl aber vor dem eigenen Trainer. Nagelsmann nämlich nutzt die Bühne, die ihm die EM-Auslosung bietet, um deutliche Änderungen anzukündigen. „Wir haben ein paar Entscheidungen getroffen“, sagt der Bundestrainer. „Da geht es um Ideen fußballerischer Natur, aber auch um das Gefüge, wo wir etwas anpassen und verändern wollen.“
Er wolle zwar „keine Radikalkur, dass wir zehn Spieler zu Hause lassen und zehn neue einladen“, sagt Nagelsmann, macht aber im selben Atemzug deutlich, dass sich Struktur, Selbstverständnis und Auftreten der Mannschaft ändern sollen. „Wir sind aktuell kein Team, das auf den Platz kommt und die Gegner wegspielt“, erklärt er. „Wir müssen andere Dinge zeigen auf dem Platz, dafür brauchen wir den einen oder anderen neuen Spieler.“
Vorfreude auf Schottland
Und entsprechend muss sich auch der eine oder andere vermeintlich etablierte Spieler Sorgen machen, der sich vor allem über das schöne Spiel und weniger über Einsatz, Kampf und Robustheit definiert. Sorgen, ob er im März noch dabei ist, wenn die Mannschaft in Lyon gegen Frankreich und einem noch nicht benannten Stadion in Deutschland gegen die Niederlande testet. Und vor allem am 14. Juni im Eröffnungsspiel, zu dem die Meinungen fast einhellig sind: Nagelsmann, Völler, Neuendorf und auch Turnierdirektor Philipp Lahm: Sie alle freuen sich auf den Auftakt gegen die Schotten mit ihren „unglaublich wunderbaren Fans, die eine Bereicherung sein werden“ (Völler).
Nur einer mag nicht einstimmen: Steven Clarke guckt recht sparsam als er im Laufe des Abends wieder auftaucht und lässt durchblicken, dass er der deutschen Mannschaft lieber aus dem Weg gegangen wäre. Aber: „Ich kann ja nichts daran ändern, also müssen wir die Gruppe so nehmen, wie sie eben ist.“ Auch das ist eine Erkenntnis dieser Auslosung: Immerhin im Rest der Fußballwelt ist der Glaube an die Turniermannschaft Deutschland nach wie vor groß.