New York. Coco Gauff triumphiert bei den US Open – auch dank neuer Härte in ihrem Spiel. Sie könnte noch viel, viel mehr erreichen.
Als Coco Gauff Ende Juni von Platz eins in Wimbledon wegmarschierte, hatte sie von der Tennissaison 2023 die Nase komplett voll. Gauff, mit großen Hoffnungen in das Rasenspektakel in London gestartet, war soeben in der Auftaktrunde gegen ihre zäh kämpfende Landsfrau Sofia Kenin ausgeschieden. Danach dachte sie – geschlagen und niedergeschlagen – nicht mehr an die nächsten Turniere daheim in Nordamerika, an die schillernden US-Open-Festspiele. Sondern an die Winterpause und die Vorbereitung auf das Jahr 2024. „Ich war mental am Boden, total deprimiert“, sagt Gauff, „es war ein schlimmer Moment.“
Zweieinhalb Monate später war die 19-Jährige wieder am Boden. Buchstäblich sogar, der Länge nach hingestreckt auf dem Center Court in der Arthur-Ashe-Arena. Aber gleichzeitig so obenauf wie noch nie in ihrem jungen Leben. Am Abend des 9. September grüßte sie aus New York als frischgebackene, hochverdiente US-Open-Siegerin, die ihren ersten Triumph bei einem der vier Majorturniere feierte. „Es ist wie ein Schock, einfach unglaublich“, sagte die zu Tränen gerührte US-Amerikanerin, die den vierten Triumph einer US-Teenagerin mit Herz, Gefühl und Verstand perfekt machte – nach einer mitreißenden 2:6, 6:3, 6:2-Aufholjagd im Duell mit der Belarussin Aryna Sabalenka (25). Zuvor hatten Tracy Austin (1979, 1981) und Serena Williams (1999) vor ihrem 20. Lebensjahr beim traditionell letzten Majorturnier des Spieljahres gewonnen.
Coco Gauff: Dem Erwartungsdruck getrotzt
Gauff war mit ihrem triumphalen Erfolg endgültig zur Königin dieses Sommers aufgestiegen. Vor allem, weil sie nach ihren bemerkenswerten Siegen bei Turnieren in Washington und Cincinnati dem hohen Erwartungsdruck in New York mit erstaunlicher Souveränität trotzte – und im Turnierverlauf dreimal nach Satzrückständen noch als Gewinnerin vom Platz ging. Mit 18 Siegen aus den vergangenen 19 Matches rückt sie nun auch auf Platz drei der Weltrangliste vor – ein neues Allzeithoch für das Supertalent, das schon im Kinder- und Juniorinnenalter die Fachwelt verblüfft hatte. Schon mit 13 Jahren hatte Gauff das Nachwuchsturnier in New York bestimmt, war danach als Erbin von Serena Williams ausgerufen worden.
Gauff feierte früh auch einige Erfolge im Erwachsenentennis, ihr erster Titelcoup spielte sich im österreichischen Linz ab. Doch die Karriere der Hochbegabten geriet ins Stocken, die massiven Hoffnungen, Gauff könne schnell als Nachfolgerin des Williams-Imperiums übernehmen, erfüllten sich nicht. Mit dem Rückzug von Vater Corey als Coach und der Verpflichtung des Trainerduos Pere Riba und Brad Gilbert kam zuletzt der entscheidende Veränderungsimpuls. Gilbert, der Mann, der einst schon Andre Agassi und Andy Roddick zu Grand-Slam-Ruhm geführt hatte, brachte eine neue Matchhärte ins Spiel, auch ein anderes Auftreten in den großen Duellen. Kurz gesagt: Gauff war nicht mehr die Nettigkeit und Artigkeit in Person. Sondern plötzlich auch eine, die ein paar Gemeinheiten und Tricks auf dem Court zeigte. Ganz nach Gilberts Devise, wonach Tennis „Psychokrieg“ sei.
Vor elf Jahren, Gauff war gerade acht Jahre alt, hatten sie ihre Eltern mit zum Damenfinale der US Open genommen. Auf einem Clip in den Sozialen Medien sieht man das Mädchen während der Finalzeremonien tanzen, nach dem Duell ihres Idols Serena Williams gegen Viktoria Azarenka. „Ohne die beiden Williams-Schwestern wäre ich jetzt auch nicht hier, als Tennisspielerin, als Siegerin“, sagte Gauff, „sie haben so vielen von uns den Weg aufgezeigt.“ Eben auch, dass scheinbar Unmögliches möglich werden kann, wie die Williams-Karrieren heraus aus den Slums von Compton in Kalifornien zu weltweitem Ruhm – das vielbeschworene Märchen der Cinderellas aus dem Ghetto.
Gauff scheint gefühlt bereits eine kleine Ewigkeit auf der Tennistour unterwegs zu sein. 2023 waren ihre fünften US Open. Vieles hat sie bereits durchlitten und erlebt als Teen-agerin in dieser Hochgeschwindigkeitsbranche, herbe Rückschläge, zerschmetterte Hoffnungen, Verletzungspech. Und die Anfeindungen in der weiten Welt des Internets, in der sie oft als Versagerin geschmäht wurde. Vor dem Finalmatch gegen Sabalenka, die trotz der Niederlage die Polin Iga Swiatek (22) als Nummer eins der Welt ablöst, holte sie sich Motivation auf ihre eigene Weise, las üble Kommentare auf den einschlägigen Plattformen. Und nahm sich vor, die meist anonymen Hassprediger Lügen zu strafen. „Viele hatten nach den Siegen vor den US Open gesagt: Mehr ist nicht drin für dich. Doch sie haben nicht Wasser auf mein Feuer geschüttet, sondern Benzin“, sagte Gauff in ihrer Siegerinnenansprache. Sie betonte auch, sie wisse inzwischen, „wie ich meinen Frieden in dieser Tenniswelt finde“.
Drei Präsidenten gratulieren Coco Gauff
Das wird auch nötig sein. Denn der Hype und die Begeisterung um die neue Grand-Slam-Queen sind groß in Amerika. Gleich drei Präsidenten gratulierten Gauff noch in den ersten Stunden nach dem Pokaltriumph, Barack Obama („Ich bin so stolz auf dich“), Bill Clinton („Amerikas Tenniszukunft ist gesichert“) und Joe Biden, der amtierende Commander-in-Chief, der erklärte: „Coco hat das ganze Land elektrisiert. Sie zeigt, dass alles möglich ist, wenn man daran glaubt.“ In den kommenden Tagen wird Gauff auf allen Kanälen zu sehen sein, die traditionelle Medienmaloche in den beliebten US-Frühstücksshows. Zu sehen sei dann eine, hinter der sich das gespaltene Amerika versammeln könne, schrieb der Fachdienst „tennis.com“: „Sie verkörpert das Beste dieses Landes. Als jemand, von dem man lernen kann.“