Essen. Mit dem Handball-Supercup startet Streaming-Anbieter Dyn ein mutiges Projekt. Gründer Christian Seifert war zuvor bei der DFL.

Frank Bohmann muss kurz überlegen, was er denn lieber hätte. Volle Hallen oder eine gute Quote? Die Antwort ist eine pragmatische. „Beides. Das eine ersetzt nicht das andere. Im Gegenteil: Die Qualität einer guten Übertragung wird auch mehr Zuschauer in die Hallen locken.“ Frank Bohmann ist der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga. Deren Supercup an diesem Mittwoch in Düsseldorf (19 Uhr) eröffnet nicht nur die neue Saison, sondern ist auch der Startschuss für eine neue Streaming-Plattform, die Sportarten jenseits des Fußballs zeigt. Der Supercup zwischen dem Deutschen Meister THW Kiel und Pokalsieger Rhein-Neckar Löwen ist die erste Übertragung des Senders Dyn (gesprochen: Dein). Und deren Gründer Christian Seifert sagt: „Wir starten keine Plattform, wir starten eine Bewegung.“

Große Worte für ein ambitioniertes und sehr, sehr mutiges Projekt. Denn auf Sportübertragungen stützen sich diverse Sender, neben vielen Stunden Sendezeit in den Öffentlich-Rechtlichen sind Sport1 und Eurosport Anlaufstellen im linearen TV, Bezahlanbieter wie DAZN, MagentaSport, Sportdeutschland.tv und Sky kommen hinzu. Nun also noch Dyn, das für einen Preis von 14,50 Euro im Monat (Jahresabo: 12,50 Euro/Monat) völlig ohne Fußball auskommen will. Dafür sollen mit den deutschen Topligen im Handball, Basketball, Volleyball, Hockey und Tischtennis Kunden gelockt werden. Da drängt sich schnell die Frage auf: Alles außer Fußball – kann das funktionieren?

Seifert lenkte 16 Jahre die Geschicke der DFL

„Ich will nicht der Nächste sein, der Geld mit Ligen verbrennt“, sagt Christian Seifert. Lange hat der 54-Jährige zugesehen, wie andere dies taten. Zwischen 2005 und 2021 lenkte Seifert als Geschäftsführer die Geschicke der Deutschen Fußball-Liga und sorgte dafür, dass sich die Interessenten für die Übertragungsrechte der Bundesliga in schwindelerregende Höhen boten. Nun hat der Erfolgsmanager ein neues Projekt, sinngemäß sind sich seine Medien-Manager-Kollegen einig: Wenn es einer schafft, die vermeintlichen Randsportarten zum TV-Erfolg zu führen, dann Christian Seifert. Der selbst sagt selbstbewusst: „Nachdem ich den Großen größer gemacht habe“, sei die Beschäftigung mit den vermeintlich Kleinen, „besonders reizvoll“.

Seifert tingelte in den vergangenen Monaten über die Dörfer und machte sein neues Projekt den Klubs der weniger im Mittelpunkt stehenden Bundesligen schmackhaft. Das Medienunternehmen Axel Springer SE stieg mit Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe ein, gleich mehrere Ligen-Manager konnte Seifert mit seiner Idee überzeugen. Darunter Handball-Chef Frank Bohmann. „Für uns ist Dyn eine tolle Lösung“, sagt Bohmann. „Die Bedürfnisse, die wir in diversen Marktforschungen ermittelt haben, werden bei Dyn am besten erfüllt.“

Vor allem Handball-Fans kommen auf ihre Kosten

Handball ist die quantitativ dominierende Sportart auf Dyn und ohnehin das Zugpferd des Senders. Bundesliga, 2. Liga, Champions League, European League, der DHB-Pokal und die Frauen-Bundesliga werden übertragen. „Alle Spiele der 1. und 2. Liga werden gezeigt, das kann keine andere Handball-Liga der Welt bieten“, sagt Bohmann. Ebenso wichtig sei dem 59-Jährigen allerdings das Thema Social Media. Denn im Gegensatz zu Sky, in den vergangenen sechs Jahren TV-Heimat des Handballs, setzt Dyn im Bereich der Sozialen Medien auf große Reichweite statt auf Exklusivität für die eigenen Kanäle. Heißt: Auch die Klubs dürfen auf ihren Facebook- und Instagram-Kanälen nun mehr Bewegtbilder verwenden. Umgekehrt müssen sie selbst allerdings auch vermehrt mediale Inhalte erstellen, die Dyn während der Live-Übertragung und in die eigenen sozialen Medien einbinden kann. „Hausaufgaben werden ja nie gerne entgegengenommen, das kennt jeder noch aus der Schulzeit“, sagt Bohmann über die nun anfallenden zusätzlichen Aufgaben seiner Klubs. „Doch die Vereine erkennen, dass dies auch eine Chance ist. Kleinere Klubs können mit den richtigen Inhalten in Sachen Aufmerksamkeit in den Sozialen Medien an den großen vorbeiziehen. Und eine Erhöhung der Reichweite kann ein Wachstum in Sachen Sponsoring bedingen. Das ist am Ende das Ziel.“

Hockey läuft im ersten Jahr auf einem kostenfreien Youtube-Stream

Das Live-Team von Dyn besteht aus mehr als 40 Kommentatoren, Moderatoren und Experten. Das hört sich stattlich an, doch für die angestrebte Übertragung von über 2000 Spielen pro Jahr und für Inhalte an spielfreien Tagen reicht das nicht. Hockey ist daher ein gutes Beispiel, wie der Betrieb auf Dyn trotzdem gesichert werden soll. Die Hockeyliga, der Dachverband für die Bundesligen der Herren und Damen, bekommt zwar kein Geld von Dyn, aber die komplette technische Ausrüstung wird gestellt. Im Gegenzug stellen die Klubs eigene Arbeitskräfte. Sie müssen also lernen, selbst zu übertragen und zu kommentieren, werden dafür auch geschult. Hockey läuft deshalb im ersten Jahr auch auf einem kostenfreien Dyn-Youtube-Kanal, „damit wir dann den Qualitätsstandards des Streams entsprechen, dass man sich nicht blamiert neben den anderen Sportarten“, sagt Dirk Wellen, Präsident der Hockeyliga. Der 61-Jährige ist begeistert von Seiferts Idee und glaubt an neue Vermarktungschancen. „Dass wir auf der Plattform sind, steigert den Wert der Liga.“

Als Präsident des Bundesligisten Crefelder HTC hat Wellen auch gleich ein Beispiel für verpasste Chancen in der Vergangenheit parat. „Im jüngsten Viertelfinale hat unser Spieler Martin Ferreiro das Tor des Jahres erzielt, eine argentinische Rückhand unter die Latte. Er hätte damit berühmt werden können – wenn dieses spektakuläre Tor im schattigen Schusskreis doch nur zu sehen gewesen wäre für die einzige Kamera am Platz.“ Bereits in der Vergangenheit haben die Hockey-Bundesligisten ordentlich in technische Ausrüstung investiert, um Livestreams zu produzieren. Es gibt Stimmen, dass man das Projekt in Eigenregie hätte verfolgen sollen, aber Dirk Wellen ist zuversichtlich: „Es gibt eine große Mehrheit in der Liga, das zu machen. Im Moment herrscht eine große Euphorie, auch wenn die Klubs, die in der Regel ehrenamtlich geführt werden, vor großen Belastungen stehen. Trotzdem nehmen sie die Mühen auf sich, die das Projekt allen abfordert. Weil wir es als große Chance für unseren Sport sehen.“