Hamburg. Nach einem denkbar knappen Finale jubelt ein dänischer Radprofi. Gute Stimmung auch beim Jedermann-Rennen. Wie geht's jetzt weiter?

Mads Pedersen war sichtlich erleichtert, dass ihm die Peinlichkeit erspart geblieben war. „Vielleicht habe ich ein bisschen zu früh gejubelt. Ich war mir im Ziel nicht mehr zu 100 Prozent sicher, dass ich gewonnen habe“, sagte der dänische Radprofi, als er am Sonntagnachmittag im Zielbereich der 26. Hamburger Cyclassics auf der Mönckebergstraße stand.

Der 27 Jahre alte Ex-Weltmeister vom Team Lidl-Trek hatte nach einem packenden Sprint bereits ein paar Meter vor der Ziellinie die Arme zum Jubeln hochgerissen, als von hinten doch noch der Niederländer Danny van Poppel (30/Bora-hansgrohe) heran rauschte. Am Ende entschied das Zielfoto für Pedersen (4:36:35 Stunden), hinter Van Poppel wurde der dreifache Cyclassics-Sieger Elia Viviani (34/Ineos Grenadiers) aus Italien Dritter.

Kuriosum um Hamburger Cyclassics-Sieger

„Ich habe einfach nur Gas gegeben und wusste nicht, was hinten passiert. Danny kam dann ziemlich schnell heran, zum Glück hat es noch gereicht“, sagte Klassikerspezialist Pedersen, der erst am Sonnabend die Dänemark-Rundfahrt gewonnen hatte. „Wir sind erst gestern Abend hier angekommen. Kopenhagen ist nicht so weit entfernt von Hamburg.“ Die kurzfristige Anreise lohnte sich, 16.000 Euro Preisgeld strich Sieger Pedersen ein.

Nils Politt (29) war zu diesem Zeitpunkt bereits enttäuscht im Bus von Bora-hansgrohe verschwunden. Der Kölner hatte nach dem dreimaligen Überqueren des Blankeneser Wasebergs in einer Dreierfluchtgruppe um den Sieg gekämpft, war dann aber wenige Hundert Meter vor dem Ziel gestellt worden. „Wir haben zu dritt alles probiert und auf den letzten zwei Kilometern sind uns ein bisschen die Beine eingeschlafen“, sagte Politt. „Sie haben ziemlich gebrannt.“ Am Ende belegte er als bester von 18 deutschen Fahrern nach 205,6 Kilometern Rang acht.

Gute Stimmung beim Jedermann-Rennen

Rund vier Stunden zuvor saß Silias Seifert auf einem Hocker im Zielbereich und grinste mit den anderen rund 11.000 Hobbyfahrern, die nach und nach über die Ziellinie rollten, um die Wette. „Das war das bisher beste Rennen meines Lebens“, sagte der erst 14 Jahre alte Hannoveraner, während vor ihm ein Drei-Liter-Glas mit alkoholfreiem Weizenbier eines Sponsors stand.

„Ich trinke kein Bier und mag es auch gar nicht“, sagte der Teenager und lachte, als er auf sein flüssiges Präsent angesprochen wurde. In 1:22:10 Stunden hatte er unter 2382 Konkurrenten über 60 Kilometer einen starken 110. Platz belegt.

Seifert war am Sonntag einer von drei Teilnehmern, die jünger als 15 Jahre alt waren. Weil sein Vater ein Radsport-Geschäft in Hannover führt, kam er 2018 zu der Sportart, die unter den Jugendlichen in Deutschland heutzutage nicht mehr sonderlich beliebt ist. Nach Angaben des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) gab es im Jahr 2006, als Jan Ullrich noch aktiv war, allein in der U-19-Klasse noch 1.054 offizielle Rennlizenzen. Seitdem ist die Zahl um rund zwei Drittel gesunken.

Hat der Radsport ein Nachwuchsproblem

„Das Problem ist sicherlich vorhanden. Ich glaube aber, dass die Nachwuchszahlen in Wellen verlaufen. An anderen Nationen sieht man, dass die Zahl auch wieder nach oben gehen kann, wenn man etwas dafür macht“, sagt Oliver Schiek, der die Cyclassics als Geschäftsführer von Ironman Deutschland veranstaltet. „Um den Nachwuchs zu fördern, veranstalten wir Rennen wie die Youngclassics oder das Kinderrennen am Sonnabend.“

Auch Seifert würde später gerne Profi werden, seine Vorbilder sind der niederländische Weltmeister Mathieu van der Poel und der belgische Topstar Wout van Aert, die am Sonntag in Hamburg fehlten. „Aus Deutschland finde ich Rick Zabel cool, der ist auf Instagram sehr aktiv und hat einen eigenen Podcast“, sagt Seifert. Fünfmal pro Woche trainiert er als Mitglied des niedersächsischen Landeskaders. „Auf das Internat nach Cottbus möchte ich momentan aber nicht, das ist mir zu weit weg von zu Hause“, sagt er.

Ein Fahrer, den die Cyclassics zu einer Profikarriere inspirierten, ist Nikias Arndt (31). „Als Kind stand ich mit meinen Eltern immer an der Elbe an der Strecke und habe die Profis beobachtet. Ich bin dann immer den leeren Trinkflaschen hinterhergerannt, damit ich ein Andenken mit nach Hause nehmen kann“, erinnerte sich der gebürtige Buchholzer, der am Sonntag im Trikot von Bahrain-Victorious auf Rang 25 landete.

Arndt hatte sich als Jugendlicher für den Wechsel nach Cottbus entschieden, lebt mittlerweile in Köln. „Hier in der Heimat zu fahren, ist für mich das Größte“, sagte er. „Ich habe meine Freunde und Familie bei der Einschreibung gesehen, auch ein alter Vereinskamerad stand am Straßenrand. Den habe ich hier nach 15 Jahren zufällig wiedergetroffen.“

Mehr Starter bei Hamburger Cyclassics?

Es ist dieses Zusammenspiel zwischen Profis und Amateuren, die die Cyclassics besonders machen. Während die Hobbysportler am Ballindamm ihre Medaillen erhalten, bereiten sich die Profis wenige Meter entfernt auf den Start vor. Viele geben sich nahbar, plaudern mit den Fans, erfüllen Fotowünsche. Auch deshalb lockt kein anderes europäisches Radrennen mehr Teilnehmer.

Veranstalter Schiek möchte in Zukunft dennoch wieder mehr mehr Starter begrüßen. Vor der Corona-Pandemie waren stets rund 15.000 Hobbyfahrer dabei, während der Radsport-Euphorie um Jan Ullrich sogar noch ein paar Tausend mehr. „Mein Bestreben ist, dass die Teilnehmerzahl bei den Jedermann-Rennen zumindest wieder im Bereich von 15.000 Startern liegt“, sagt Schiek. „Das Rennen steht wirtschaftlich aber auf soliden Beinen. Im Sponsorenbereich haben wir viele Partner, die uns unterstützen.“

Das Medizintechnikunternehmen Bemer ist auch bei der 27. Cyclassics-Ausgabe im kommenden Jahr (8. September) Hauptsponsor, danach läuft der Vertrag aus.

Wird die Strecke der Cyclassics angepasst?

Um mehr Teilnehmer anzulocken, will Schiek 2024 wieder eine 160-Kilometer-Runde anbieten. „Ob ich mich mit diesem Ziel durchsetze, sehen wir nächstes Jahr“, sagt er. Umzusetzen wäre dieser Plan wohl nur mit einer angepassten Streckenführung. Von Rennschleifen durch Hamburgs Osten oder Süden haben sich die Veranstalter bewusst verabschiedet. „Das machen wir nicht mehr, um die Belastung der Stadt so gering wie möglich zu halten“, sagt Schiek.

Die große 60-Kilometer-Schleife Richtung Westen mit einer Nord-Erweiterung für die 100 Kilometer habe sich mittlerweile bewährt. „Man müsste für die 160 Kilometer die 60er-Runde zweimal fahren. Dann ist die Gefahr groß, dass eine Gruppe auf die andere auffährt. Das wollen wir vermeiden“, sagt Schiek.

Hamburg Cyclassics: Der Streckenverlauf

Die Strecke führte die Profis vom Start Jungfernstieg in den Hamburger Nordwesten nach Schenefeld und runter nach Wedel. Dann kam der Waseberg, der dreimal geschafft werden musste. Mit 15 Prozent Steigung galt der Anstieg im sonst flachen Terrain als größtes Hindernis. Immer wieder kam es auch zu Stürzen. 29 Kilometer vor dem Ziel erwischte es Maximilian Schachmann.

Das Event sorgte für Verkehrsbeeinträchtigungen in der kompletten Stadt. Etwa 11.000 Teilnehmer nahmen über 60 und 100 Kilometer an den Amateurrennen teil.