Brisbane. Für Deutschland beginnt die K.o.-Phase schon in der Gruppe. Der Druck ist groß – aber die Bundestrainerin bleibt zuversichtlich.
Vielleicht musste es so sein, dass nicht mal Brisbane bei der Erleuchtung der deutschen Fußballerinnen sofort mitgespielt hat. Mag die lässige Millionenstadt an der australischen Ostküste stets mit ihren 300 Sonnentagen prahlen, hat es am Mittwoch nicht geheißen: „big, bold, beautiful“ – also groß, keck und schön. Dafür hingen die Regenwolken zu dicht über den Hochhäusern im Stadtzentrum, zu dem auch jenes Stadion gehört, in dem die deutschen Fußballerinnen das dritte WM-Gruppenspiel gegen Südkorea an diesem Donnerstag (12 Uhr deutscher Zeit/ZDF) bestreiten. Sie bestimmen selbst die Aussichten für dieses Turnier, das bald in die entscheidende Phase geht. Siegen oder fliegen?
Mit einem Erfolg wäre der Achtelfinaleinzug klar, für den Gruppensieg bräuchte es allerdings noch Hilfe von Marokko im Parallelspiel gegen Kolumbien. Im schlimmsten Falle könnte eine Niederlage das Aus bedeuten. Das Schreckensszenario hat indes nur die DFB-Reiseabteilung im Kopf, die längst professionell alle Optionen abklopfen muss. Der mal so logisch klingende Masterplan, sich als Erster der Gruppe H vor allem mit Spielen in Sydney den Traum vom dritten Stern in Down Under zu erfüllen, ist eigentlich schon in der Tonne gelandet.
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat bereits entspannter gewirkt als bei der Pressekonferenz vor dem dritten Match. Man habe die Dinge kritisch angesprochen, aber auch Vertrauen vermittelt: „Deshalb ist es nicht nötig, künstlich den Pausenclown zu spielen. Wir haben überwiegend gute Stimmung.“ Sie hat viele Gespräche geführt, gerade auch mit ihrer Assistentin Britta Carlson, deren Einfluss in personellen Fragen nicht zu unterschätzen ist. Es braucht Veränderungen, um im letzten Drittel mehr Abschlüsse zu kreieren. „Es ist klar, dass es Gedankenspiele gibt“, gab die Chefin zu.
Deutschland: Rückt Lea Schüller in die Startelf?
Gut möglich, dass mit Lea Schüller eine zweite Zielspielerin in die Startelf rückt, um die Größenvorteile gegen die Asiatinnen auszuspielen. Alexandra Popp würde sich dann tiefer fallen lassen, was die Kapitänin beim VfL Wolfsburg zur Genüge kennt. Lina Magull, die auch beim FC Bayern in der Endphase der Saison überspielt wirkte, bekäme eine Verschnaufpause. Dazu feiert Abwehrchefin Marina Hegering, die ihre Fersenprellung auskuriert hat, endlich ihr Debüt bei dieser Endrunde. Auf einen Startelfeinsatz von ihr wollte sich Martina Voss-Tecklenburg zwar noch nicht festlegen, sagte aber: „Das bedeute ganz viel, dass Marina wieder so auf dem Trainingsplatz steht, dass sie komplett ihre Leistung bringen kann. Das ist dann natürlich ein Mehrwert für jede Mannschaft.“
Allgemein hielt die Bundestrainerin fest: „Wir bleiben bei uns. Wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen, und wir gehen die nächsten Schritte zusammen.“ Die 55-Jährigen hatte zwar immer vor den Gegnern gewarnt, aber im Gegensatz zu Gruppen mit Spanien und Japan, USA und Niederlande oder England und Dänemark hatte Deutschland keinen echten Hochkaräter in Auckland zugelost bekommen. Ergo sollte in der Vorrunde drei Mal Selbstvertrauen getankt werden.
Die DFB-Frauen haben sich nun bereits früh in Bedrängnis gebracht, wie Torhüterin Merle Frohms einräumte: Man merke, „dass viel Druck auf uns lastet. Wir wissen um die Bedeutung des Spiels, alles andere als ein Sieg ist nicht drin.“ Immerhin hat sie einige Vorderleute, die das in positive Energie ummünzen wollen. sagte Nationaltorhüterin Merle Frohms „Ich glaube, dass der Druck auch immer ein bisschen dazugehört, um seine Leistung abzurufen“, erklärte Abräumerin Lena Oberdorf und ergänzte: „Wenn man zu locker in ein Spiel geht, wird es auch nichts. K.o.-Spiele sind für uns nichts Neues. Nur fängt es jetzt ein Spiel früher damit an.“
Deutschland bei der WM: Frische Gesichter gibt es nicht
Unter dieser pragmatischen Prämisse hatte schon der Sportliche Leiter Joti Chatzialexiou den Ausrutscher gegen Kolumbien verstanden. Doch war diese Last-Minute-Niederlage wirklich nur das? Oder Vorbote einer seit der EM in England zu beobachtenden Stagnation? Frische Gesichter bei der WM in Australien? Eigentlich ja Fehlanzeige. Chantal Hagel links hinten ist ein Notnagel, der auf dieser Position nicht ausgebildet ist; Sjoeke Nüsken muss auch in Hinblick auf die Anforderungen beim FC Chelsea in zentraler Position dringend lernen, den Körper besser einzusetzen.
Noch müssen Diskussionen über defizitäre Grundlagen nicht geführt werden, wenn Deutschland seiner klaren Favoritenrolle gegen die punkt- und torlosen Südkoreanerinnen gerecht wird. Deren Trainer Colin Bell – mit Voss-Tecklenburg hin und wieder im WhatsApp-Austausch – hat zwar am Tag vor der direkten Begegnung „lass dich überraschen, Martina!“ geflötet, aber nur weil der Deutschland-Kenner kurz vor seinem 62. Geburtstag vielleicht eine in den USA ausgebildete 16-Jährige (Casey Phair) aufbietet, muss ein zweifacher Weltmeister ja nicht in Ehrfurcht erstarren. Auch die taktische Flexibilität des Gegners darf gar keine Rolle spielen.
Vielleicht nehmen sich die deutschen Spielerinnen einfach an den Bewohnern der Ausrichterstadt der Olympischen Sommerspiele 2032 ein Beispiel. In Brisbane gibt es nach erstem Augenschein eine Menge junger, cooler Menschen, die das Leben gerne genießen. Weil sie wissen, dass schon nach einem schlechten Tag wieder die Sonne scheint. Es gibt von Flensburg bis Passau viele (neue) Fans, die sich einen solchen Umschwung auch für die DFB-Frauen wünschen. Ein Millionenpublikum schaut nun zu, ob die Erleuchtung gelingt.