Wyong/Sydney. Die Auftritte der australischen Fußballerinnen wecken Interesse und Neugier. Nicht in jedem Winkel des Landes kommt die WM 2023 an.

Es ist wahrlich nicht zu behaupten, dass jeder Pub in Australien sein Programm ändert, weil gerade die Frauen-Weltmeisterschaft down under läuft. Im Grand Hotel Wyong, was vom Namen besser klingt, als es hier in Wahrheit ist, haben sie zwar fast ein Dutzend Fernseher für Sportübertragungen im Erdgeschoss des integrierten Pubs hängen, aber trotzdem ist noch nie Fußball gezeigt worden. Manchmal finden die Bediensteten angeblich die Sender nicht.

Die Wahrheit ist, dass es sich hier um einen Anlaufpunkt für raue, trinkfeste Herrschaften handelt, die schlicht nach den typischen Sportarten des Landes verlangen: Rugby, Cricket – und natürlich Australian Football. Ausgerechnet die Ortschaft mit dem Basecamp der deutschen Fußballerinnen kann sich im Kern also für Fußball nicht wirklich erwärmen, was aber auch nicht schlimm ist.

Es reicht ja, wenn in den großen WM-Städten ein Mix aus Neugier und Begeisterung entsteht, die in Einzelfällen auch in Ekstase umschlägt. Dafür steht beispielsweise Fatima Flores, die mit ihrer gedrungenen Figur und ihrem breiten Lachen schon so etwas wie der Superfan der Matildas, wie die australischen Nationalspielerinnen genannt werden, geworden ist. Liebevoll „Football Fatty“ genannt, die natürlich fürs zweite WM-Gruppenspiel gegen Nigeria (Donnerstag, 12 Uhr deutscher Zeit/ZDF) schon wieder aus dem Häuschen ist. Die Fifa hat mit ihr ein Werbevideo gedreht.

Australien zeigt große Fortschritte bei der WM

Sie war schon bei der WM 2019 in Frankreich dabei, als die australischen Fußballerinnen in Grenoble vor den Augen von Fifa-Präsident Gianni Infantino mit einem 4:1 gegen Jamaika den Achtelfinaleinzug schafften. Vierfache Torschützin: Sam Kerr. Es heißt bis heute, dass jene stimmungsvolle Partie am Fuße der Alpen Infantino einen Anstoß gab, das Teilnehmerfeld einer Frauen-WM schnellstmöglich zu erweitern.

Welchen Fortschritt insbesondere der WM-Mitausrichter Australien gemacht hat, war vielleicht nicht beim schwer erkämpften 1:0 im Auftaktspiel gegen Irland zu sehen, aber im langen Vorlauf, in dem unter anderem ein Sieg gegen Europameister England heraussprang. Es ist fürs Team fast eine Tragödie, dass sich ausgerechnet die für den FC Chelsea spielende Torjägerin Kerr kurz vor dem Startschuss an der Wade verletzt hat. Besessen wird darüber spekuliert, was denn die 29-Jährige wirklich hat.

Als Kyra Cooney-Cross von einem „Wadenriss“ sprach, gingen Schockwellen durch die Reporterschar. Australiens Verband stellte sofort klar, dass die Mitspielerinnen nicht in die medizinischen Informationen eingeweiht seien und dass die junge Mittelfeldspielerin versehentlich die falsche Terminologie verwendet habe.

Mag ja sein, aber der Kompressionsverband um die Wade der Angreiferin ist nun einmal da. Es scheint, als könne die Ikone frühestens in der K.-o.-Runde helfen, obwohl sie doch von den Werbetafeln aller Großstädte leuchtet. Ihr Konterfei ist omnipräsent. Keine leichte Aufgabe für Nationaltrainer Tony Gustafsson, diesen Zwiespalt zu moderieren: seine Starspielerin nicht abzuschreiben – und ihre Vertreterinnen stark zu reden.

Australierinnen haben ihr Quartier in Brisbane

„Ich denke, wir haben den besten Kader, den wir je hatten“, sagte Mittelfeldspielerin Tameka Yallop fast schon trotzig. Das zweite Gruppenspiel wird jetzt in Brisbane gespielt, wo es wärmer und sonniger als in den anderen Spielorten ist. Deshalb können hier auch vom 23. Juli bis 8. August 2032 bedenkenlos die Olympischen Sommerspiele steigen. Die Vergabe befördert die Stadt international aus dem Schatten von Sydney und Melbourne. Und es ist ja auch kein Zufall, dass sich Australiens Nationalteam hier ihr Stammquartier gesucht hat.

Annehmlichkeiten wie bei der Heim-WM haben Mary Fowler oder Caitlin Foord nicht mal bei ihren Vereinen in Europa: Jeder Wunsch wird ihnen im Rydges South Bank Brisbane von den Lippen abgelesen. Wer müde ist, kann vor sein Zimmer ein kleines Schild stellen, nicht gestört zu werden. Am Spieltag wird es anderswo wieder laut: Die Fanzone am Tumbalong Park im Herzen von Sydney ist vielleicht kein Geheimtipp, wohl aber der Irish Pub James Squire. Hier treffen sich insbesondere jene Studentinnen, die aus Europa kommen und ihre dort erworbene Vorliebe für den Fußball nun in Australien teilen können. An einigen Orten geht das, wenn Australien spielt. Nur nicht in Wyong.