Hamburg. Neue deutsche Olympia-Bewerbung? DOSB bittet Bevölkerung um Stimmungsbild. Berlin, Leipzig, München, Hamburg, NRW sind die Kandidaten.

Sieben gescheiterte Anläufe, zuletzt im November 2015 mit dem negativen Bürgerreferendum in Hamburg, und zuletzt noch ein Gezeter mit der Privatinitiative Rhein Ruhr City und dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) um eine Bewerbung haben dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und seinen Mitgliedsorganisationen schwer zugesetzt. Kaum überraschend also, dass vor einer erneuten Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele ein neuer und in dieser Form beispielloser Prozess stehen soll, den der Dachverband nach sieben Monaten Vorbereitungszeit an diesem Freitag auf der Internetseite www.deine-spiele.de öffentlich macht.

DOSB sucht den Dialog mit der Bevölkerung

„Wenn wir es diesmal nicht mit einem modernen Ansatz gemeinsam schaffen, wird es für Jahrzehnte schwierig bis unmöglich, einen weiteren Versuch auf die Schiene zu bringen“, sagt Stephan Brause, seit 1. April Leiter der Stabsstelle Olympiabewerbung. Deshalb soll, bevor es Antworten auf die Fragen nach dem Wie und dem Wo gibt, in einem vollkommen ergebnisoffenen Dialog mit der Bevölkerung die Frage nach dem Warum erörtert werden. „Es gibt aktuell keine deutsche Bewerbung, und wenn am Ende unseres Prozesses steht, dass diese nicht von der Mehrheit der Bevölkerung gewünscht ist, wird es auch keine geben“, sagt Brause.

Die Faktenlage ist klar: Es gibt fünf interessierte und geeignete Regionen in Deutschland, die der DOSB in den Prozess eingeladen hat: das Land Bayern mit München, das Land Sachsen mit Leipzig, das Land Nordrhein-Westfalen mit mehreren Städten und die beiden Stadtstaaten Berlin und Hamburg. Die einzige Prämisse, die der DOSB der Diskussion voranstellt, ist jene, im Sinne der Nachhaltigkeit und des Eindämmens des olympischen Gigantismus keine Neubauten anzustreben, sondern komplett aus dem Bestand zu planen. „Sanierungen bestehender Sportstätten sind sicher notwendig, aber es dürfen keine hohen Baukosten für Olympia entstehen, sondern lediglich Kosten durch Olympia, zum Beispiel für die Modernisierung von Infrastruktur für die Allgemeinheit, die auch nach den Spielen genutzt werden kann“, so Brause.

Es gibt fünf Kandidaten in Deutschland für eine Olympia-Bewerbung: Das Land Bayern mit München, das Land Sachsen mit Leipzig, das Land Nordrhein-Westfalen mit mehreren Städten und die beiden Stadtstaaten Berlin und Hamburg.
Es gibt fünf Kandidaten in Deutschland für eine Olympia-Bewerbung: Das Land Bayern mit München, das Land Sachsen mit Leipzig, das Land Nordrhein-Westfalen mit mehreren Städten und die beiden Stadtstaaten Berlin und Hamburg. © ffs

Keine der fünf Regionen kann alle für die Spiele notwendigen Sportstätten vorweisen. Rhein Ruhr City warb stets mit 90 Prozent, laut DOSB hat Berlin mit gut 70 Prozent die höchste Abdeckungsquote; die anderen Regionen weniger, wobei es genaue Zahlen aktuell nicht für alle Standorte gibt. Das bedeutet: Eine Bewerbung funktioniert nur mit sogenannten Clustern aus mindestens zwei und maximal vier Regionen. Zwar werden seit Jahrzehnten Wettbewerbe wie zum Beispiel im Fußball oder beim Segeln ausgelagert, bislang aber setzte das IOC stets auf eine zentrale Ausrichterstadt. Davon jedoch sind die Herren der Ringe abgerückt, im von mehreren Tausend auf rund 350 Seiten abgespeckten Host City Contract (Gastgebervertrag) sind landesweite und sogar länderübergreifende Bewerbungen explizit zugelassen.

Olympia-Bewerbung im Zeitraum von 2036 bis 2042 möglich

Der Zeitraum, für den der DOSB eine Bewerbung für sinnvoll erachtet, er-streckt sich von den Sommerspielen 2036 bis zu den Winterspielen 2042. Ob der neue Anlauf für Sommer oder Winter genommen wird, welche Städtekonstellationen denkbar erscheinen und welche Sportstätten in welchem Umfang saniert werden müssen – all das will der DOSB, anders als bei vorherigen Bewerbungen, zunächst nicht vorgeben. Stattdessen wird in einer Szenarienanalyse in verschiedenen Stufen bis Jahresende ein Stimmungsbild erstellt, um zu einer fundierten Einschätzung zu gelangen.

Regelmäßig erhobene Abfragen ergeben zwar aktuell eine bundesweite Zustimmung zu einer erneuten Olympiabewerbung von rund 70 Prozent, doch für eine konkrete Ausgestaltung braucht es deutlich mehr Input. Deshalb startet in Kooperation mit der Agentur TAS Emotional Marketing am 10. August eine bis Ende September laufende, zehnteilige Reihe von Fachgesprächen, die in einem TV-Studio in Essen aufgezeichnet und per Livestream allen Interessierten zugänglich gemacht werden. Darin geht es in jeweils 60 bis 90 Minuten um die fünf Themenfelder Sport, Wirtschaft, Gesellschaft, Nachhaltigkeit sowie Vergangenheit und Zukunft, die von Expertinnen und Experten beleuchtet werden.

Anschließend wird es bis Ende Oktober – genaue Termine stehen noch nicht fest – in Dialogforen in den fünf interessierten Regionen die Möglichkeit der Teilhabe geben. Alle gesammelten Erkenntnisse werden validiert und gewichtet und fließen dann in die sogenannte „Frankfurter Erklärung“ ein, die am 2. Dezember auf der Mitgliederversammlung des DOSB eine Grundlage dafür bilden soll, eine mögliche Bewerbung anzugehen – oder eben auch aufzugeben.

„Der DOSB verhält sich bis dahin bewusst neutral, da wir auch allen Vorbehalten Raum geben und herausarbeiten wollen, welchen Nutzen eine Bewerbung für alle Bereiche der Gesellschaft haben kann“, sagt Stephan Brause. Die Athletinnen und Athleten, mithin die Hauptpersonen des größten Sportereignisses der Welt, wurden über ein Dialogforum bereits eingebunden, sie sind über die Athletenkommission des DOSB und den Verein Athleten Deutschland ständiger Teil des Prozesses. Die Emotionalisierung, die zum Beispiel der Hamburger Bewerbung in ihrer Endphase gefehlt hatte, solle erst nach dem Mai 2024 verstärkt werden. Dann würde ein konkretes Konzept inklusive der Gastgeberstädte vorgestellt werden.

Erst mit diesem wird es möglich sein, der Bewerbung ein Preisschild aufzukleben. Die Finanzierung – auch das ein Lerneffekt aus dem Hamburger Scheitern – ist der wichtigste Faktor. Man vertraue, so Brause, dem Reformprozess des IOC, das beginnend mit den Sommerspielen 2024 in Paris ein neues Konzept verfolge, das auf mehr Nachhaltigkeit und weniger Gigantismus setze. „Wenn das nicht gegeben wäre, würden wir uns gar nicht mit einer neuen Bewerbung befassen.“

DOSB trägt Kosten für den Prozess

Die Kosten für den aktuellen Prozess, die für dieses Jahr auf 960.000 Euro taxiert sind, trägt der DOSB aus Rücklagen komplett selbst. Auf die Städte, die bis Jahresende eine politische Willenserklärung zur Ausrichtung abgeben müssen, kämen erst Kosten zu, wenn diese als Bewerber aus-gewählt seien. Und was über allem steht: Das für Mai 2024 avisierte Konzept soll nach Ansicht des DOSB von der Bevölkerung in den betreffenden Regionen per verbindlichem Mandat mehrheitlich angenommen werden. Ein bundesweites Referendum ist verfassungsrechtlich nicht möglich. Und stimmt nur eine Region gegen die Bewerbung, gilt diese komplett als abgelehnt. „Es geht nur gemeinsam oder gar nicht, alle gewinnen oder verlieren“, sagt Stephan Brause, „aber wir sind zuversichtlich, dass wir dank des neuen Konzepts und der frühzeitigen Einbindung der Bevölkerung dieses Mal gewinnen werden.“