Kassel. Einige deutsche Leichtathletik-Hoffnungen trainieren in den USA. Gina Lückenkemper lobt vor ihrem Auftritt bei den Meisterschaften die Bedingungen. Ein Beispiel zeigt, dass es auch anders geht.
Der Weg zum Erfolg ist weit, so manche deutsche Leichtathletik-Hoffnung für die Weltmeisterschaften hat er zuletzt über Amerika geführt.
So wie den Zehnkämpfer Leo Neugebauer, der bislang in diesem Jahr weltweit die Nummer eins in seiner Disziplin ist. Oder Sprint-Europameisterin Gina Lückenkemper, für die die deutschen Meisterschaften an diesem Wochenende in Kassel eine wichtige Station Richtung WM darstellen. Vom 19. bis 27. August steht in Budapest der Saison-Höhepunkt an.
Dann geht der neue deutsche Rekordler Neugebauer zumindest als Mitfavorit an den Start. Für die Leistungsexplosion hin zu 8836 Punkten sieht er seine Bedingungen an der Universität der texanischen Hauptstadt Austin als Hauptgrund. Der 23-Jährige hatte sich 2020 für ein Sportstipendium in den USA entschieden.
„Optimale Förderung“
„Ich erhalte hier eine optimale Förderung. Die Konzentration von Wohnen, Sporteinrichtungen, Studienbedingungen und medizinischer Versorgung auf einem Campus ist einfach besonders und bringt viele Vorteile für mein Training und meine Leistungen“, erklärte Neugebauer jüngst noch einmal im Magazin „Leichtathletik“.
Er erhält regelmäßig Physiotherapie und wird medizinisch überwacht, außerdem hat er dank des Stipendiums keine finanziellen Belastungen. Sein Tag ist streng durchgetaktet, Neugebauer steht früh um halb sechs auf, trainiert zweimal und absolviert parallel sein Wirtschaftsstudium.
Solche harten Tage kennen viele seiner Leichtathletik-Kolleginnen und -kollegen in Deutschland auch. Doch etliche von ihnen müssen jeden Tag mehrere Stunden für die Fahrt zum Training opfern.
Lückenkemper bereut Schritt nicht
Doppel-Europameisterin Gina Lückenkemper - vor sieben Jahren in Kassel erstmals deutsche Meisterin - ging 2019 erstmals in eine hochkarätige Trainingsgruppe in die USA. Fast mit ein bisschen Angst, wie sie kürzlich dem TV-Sender Sky verriet. Doch sie hat es nicht bereut, weil sie aus dem gemeinsamen Training mit Olympiasiegern und Weltrekordlern unfassbar viel lernen könne - auch deren Willensstärke. So habe sie einmal den 200-Meter-Weltrekordler Noah Lyles um Rat gefragt, berichtete die 26-jährige Westfälin im Bayerischen Rundfunk.
In Deutschland sei so etwas leider nicht möglich, weil die Trainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes aktuell keine internationalen Athleten trainieren dürften. „Das wirkt sich auf die gesamte Trainingslandschaft aus. Wir hemmen uns selbst damit“, beklagte Lückenkemper.
Dazu kommt auch ohne Wettkampf eine Konkurrenzsituation auf hohem Niveau. Allerdings müsse sie auch viele Opfer bringen, sagte Lückenkemper, die manchmal drei Monate am Stück in Florida verbringt. „Es ist dann doch ein sehr einsames Leben in Amerika, weil meine ganze Familie und meine Freunde alle zu Hause in Deutschland sind.“
Klosterhalfen von Oregon nach North Carolina
5000-Meter-Europameisterin Konstanze Klosterhalfen, die bei den nationalen Meisterschaften über die ungewohnt kurzen 800 Meter antreten will, trainiert schon lange in den USA. Die 26-Jährige gehört nun zu einer Gruppe in North Carolina, nachdem sie zuvor lange in Oregon war.
DLV-Cheftrainerin Annett Stein bezweifelt zwar, dass Lückenkemper und Klosterhalfen in ihren Profiteams viele Vorteile haben. Doch auch sie würde die Besten in Deutschland gern täglich gemeinsam in Trainingsgruppen sehen, weil dann eine eigene Dynamik entstehe. „Wenn es uns gelingt, solche Leistungsgruppen zu schaffen, würden wir unsere Potenziale besser ausschöpfen können“, sagte Stein.
Lückenkemper holte bei der verkorksten WM im Vorjahr in den USA mit der 4x100-Meter-Staffel überraschend Bronze. Die andere Medaille für das deutsche Team sicherte mit Gold Malaika Mihambo. Bei der Weitsprung-Weltmeisterin und -Olympiasiegerin stand auch mal die Idee von Training in den USA bei Carl Lewis im Raum - sie entschied sich dann aber doch dafür, in Deutschland zu bleiben.