Hamburg. Die 28 Jahre alte Schweizerin kann auf Winning Spirit als erste Frau das Deutsche Galopp-Derby in Hamburg gewinnen. Was die Besitzer sagen.
Am Donnerstag hatte sie ihren arbeitsfreien Tag. Sightseeing, ein bisschen Bummeln, entspannen, standen auf dem Programm von Sibylle Vogt. „Ich habe bisher wenig von Hamburg gesehen. Das wollte ich nachholen“, sagt sie. Am Sonntag wiederum, beim 154. Deutschen Galopp-Derby auf der Horner Rennbahn, will sie gesehen werden.
Winning Spirit wurde Zweiter im italienischen Derby in Rom
Mit dem braunen Hengst Winning Spirit reitet die 28 Jahre alte Schweizerin einen der Mitfavoriten auf die Siegprämie von 390.000 Euro, die höchste, die es auf deutschen Rennbahnen zu verdienen gibt. Im Vorjahr gewann Vogt mit Nerik das fünfte und letzte Preisgeld beim Derby. „Wir waren auf der Zielgeraden anfangs etwas eingeklemmt, Nerik hat vielleicht nicht sein ganzes Können entfalten können, aber selbst bei optimalem Rennverlauf hätte es wahrscheinlich nicht zum Sieg gereicht“, sagt Vogt.
Winning Spirit, am 21. Mai Zweiter des italienischen Derbys in Rom, ist nach Winterfavorit Fantastic Moon (Startnummer drei) mit der Startnummer fünf die zweite Farbe des ambitionierten Stalls Liberty Racing. „Sibylle hat für uns in Rom ein tolles Rennen geritten, sie kennt Winning Spirit bestens“, sagt Liberty-Racing-Manager Lars-Wilhelm Baumgarten (51). „Wir freuen uns jetzt auf den Sonntag.“
Das Geläuf auf der Horner Rennbahn ist in bestem Zustand
Der Hengst wird von Peter Schiergen in Köln trainiert. Sibylle Vogt ist bei Schiergen (58) nach René Piechulek (36), der Fantastic Moon sattelt, zweiter Jockey am Stall Alsterblüte.
Das Feld der 20 Derbystarter sei relativ ausgeglichen, sagt Vogt. „Bei schwerem Boden hat möglicherweise Mr Hollywood Vorteile, aber das Geläuf in Horn ist mit seiner dichten Grasnarbe bisher in einem hervorragenden Zustand. Besser habe ich es noch nicht gesehen.“ Sie ist im fünften Jahr in Horn dabei. Am vergangenen Sonntag gewann sie bereits zwei Rennen, insgesamt 282 Siege feierte sie bisher.
Sibylle Vogt wäre die erste Frau, die das Deutsche Galopp-Derby gewinnt
Winning Spirit, der aus Box 13 startet, „was ganz okay ist“, habe sie bei der Abschlussarbeit „voll überzeugt“, er habe sich in den sechs Wochen nach dem Derby in Rom noch mal verbessert. „Ich habe richtig Mumm auf ihn. Er ist ein Kämpfer, der super zu reiten ist.“ Vogt wäre die erste Frau in der Geschichte des Traditionsrennens, die das Deutsche Derby gewinnt.
Gut ein Jahrhundert lang blieben Frauen im Galopprennsport Zuschauerinnen. Das hat sich in den vier vergangenen Jahrzehnten geändert, inzwischen interessieren sich weit mehr Frauen als Männer für diesen anspruchsvollen, nicht ungefährlichen, aber selten gut bezahlten Beruf. Vogt brach sich schon Hals und Bein. „Den Bruch des Halswirbels habe ich gar nicht mitbekommen“, erzählt sie.
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Das Zusammenspiel zwischen Pferd und Reiter sei das Faszinierende am Galopprennsport, „die Geschwindigkeit, die gemeinsamen Anstrengungen, alles im Rennen herauszuholen. Das sind jedes Mal tolle Erlebnisse“, sagt Vogt, die sich als Jockey, nicht als Jockette bezeichnet. „Ich bin kein Freund vom Gendern. Wir haben denselben Beruf, dann haben wir bitte auch dieselbe Berufsbezeichnung.“ Besitzer und Trainer schätzen an ihr, dass sie sich an die Rennorder hält, diese aber nach Verlauf perfekt anpassen kann.
Vogt fing im Alter von fünf Jahren mit dem Reiten auf einem Pony an
Frauen haben nun mal genetisch bedingt weniger Muskeln als Männer, sagt Vogt, „wir haben also Nachteile im Bereich Kraft, müssen das irgendwie kompensieren. Vielleicht haben wir die größere Ausdauer, möglicherweise ein besseres Gefühl für die Pferde, wissen, wann und wo wir sie fordern können.“ Kraft werde vor allem dann ein Faktor, „wenn die Pferde gegen Ende des Rennens müde werden, wir viel Aufwand betreiben müssen, sie in der Spur zu halten“. Bislang habe sie auch diese Herausforderung stets gemeistert.
Vogts Leidenschaft für Pferde entwickelte sich früh. Mit fünf Jahren ritt sie ihr erstes Pony, mit elf bestritt sie ihre erste Fuchsjagd, sammelte die meisten Fuchsschwänze ein – und wurde Erste. „Ich hatte ein sehr schnelles Pony“, sagt sie. Noch im selben Jahr wurde Vogt Schweizer Meisterin. Später machte sie eine dreijährige Lehre als Rennreiterin bei Carmen Bocskai. „Die Alternative war für mich, zur Polizei zu gehen. Da fiel mir die Entscheidung nicht schwer. Und heute weiß ich, es war die absolut richtige.“
2021 gewann Vogt als erste Frau ein klassisches Rennen in Deutschland, die German 1000 Guineas in Düsseldorf. Am Sonntag könnte der nächste Eintrag in die Geschichtsbücher folgen, schließlich steckt bei Winning Spirit der Siegeswille schon im Namen. Sibylle Vogt lacht bei diesem Gedanken. In der Galopperszene würden viele der sympathischen Schweizerin diesen Erfolg gönnen.
Freitagnachmittag geht es um 30.000 Euro beim Preis von Lotto Hamburg
Nachdem am Mittwoch im Langen Hamburger die Steher über 3200 Meter in die Boxen rückten, sind am Freitag (11 bis 18 Uhr) die Flieger an der Reihe: Im Großen Preis von Lotto Hamburg (15.25 Uhr) über 1200 Meter geht es um 30.000 Euro. Setzen sich die mitfavorisierten Galopper durch, fließt ein Großteil des Preisgeldes nach Frankreich – und nach Winterhude. Die sechsjährige Stute Clever Candy, Seniorin im siebenköpfigen Feld, trägt nicht nur Jockey Bayarsaikhan Ganbat (38), einen gebürtigen Mongolen, sondern auch die Hoffnungen einer hanseatischen Besitzergemeinschaft. Daran beteiligt ist Dr. Peter Wind (72), Bahnarzt in Horn.
Ähnlich starke Formen weisen Best Flying (Martin Seidl) sowie die aus Frankreich angereiste Dreijährige Aubazine vor. Sie wird von Guillaume Trolley De Prevaux geritten und von Tim Donworth nördlich von Paris vorbereitet. Aus dem Trainingsquartier in Chantilly stammte mit Alpenblume die Siegerin des Hauptrennens am vergangenen Sonntag.
Für Erstaunen sorgt eine wenig publikumsfreundliche Pause von 100 Minuten zwischen dem fünften und sechsten Rennen. Ursache ist die Übertragung der Rennen in ausländische Wettbüros.