Hamburg. Olaf Tabor, neuer Vorstand Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund, erklärt seine wichtigsten Aufgabenfelder.

Vielleicht ist es als gutes Zeichen für den deutschen Leistungssport zu werten, dass sein neuer wichtigster Mann sich von Konventionen nicht davon abbringen lässt, ein hohes Tempo anzuschlagen. Die allgemein übliche Frist von 100 Tagen zumindest, die Menschen in Führungspositionen zur Einarbeitung in die neuen Themenbereiche vor einem ersten Fazit zugestanden werden, nimmt Olaf Tabor für sich nicht in Anspruch. Seit dem 1. April ist der 52-Jährige beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als Nachfolger von Dirk Schimmelpfennig, dessen Vertrag nicht verlängert worden war, als Vorstand Leistungssport im Amt. Am Mittwochmittag – und damit nach 40 Tagen Amtszeit – lud er das Abendblatt zu einem Gespräch über die künftige Ausrichtung seiner Arbeitsfelder.

In den 90 Minuten, die der in Texas geborene Dachauer zum ausführlichen Referieren nutzte, wurde vor allem das Dilemma deutlich, in dem der Leistungssport in Deutschland aktuell steckt. Schnelle Verbesserungen wären dringend vonnöten, um die negative Entwicklung der sportlichen Erfolgsbilanzen bei internationalen Großereignissen nicht nur aufzuhalten, sondern umzukehren. Zu erreichen sind diese aber wegen des hohen Grads an Bürokratisierung und der Vielzahl der am Prozess beteiligten Parteien nur auf der Langstrecke.

Entbürokratisierung als Ziel

Man spürt sofort, dass Olaf Tabor, der als Fußballer auf der Sechserposition vieles im Sprint erledigte und dies – mit vermindertem Tempo sicherlich – heute noch bei den Alten Herren des ASC Dachau einbringt, Geduld nicht zu seinen vorrangigen Charaktereigenschaften zählt. Er habe aus seiner Leitungsfunktion im Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband (ADH) und der mehr als zehnjährigen Erfahrung als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Alpenvereins (DAV), von dem er zum DOSB wechselte, mitgenommen, „dass bürokratische Hemmnisse Hürden mit sich bringen, mit denen viele Mitgliedsverbände zu kämpfen haben.“ Daraus wolle er eine Sensibilität entwickeln für die unterschiedlichen Bedürfnisse derer, für die er in seiner neuen Position verantwortlich zeichnet.

„Die Entbürokratisierung ist deshalb enorm wichtig, weil wir die Ressourcen, die darin verschwendet werden, an anderen Stellen im System viel dringender benötigen“, sagt er. Übersetzt heißt das: Das Vorankommen des Leistungssports ist nicht nur eine Frage von mehr Geld, das durchaus benötigt wird. Genauso müssen die rund 370 Millionen Euro, die der Bund jährlich in den Leistungssport pumpt, zielgerichteter eingesetzt werden, „um insbesondere die vorhandenen Stärken zu stärken“.

Leistungssportreform wird erneut reformiert

Um das zu ermöglichen, soll die vom Bundesministerium des Inneren (BMI) und dem DOSB Ende 2016 beschlossene Leistungssportreform erneut reformiert werden. Das Potenzialanalysesystem (PotAS) habe zwar durchaus aufschlussreiche Erkenntnisse geliefert, aber manche Verbände mit seinem bürokratischen Aufwand schlicht überfordert. Nun soll ein Sportfördergesetz, das auf Regionalebene bereits in 13 Bundesländern existiert, möglichst bis Jahresende ausgearbeitet sein. Daraus folgt die Gründung einer von DOSB und BMI unabhängigen Sportagentur, deren Kernaufgabe die Steuerung und Förderung des Spitzensports ist.

Klingt zwar erst einmal nach mehr statt weniger Bürokratie, ist aber für Olaf Tabor ein wichtiges Instrument, um „einen Teil der Knoten zu lösen, die aktuell eine positivere Entwicklung verhindern.“ Eine Bund-Länder-Sport-Arbeitsgruppe, in die auch die Athletinnen und Athleten eingebunden sind, beschäftigt sich aktuell in den vier Kernfeldern Leistungssportpersonal, Stützpunktsystem, Nachwuchs und Steuerung mit der Ausgestaltung der Feinstruktur des Grobkonzepts.

Konkrete Zielstellungen, an denen er sich messen lassen könnte, hat Olaf Tabor bewusst nicht formuliert, weil er noch nicht überblickt, welche Prozesse er beeinflussen kann und welche er hinzunehmen hat. „Ich kann nicht versprechen, dass sich die Medaillenausbeute 2024 in Paris oder erst 2032 in Brisbane verbessert haben wird. Mein Anspruch ist, die Organisation, für die ich arbeite, jeden Tag ein bisschen besser zu machen“, sagt er. Den Athletinnen und Athleten das Abrufen internationaler Topleistungen zu ermöglichen sei weiterhin der Anspruch. „Mit Mittelmaß gibt sich, das kann ich nach den ersten Wochen hier beurteilen, im DOSB niemand zufrieden“, sagt er.

Befürwortung von Olympischen Spielen in Deutschland

Eins seiner wichtigsten Anliegen in all seinen Tätigkeitsbereichen sei stets gewesen, Veränderungen anstoßen zu dürfen. Dass er das Dickschiff DOSB nicht allein auf einen völlig neuen Kurs bringen kann, ist Olaf Tabor natürlich bewusst, und vieles gefällt ihm ja auch. Die Förderung einer größtmöglichen Sportvielfalt möchte er beibehalten, eine deutsche Bewerbung um Olympische Spiele befürwortet er ebenso wie den Prozess, auf dem Weg dorthin die Bevölkerung maximal einzubinden und deren Zustimmung durch ein Referendum zu dokumentieren. „Diese Dinge sind im deutschen Sportsystem wichtige Standbeine“, sagt er.

Dennoch gibt es Projekte, die er unabhängig von der Trägheit der Institutionen sofort anstoßen möchte. Eine bessere Entlohnung der Trainerinnen und Trainer, um den „Brain Drain“ ins lukrativere Ausland aufzuhalten, ist eins. Sport als wichtigen Teil des Freizeit- und Betreuungskonzepts in den Ganztagsschulen zu verankern, um Talente zu fördern und Spaß an Bewegung und Wettkampf zu vermitteln, ein anderes.

„Der Impuls, sich zu messen und herausfinden zu wollen, wer der Beste ist, der ist auch in unserem Land noch da“, sagt Olaf Tabor zum Ende des Gesprächs. Es ist ein Satz, der allen Mut machen sollte, denen Leistungssport etwas bedeutet.