Hamburg. Clemens Wickler und Nils Ehlers trainieren in Miami für die Saison. Auch die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele steht an.
Temperaturen bis zu 31 Grad Celsius und Sonne satt – das sind die Wetteraussichten für die kommenden Tage des Trainingslagers in Miami (US-Bundesstaat Florida), das Nils Ehlers (29) und Clemens Wickler (27) am Dienstag dieser Woche bezogen haben. Deutschlands bestes Beachvolleyball-Nationalduo, das für den Eimsbütteler TV aufschlägt, holt sich an der US-Ostküste, wo an diesem Wochenende auch ein Turnier der „King of the Court“-Serie gespielt wird, den Feinschliff für die Saison 2023.
Viele wichtige Turniere für die Qualifikation zu den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris stehen an, das erste davon ist das Elite-16-Event in Tepic (Mexiko) vom 22. bis 26. März. Über die Saisonplanung und die Entwicklung, die sie im vergangenen Jahr genommen haben, sprechen Ehlers/Wickler im Abendblatt-Interview.
Hamburger Abendblatt: Herr Ehlers, Herr Wickler, Sie sind Anfang Februar mit einem starken fünften Platz beim Elite-16-Turnier in Doha in die vorolympische Saison gestartet. Haben Sie sich damit selbst überrascht?
Clemens Wickler: Überrascht nicht, wir haben schon im vergangenen Jahr gespürt, dass wir mit den besten Teams der Welt mithalten können, wenn wir an unserem Limit spielen. Das ist uns zwar nicht immer gelungen, aber wir wissen, dass und wie es geht.
Nils Ehlers: Wir haben uns das Selbstbewusstsein erarbeitet, sagen zu können, dass wir uns in der Spitze festspielen können. Wir haben in der vergangenen Saison gut und nachhaltig zueinandergefunden und brauchten keine lange Anlaufphase, um das zu spielen, was wir wollten. Nun geht es darum, all die Dinge zu präzisieren, die wir uns erarbeitet haben.
Herr Wickler, Sie haben nach dem Rücktritt Ihres Spielpartners Julius Thole im Herbst 2021 Nils Ehlers als neuen Teamkollegen ausgewählt. Um zu einer Einheit zu werden, braucht es Geduld. Wann hatten Sie im vergangenen Jahr erstmals das Gefühl, dass es nun zu 100 Prozent passt?
Wickler: Nils und ich kennen uns sehr lange, menschlich hatte ich deshalb nie einen Zweifel, dass es sofort passen würde. Spielerisch wusste ich, dass es gutgehen kann, weil sich unsere Stärken gut ergänzen. Wir hatten zu Beginn der Saison 2022 dann aber ein wenig Pech mit Verletzungen und zeitlichen Belastungen durch Bundeswehr-Lehrgänge. Doch seit wir richtig intensiv miteinander trainieren, läuft es sehr gut. Die Abstimmung ist zwar nie zu 100 Prozent abgeschlossen, weil man immer Details optimieren kann. Aber ich bin sehr zufrieden mit unserem aktuellen Stand.
Herr Ehlers, was hat sich für Sie verändert, seit Sie als Teil des besten deutschen Duos immer mit den Besten mithalten müssen?
Ehlers: Ehrlich gesagt nicht viel. Seit ich Leistungssport betreibe, habe ich mich damit beschäftigt, wie ich an meine Maximalleistung herankommen kann. Mein Anspruch an mich selbst hat sich deshalb nicht verändert. Je höher man kommt, desto dünner wird zwar die Luft. Aber das motiviert mich, und mein Selbstbewusstsein ist im vergangenen Jahr daran gewachsen.
Bei der WM in Rom kamen Sie nicht über das Sechzehntelfinale hinaus, bei der EM in München war im Viertelfinale gegen die norwegischen Weltmeister Anders Mol und Christian Sörum Endstation. Was fehlt Ihnen, um die Top fünf der Welt zu besiegen?
Wickler: Es gibt in erster Linie zwei Stellschrauben, an denen wir drehen müssen. Bei unserem eigenen Side-Out (bei Aufschlag des Gegners, d. Red.) lassen wir noch zu viele Bälle liegen, da müssen wir konstanter und variabler werden. Bei den ersten Bällen passt die Genauigkeit schon, aber im dritten Kontakt fehlen noch ein paar Dinge, da machen die Topteams einfach weniger Fehler als wir. Das zweite Element ist, dass wir beide als Spielertypen etwas zu zurückhaltend sind. Wir müssen mit noch mehr Überzeugung in die Ballwechsel gehen, um Schwächephasen besser zu überstehen und die Ruhe zu bewahren. Mol/Sörum sind dafür das beste Beispiel. Die juckt es gar nicht, wenn sie mal ein paar Punkte in Serie abgeben. Dieses Vertrauen in das eigene Spiel fehlt uns manchmal.
Wie trainiert man das? Was haben Sie in der Vorbereitung umgestellt?
Wickler: Grundsätzlich haben wir nicht viel umgestellt. Unser Stil bleibt, wir versuchen, über hohen Aufschlagdruck die Gegner unter Stress zu setzen und im Angriff Power-Volleyball zu spielen, das heißt, die Bälle schnell wegschlagen und so Druck erzeugen. Wir arbeiten an der Variabilität, haben einen neuen Pass eingebaut. Die größte Umstellung hatten wir, als wir neu zusammen waren. Da hat unser Trainer Thomas Kaczmarek einiges verändert. Jetzt arbeiten wir an Details, bei mir ist es zum Beispiel der Armzug. Ich kann die Bälle jetzt noch früher wegschlagen, um schneller zu sein als der gegnerische Blocker. Das hilft mir.
Wer mit Experten über Sie spricht, der hört meist, das Talent, es in die Spitze zu schaffen, sei gegeben. Und dann kommt das große Aber: Beide sind zu verletzungsanfällig. Stimmt das?
Ehlers: Ich kann und will nicht wegdiskutieren, dass ich in der Vergangenheit öfter Probleme mit den Knien hatte. Darauf spielen diese Aussagen ja meist an. Ich kann aber sagen, dass ich mich in dieser Vorbereitung so stabil wie noch nie fühle. Ich habe enorm hart im Kraftraum gearbeitet, viele Stabilisationsübungen gemacht. Wir absolvieren Sprungbelastungen in einer Intensität, die ich vorher noch nie hatte. Deshalb bin ich überzeugt, dass ich auf einem sehr guten Weg bin, meine Anfälligkeit auszumerzen.
Wickler: Seitdem wir mit Thomas Kaczmarek trainieren, haben sich unsere Belastungsgrenzen nach oben verschoben. Die Trainingsdauer ist länger, meist mindestens zwei Stunden, und die Arbeit im Kraftraum zahlt sich aus. Zudem habe ich gelernt, nicht mehr über Grenzen zu gehen, was früher dazu geführt hat, dass ich verletzungsanfälliger war. Ich fühle mich vom Trainer abgeholt, angespornt und gleichzeitig nicht unter Druck gesetzt. Er tut uns beiden sowohl sportlich als auch menschlich sehr gut. Auch ich fühle mich so stabil wie noch nie und habe keine Angst vor Verletzungen.
Ein weiteres Problem könnte sein, dass Ihnen national die Konkurrenz fehlt, an der Sie wachsen könnten. Bei den Frauen gibt es vier Duos, die um die zwei Olympiaplätze für Paris konkurrieren, bei den Männern sind Sie aktuell das einzige Team, das für Frankreich infrage kommt. Stört Sie das?
Wickler: Natürlich belebt Konkurrenz das Geschäft, und dass diese bei den Frauen aktuell höher ist, ist kein Geheimnis. Dennoch sehe ich die Situation im Männerbereich nicht so schwarz, wie manche sie malen. Das, was ich im Training von den Duos Lukas Pfretzschner/Robin Sowa und Paul Henning/Sven Winter sehe, ist deutlich besser, als es ihre Ergebnisse widerspiegeln.
Ehlers: Ich sehe es auch so, dass wir national eine gute Trainingsqualität bekommen. Außerdem haben wir ja auch international viel Austausch, so wie jetzt in Miami wieder. Insofern können und wollen wir uns nicht beklagen. Aber natürlich wäre es schön für den Verband, wenn sich bei den Frauen und bei den Männern je zwei Teams für die Sommerspiele in Paris qualifizieren.
Der Deutsche Volleyball-Verband steht seit Monaten in der Kritik, vor allem die Teams in der zweiten Reihe beklagen zu wenig Unterstützung, zu wenige Möglichkeiten, Turniere zu spielen. Wie geht es Ihnen als Topteam in der Kooperation mit dem DVV?
Wickler: Wir fühlen uns ausreichend und gut unterstützt. Unser Team steht, wir können uns komplett auf unser wichtigstes Ziel, die Qualifikation für Paris, konzentrieren. Natürlich kann ich nachvollziehen, dass Teams, bei denen das nicht so ist, unzufrieden sind. Aber man muss sich auch als Team immer darum bemühen, sich selbst zu optimieren. Als ich anfing, gab es vonseiten des Verbands überhaupt keine Unterstützung. Da hat sich grundsätzlich doch einiges verbessert über die vergangenen Jahre.
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Aber es fehlen aktuell allein am Stützpunkt Hamburg zwei Trainer, Teams aus der zweiten Reihe finden angesichts der Neuordnung der internationalen und nationalen Tour nicht ausreichend Möglichkeiten, um Punkte zu sammeln. Das muss doch auch Sie als Spitzenteam beunruhigen, dass der Unterbau wegzubrechen droht.
Wickler: Die Idealsituation wäre natürlich, dass ausreichend Geld vorhanden ist, um alle Teams optimal zu unterstützen. Was definitiv fehlt, ist ein Sportdirektor (der aktuelle Sportdirektor Niclas Hildebrand wurde im vergangenen Jahr entlassen, der Prozess vorm Arbeitsgericht läuft, d. Red.). Die Aktiven brauchen einen Ansprechpartner, der sich um alle sportlichen Belange kümmert.
Nun müssen Sie sich vermehrt um die eigene Planung kümmern. Das ist in dieser Saison nicht einfach, da der Jahreshöhepunkt mit der WM erst im Oktober in Mexiko ausgetragen wird. Wie funktioniert da die Trainingsperiodisierung?
Ehlers: Das wissen wir auch noch nicht so genau, aber das trifft ja alle Teams. Grundsätzlich bräuchte man zwischendrin im Sommer eine Phase, in der man einmal runterfährt. Viele Teams spielen jetzt ein paar Turniere und schauen dann mal, wie sie es machen. So halten wir es auch. Wir spielen jetzt drauflos, nehmen große Turniere mit und versuchen, unsere Ausgangsposition zu verbessern, indem wir möglichst viele Punkte sammeln.
Wickler: Wenn man bei Elite-16-Turnieren im Hauptfeld steht, kann man sich kaum erlauben, die auszulassen, weil sie am meisten Punkte bringen. Dementsprechend versuchen wir, so viele wie möglich zu spielen. Unser Trainer ist sehr gut darin auszurechnen, was das Beste für unsere Planung ist. Wir haben außerdem im Winter viel im hypertrophischen Bereich gearbeitet, damit uns hinten heraus, wenn die WM ansteht, nicht die Luft ausgeht. Die Grundlagen für eine gute Saison sind gelegt. Jetzt müssen wir es umsetzen.