Hamburg. Die deutschen Hockey-Herren schlagen Titelverteidiger Belgien im WM-Finale in Indien. Dabei lag das Team bereits 0:2 hinten.
Es passte ins Bild eines unglaublichen Turniers, dass der deutsche Matchwinner des Finales der Hockey-WM gegen Belgien eigentlich Nebendarsteller war. Jean Danneberg, in der Bundesliga Ersatztorhüter bei Rot-Weiß Köln, war am Sonntagnachmittag in Bhubaneswar (Indien) erst zum Penaltyschießen für Stammkeeper Alexander Stadler eingewechselt worden. Und dann lag der 20-Jährige, nachdem er gegen Belgiens siebten Schützen Tanguy Cosyns den 5:4-Sieg im Shoot-out festgehalten hatte, unter einer Jubeltraube aus schwarz gekleideten Nationalspielern begraben.
Dreimal hatte Danneberg parieren können – und mit Vincent Vanasch im Tor des Titelverteidigers ausgerechnet den Mann ausgestochen, der ihm in Köln den Stammplatz verwehrt. „Ich hätte es mir nicht besser erträumen können“, sagte er später.
Dannebergs Beitrag zum dritten WM-Titelgewinn nach 2002 und 2006 unterstrich letztlich, warum die Auswahl von Bundestrainer André Henning nach zehn Jahren des Darbens – der bis dato letzte Titel war der EM-Sieg 2013 – an die Weltspitze zurückkehren konnte. Es war die Mentalität einer Mannschaft, die als Einheit agierte und sich von Rückständen nie aus ihrem Konzept bringen ließ, die den unerwarteten Triumph ermöglichte. „Ich bin unglaublich glücklich für diese wahnsinnige Mannschaft. Ich habe einen riesigen Respekt dafür, was wir für ein Weltklassehockey spielen. Jetzt sind wir zurück an der Spitze“, sagte Henning.
Hockey-Herren lagen wieder 0:2 hinten
Wie schon im Viertelfinale gegen England (6:5 nach Penaltyschießen) und im Halbfinale gegen Australien (4:3), das das Spiel um Bronze 1:3 gegen die Niederlande verlor, lagen die deutschen Herren auch im Endspiel mit 0:2 hinten, nachdem Florent van Aubel (9.) und Cosyns (10.) ein dominantes erstes Viertel mit ihren Toren gekrönt hatten. Doch auch ein vom Kölner Tom Grambusch vergebener Siebenmeter (19.) brachte sie nicht aus der Ruhe. Der Krefelder Niklas Wellen (29.) und Gonzalo Peillat (41.) vom Mannheimer HC per verwandelter Strafecke glichen aus, und als der Kölner Kapitän Mats Grambusch (48.) zum 3:2 traf, war der Titel greifbar. Allerdings kann nicht nur Deutschland Rückstände drehen. Tom Boon schaffte knapp zwei Minuten vor Spielende per Strafecke das 3:3 und rettete die „Roten Teufel“ ins Penaltyschießen – was dem Olympiasieger von Tokio 2021 allerdings am Ende auch nichts nutzte.
Niklas Wellen, der mit sieben Toren nicht nur bester deutscher Schütze war, sondern auch zum besten Stürmer und Spieler des Turniers gewählt wurde, konnte sein Glück kaum fassen. Der 28-Jährige hatte schon während der Vorrunde für die Geschichte des Turniers gesorgt, als er in der Halbzeit des 2:2 gegen Belgien von der Geburt seines ersten Kindes erfahren und danach angekündigt hatte, nach seiner Rückkehr ein Foto seines Sohnes mit der Goldmedaille machen zu wollen. „Die vergangenen drei Wochen waren die mit Abstand verrücktesten meines Lebens. Der Titel macht mich sprachlos“, sagte er.
Unabhängig vom Titelgewinn bleiben die Entwicklungsschritte festzuhalten, die die Mannschaft in Indien gehen konnte. Dass die Offensive um Toptorschütze Wellen und das von Mats Grambusch geordnete Mittelfeld, in dem auch Hannes Müller vom Uhlenhorster HC stark aufspielte, höchsten Ansprüchen genügen würden, war erwartet worden. Umso wichtiger war, dass die Defensivarbeit, die schon beim Anlaufen im Sturm beginnt, im Vergleich zu den Olympischen Spielen 2021 in Tokio, die Deutschland auf Rang vier abschloss, deutlich verbessert werden konnte. Die Innenverteidigung, in der Mathias Müller vom Hamburger Polo Club eine Führungsrolle spielte, war gut organisiert, auch die Eckenabwehr passte. Stammtorhüter Stadler vom HC Den Bosch (Niederlande) hielt zwar in keiner Partie überragend, ist mit seinen 23 Jahren aber noch entwicklungsfähig.
Hockey-Herren über Mentalität zum WM-Titel
Besonders herauszuheben ist allerdings die besondere Mentalität, mit der Hennings Mannschaft ins Finale vorstieß. „Wenn man dreimal gegen Topgegner ein 0:2 dreht, dann ist das kein Glück, sondern Qualität. Das zeigt unsere herausragende mentale Stärke“, sagte der Bundestrainer. War in den vergangenen Jahren die Zielstrebigkeit im Abschluss bisweilen eins der größten Probleme, scheinen die DHB-Herren in puncto Effektivität wichtige Fortschritte gemacht zu haben.
Was zusätzlich Hoffnung für die kommenden Herausforderungen – die Heim-EM im August in Mönchengladbach mit der Chance, als Europachampion die direkte Qualifikation für Olympia 2024 in Paris zu schaffen – macht: Das Team hat in all seinen Teilen Entwicklungspotenzial. Vor allem die Strafecke, die angesichts von Topschützen wie Peillat, Lukas Windfeder (Uhlenhorst Mülheim) und Tom Grambusch bei diesem Turnier unter Wert ausgeführt wurde, kann noch gefährlicher werden. Lediglich im Halbfinale zeigte der vor einem Jahr eingebürgerte Argentinier Peillat, der insgesamt sechsmal traf, mit drei Eckentoren seine Weltklasse.
Nicht zu unterschätzen ist zudem der Fakt, dass der junge Kader – den Berliner Martin Zwicker (35) und den in den Niederlanden für Klein Zwitserland spielenden Marco Miltkau (32) ausgenommen – noch einige Jahre gemeinsam reifen kann. Wohin das führen kann, haben in den vergangenen Jahren die Belgier gezeigt. Ihnen komplett den Rang abzulaufen dürfte das nächste Ziel sein. Zunächst jedoch wird im Anschluss an den Rückflug nach Frankfurt am Montagabend bei einem Empfang in Köln gefeiert. Jean Danneberg wird dann wieder mittendrin sein.