Hamburg. Ursprünglich wollte Zimmermann an ihrem 40. Geburtstag dem Kampfsport abschwören – stattdessen zieht sie ein ehrliches Fazit.
Erleichtert war sie, als sie am vergangenen Sonntagmorgen aufwachte und sich noch genauso fühlte wie am Sonnabend. Es war ihr 40. Geburtstag, und diese Altersgrenze hatte Natalie Zimmermann lange als Zäsur betrachtet. „Aber wenn ich in den vergangenen Jahren eins gelernt habe, dann, dass es meist anders kommt, als man erwartet hat“, sagt sie. Und deshalb hat sie ihre Pläne, dem professionellen Kampfsport abzuschwören, bevor die Vier in ihrer Altersangabe vorn steht, über den Haufen geworfen. Ohne jedoch aus den Augen zu verlieren, dass sie längst auf die Zielgerade ihrer Karriere eingebogen ist.
Ihren runden Geburtstag hat die gebürtige Ostholsteinerin zum Anlass genommen, um Bilanz zu ziehen. Bilanz einer ungewöhnlichen Laufbahn, die im Januar 2020 eine Wendung nahm, die ihr Leben verändern sollte. Als frisch gekrönte Vizeweltmeisterin im Kickboxen hatte die Tochter eines Tierzüchters entschieden, im Alter von 37 Jahren den Schritt ins Profiboxen zu wagen; in der Annahme, auf ihre alten Kampfsporttage einmal in den Genuss zu kommen, sich an den Töpfen der Kampfbörsen zu laben, die Kickboxerinnen nicht einmal per Fernglas sehen.
Profiboxen: Zimmermann von „Die Akte Jane“ inspiriert
„Hätte ich geahnt, auf was ich mich da einlasse, dann hätte ich den Schritt wahrscheinlich nicht gemacht“, sagt sie rückblickend. Die 168 Zentimeter große Leichtgewichtlerin (Klasse bis 61,235 kg) hat zum Gespräch in das Wellnessstudio Body & Mind an der Rothenbaumchaussee geladen, das sie als selbstständige Physiotherapeutin und Personaltrainerin führt. Bunte Gemälde an der Wand geben Auskunft über ihren bekanntesten Klienten Udo Lindenberg, der als Künstler nicht nur musiziert, sondern auch malt.
Natalie Zimmermann war immer schon eine Nimmermüde. Den Weg in den Kampfsport fand sie als 20-Jährige, weil sie der Hollywoodfilm „Die Akte Jane“ inspirierte. Seitdem war sie getrieben davon, die Beste zu werden; um Geld ging es ihr dabei nie. „Ich kämpfe für Ruhm und Ehre. Hätte man mir einen WM-Titel angeboten oder stattdessen eine Million Euro, ich hätte den Titel genommen“, sagt sie. Das kann man glauben oder nicht.
Im Profiboxen wartete eine Machowelt
Fakt ist, dass ihr Hunger, es an die Spitze zu schaffen, extrem ist. So extrem, dass sie ihr Ziel, innerhalb von zwei Jahren Weltmeisterin im Profiboxen zu werden, nicht aufgab, als die Corona-Pandemie ihre Pläne durchkreuzte. „Jetzt aufzugeben, ist keine Option. Wenn man auf sein Leben zurückblickt, sieht man oft nicht das, was man erreicht, sondern das, was man verpasst hat. Ich würde mir das den Rest meines Lebens vorwerfen, es nicht versucht zu haben“, sagt sie.
Dass im Profiboxen allerdings viel härter außerhalb des Rings gekämpft wird als darin, das hätte sie nicht erwartet. „Ich dachte, ich mache ein paar gute Kämpfe, klettere in den Ranglisten und bekomme dann automatisch meine Chance“, sagt sie. Was tatsächlich auf sie wartete, war eine Machowelt, in der Frauen, so sieht sie es zumindest, keinerlei Wertschätzung entgegengebracht wird.
Für Frauen ist schwerer geworden
Die Zeiten, in denen der Hamburger Promoter Klaus-Peter Kohl das Frauenboxen nicht nur aus der Nische holte, sondern Kämpferinnen wie Regina Halmich oder Susi Kentikian sechs- bis siebenstellige Kampfgagen zahlte, sind in Deutschland lange vorbei. Stattdessen dominiert wieder männliche Überheblichkeit. „Wie oft ich gehört habe, dass wir Frauen ja nicht einmal eine Runde lang die Hände oben halten können“, sagt sie und lacht ein verzweifeltes Lachen. „Dabei trainieren wir mindestens so hart wie die Jungs. Ich kann acht Runden die Deckung oben halten und trotzdem noch technisch sauber boxen“, sagt sie.
Die Chance, das gegen gutklassige internationale Konkurrenz nachzuweisen, bekam sie allerdings nicht. In den eineinhalb Jahren, die sie mit dem Hamburger Landestrainer Christian Morales arbeitete, verhinderte Corona sinnvolle Aufbauarbeit, weil schlicht kein Geld da war, um starke Konkurrenz zu verpflichten. Von ihrem Wechsel zum Universum-Stall versprach sich Natalie Zimmermann mehr Professionalität und Aufmerksamkeit – die jedoch blieb aus. „Bei Universum gab es leider niemanden, der einen Fahrplan für eine perspektivische Entwicklung erstellt“, sagt sie rückblickend.
Natalie Zimmermann will eigenen Boxstall gründen
Im Juni trennte man sich – einvernehmlich und im Guten. Seitdem arbeitet die in neun Profikämpfen Unbesiegte in Eigenregie an der Vollendung ihrer Karriere. Mit Durak Ince, den sie als Assistent von Christian Morales kennenlernte, und Universum-Chefcoach Artur Grigorian darf sie weiterhin üben, ihre Trainingspläne schreibt André Walther, Cheftrainer beim TH Eilbeck, die Kampfplanung macht sie mithilfe des Ex-Universum-Matchmakers Flavio Mirabal. Vorgesehen ist, dass sie nach Aufbaukämpfen im Dezember und Februar im Mai 2023 in der Großen Freiheit um die WM eines großen Verbands boxt. „Ich denke, dass ich mir das nach 20 Jahren im Kampfsport verdient habe. Es wäre der perfekte Abschluss“, sagt sie.
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Wobei sie sich ein weiteres Hintertürchen offen lässt. Sollte es im Fall des Titelgewinns Interesse einer Spitzenkämpferin von den britischen Inseln geben, würde sie sich den Traum von einem Kampf in England gern noch erfüllen. Und so ganz vom Boxen lassen wird sie so oder so nicht. „Nach meiner Karriere möchte ich gern einen eigenen Boxstall gründen, in dem ich die besten Talente auf ihrem Weg begleite, weil ich glaube, dass wir in Hamburg viel Potenzial haben, um das sich niemand richtig kümmert.“ Dass sie sich im Abrufen von Potenzial auskennt, das hat Natalie Zimmermann längst bewiesen.