Hamburg. Spaniens Jungstar Carlos Alcaraz spielt am heutigen Dienstag erstmals in Hamburg. Nicht nur Andrea Petkovic erwartet ihn gespannt.
Aufgefallen ist er ihr zum ersten Mal im Januar bei den Australian Open, im fünften Satz seines Drittrundenmatches gegen den Italiener Matteo Berrettini. „Er ist auf jeden Ball mit einem Risiko draufgegangen, das mich immens beeindruckt hat. Wer in einem Grand-Slam-Match im Entscheidungssatz gegen einen Top-Ten-Spieler mit so viel Mut angreift, der muss etwas Besonderes haben, dachte ich damals“, sagt Andrea Petkovic, wenn sie über die Stärken des Mannes spricht, den viele als die Blaupause für die Zukunft des Herrentennis betrachten.
Zwar verlor Carlos Alcaraz das Match in Melbourne im Tiebreak. Aber knapp einen Monat später, bei seinem nächsten Turniereinsatz in Rio de Janeiro, schlug er Berrettini im Viertelfinale in drei Sätzen. Lerneffekt nennt man so etwas, doch so schnell lernen nur die Besten.
Hamburg European Open: Alcaraz spielt am Rothenbaum
An diesem Dienstag nun gibt Carlos Alcaraz zum ersten Mal in seiner noch jungen Karriere seine Visitenkarte am Rothenbaum ab. In seinem Auftaktmatch bei den Hamburg European Open trifft der 19 Jahre alte Spanier im dritten Match auf dem Center-Court (nicht vor 14.30 Uhr/ServusTV live) auf die deutsche Nachwuchshoffnung Nicola Kuhn (22/Ludwigshafen), und nicht nur Turnierbotschafterin Petkovic ist gespannt auf das heißeste Versprechen, das das Welttennis aktuell zu bieten hat.
Alcaraz, in der Weltrangliste an Position sechs notiert, gilt als legitimer Nachfolger Rafael Nadals, als kommender Dominator, der nicht nur auf Sand, sondern wie Landsmann und Grand-Slam-Rekordsieger Nadal auf allen Belägen die Majortitel einsammeln kann.
Alcaraz legte einen Raketenstart hin
Wer den 185 Zentimeter großen Rechtshänder mit diesen Prognosen konfrontiert, der erhält ein freundliches Lächeln zur Antwort, garniert mit der zur Wiedervorlage einstudierten Replik, nicht die Kopie seines großen Idols sein zu wollen, sondern das Original Carlos Alcaraz. „Natürlich ist es schön zu hören, dass mir viel zugetraut wird. Für mich ist das eine Zusatzmotivation. Aber ich bin noch lange nicht der beste Spieler der Welt. Ich versuche, so gut wie möglich zu werden, aber ich habe noch kein Grand-Slam-Turnier gewonnen“, sagt er bei seiner ersten Presserunde in Hamburg.
Das stimmt zwar, aber sein Raketenstart in die Weltspitze im ersten Halbjahr 2022 mit den Titeln bei den mit Hamburg gleichrangigen 500er-Events in Rio und Barcelona sowie den Mastersevents in Miami und Madrid hat die Szene elektrisiert. Bei den French Open in Paris unterlag er, bereits als Mitfavorit angereist, dem formstarken deutschen Spitzenmann Alexander Zverev (25); der Hamburger verletzte sich anschließend im Halbfinale gegen Nadal und fällt seitdem aus. In Wimbledon war Italiens Jungstar Jannik Sinner (20), der sich im späteren Turnierverlauf ebenfalls verletzte, im Achtelfinale Endstation für den Iberer.
„Ich denke oft daran, wie ich als Kind war"
Warum die ganz großen Triumphe nur eine Frage der Zeit sind für Carlos Alcaraz, kann einschätzen, wer ihm bei der Arbeit zuschaut. Es ist das Gesamtpaket, das begeistert. Dass er Fitnessstudios nicht nur vom Vorbeischlendern kennt, ist offensichtlich. Aber während Nadal, der für seinen designierten Nachfolger dessen Kosenamen „Carlitos“ verwendet, Tennis arbeitet und seine Stärke aus der physischen und mentalen Kraft holt, kommt Alcaraz’ Schlagwerk mit einer Leichtigkeit daher, die man einem Mann in seinem Körper nicht zwingend zutraut.
Alcaraz ist, auch wenn er für seine peitschende Vorhand einen Waffenschein beantragen müsste, ein Freund der feinen Klinge. Seine Stopps, die er ansatzlos einstreut, sind Weltklasse. „Ich trainiere sie, seit ich ein Kind bin. Ich habe das mittlerweile in mir, es ist vollkommen natürlich“, sagt er. Den Spieltrieb, der Kindern und Jugendlichen eigen ist, bevor aus ihrem Sport ein Beruf wird, hat Carlos Alcaraz noch nicht abgelegt. Wer ihn auf der Anlage an der Hallerstraße dabei beobachtet, wie er jugendlichen Fans Autogramme schreibt oder mit ihnen für Fotos posiert, der spürt die ehrliche Freude, die es ihm bereitet, als Vorbild wahrgenommen zu werden. „Ich denke oft daran, wie ich als Kind war, deshalb ist es mir wichtig, für die Kids da zu sein“, sagt er.
Alcaraz trainiert in Alicante
Ist ja auch noch nicht allzu lang her, dass er selbst Autogrammjäger war. Die Frage, wie lang er sich diese Begeisterungsfähigkeit erhalten kann, ist noch nicht zu beantworten. Die Bodenständigkeit aber, mit der Carlos Alcaraz anderen Menschen begegnet, erinnert stark an Rafael Nadal, der sich bis heute bemüht, jeden Fan glücklich zu machen, der seinen Weg kreuzt. Seine Heimatverbundenheit ist groß, der in El Palmar im Südosten Spaniens aufgewachsene Fan des Fußballclubs Real Madrid lebt noch immer in der Gegend. Sein Vater Carlos war auf nationaler Ebene ein erfolgreicher Tennisspieler, der kleine „Carlitos“ schon mit vier Jahren auf dem Court aktiv.
Mittlerweile trainiert Alcaraz in Alicante, nur eine Autostunde fern der Heimat, in der Akademie seines Chefcoaches Juan Carlos Ferrero. Der 42 Jahre alte, frühere Weltranglistenerste war auch mal einige Monate Zverevs Coach – und hat als größten Unterschied zwischen den beiden den Respekt vor den Mitmenschen ausgemacht. Carlos Alcaraz klingt tatsächlich wie eine Kopie Nadals, wenn er auf die Frage, ob die Weltranglistenspitze sein Ziel sei, antwortet: „Das Ranking ist mir nicht so wichtig. Ich will der beste Spieler werden, aber vor allem steht, dass ich ein guter Mensch sein will.“
Carlos Alcaraz kennt seinen Auftaktgegner gut
Manche sagen solche Sätze, um sich einen sympathischen Anstrich zu geben, der am wahren Charakter schnell abblättert. Carlos Alcaraz, das sagen Menschen, die ihn besser kennen, kommen sie direkt aus dem Herzen. Wobei seine Menschenfreundlichkeit spätestens am Spielfeldrand halt macht. Auf dem Court ist er ein gnadenloser Punktesammler, der sich auch mal über Fehler des Gegners freut und seine Emotionen aufs Publikum überträgt. „Natürlich ist der Titel hier mein Ziel“, sagt er, „das ist mein Anspruch.“
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Seinen Auftaktgegner, der in Spanien aufwuchs und 2021 in den Deutschen Tennis-Bund zurückkehrte, kennt er gut, „ich habe ihn oft trainieren sehen, mein Bruder hat schon gegen ihn gespielt“, sagt er. Kuhn zu unterschätzen, nur weil dieser 253 Plätze schlechter eingestuft ist als er selbst, ist Carlos Alcaraz nicht zuzutrauen, vor 14 Monaten stand er schließlich selbst noch weit außerhalb der Top 100.
Hamburg European Open: Alcaraz wird zu den Großen gehören
Was die größte Veränderung gewesen sei in den vergangenen Monaten seines rasanten Aufstiegs, und was ihn am meisten daran überrascht habe, wird der Shootingstar noch gefragt. „Ich bin deutlich reifer geworden, habe gelernt, mit den Großen in den großen Arenen in den großen Momenten mitzuspielen. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde“, sagt er. Mit dem Lerntempo, das er anschlägt, wird es nicht mehr lange dauern, bis er selbst zu den ganz Großen gehört.