Hamburg. In einer sportlichen Auszeit forcierte sie ihr Fernabitur in Hamburg. 2022 will sie unbedingt in England und USA boxen
Die Vorbereitung lief super, ich bin topfit, ich unterschätze nie jemanden, aber ich werde den Ring mit einem Sieg verlassen – man kennt sie, diese Worthülsen, die vor Boxkämpfen so sicher sind wie das Amen in der christlichen Kirche. Auch Sophie Alisch sagt diese Sätze vor ihrem Duell mit der Französin Amel Anouar (29) an diesem Sonnabend (23 Uhr/Sport 1) im Berliner Tempodrom.
Aber wer ihr dabei ins Gesicht schaut und die Vorfreude sieht, die die Federgewichtlerin ausstrahlt, und dazu die Geschichte der vergangenen zwei Jahre kennt, kann ermessen, dass sie einfach nur glücklich ist, überhaupt wieder über einen anstehenden Boxkampf reden zu dürfen.
Boxen: Talent Alisch eröffnete eigenes Gym
Im Januar 2020 schien die Welt der 20 Jahre alten Berlinerin weit offen zu stehen. Am Grünhofer Weg in Spandau eröffnete sie damals mit Unterstützung ihres umtriebigen Vaters Michael Alisch ihr eigenes Boxgym. Chefin mit 18, und dazu nach fünf Siegen in fünf Profikämpfen für den mittlerweile unter dem Signum des US-Sportgiganten Wasserman agierenden Sauerland-Stall als Deutschlands größtes weibliches Faustkampftalent gehandelt – die 168 Zentimeter große Athletin hatte sich auf einen beeindruckenden Weg gemacht.
Dann kam Corona, Kontaktsport unter Einhaltung von Abstandsregeln war unmöglich, das Gym-Geschäft brach ein. Profiboxkämpfe fanden zwar statt, jedoch nicht für Sophie Alisch. „Ich habe mich die ganze Zeit extrem fit gehalten, habe mehrfach auf geplante Kampftermine hingearbeitet, die dann kurzfristig ausfielen“, sagt sie.
Meniskus-Riss zwang Alisch zu langer Pause
Einmal noch, im September 2020, stieg sie in den Ring, ansonsten gab es keine Möglichkeit, die im harten Training aufgestaute Energie im Wettkampf loszuwerden. Dazu kam im März vergangenen Jahres ein Meniskusriss, der eine Operation inklusive langer Rehaphase nötig machte. Zermürbt von der körperlich und mental zehrenden Durststrecke brauchte die in Tirol aufgewachsene Normalauslegerin im Herbst eine Auszeit vom Sport, die prompt in öffentliche Diskussionen um ein frühes Karriereende mündete. Ein Gedanke, den Sophie Alisch weit von sich weist. „Daran habe ich nie gedacht. Aber ich habe gespürt, dass ich mal Abwechslung brauchte, um den Kopf richtig freizukriegen“, sagt sie.
Diese fand sie in erster Linie darin, ihren Kopf zu ertüchtigen. In Hamburg, der Heimat ihres Vaters, führte sie viele Gespräche mit Lehrkräften der Fernschule, über die sie ihr Abitur nachholt, das sie der Boxkarriere wegen auf die lange Bank geschoben hatte. „Ich habe Schule auf Priorität eins gesetzt, was sehr wichtig war, denn ich will im Frühjahr 2023 endlich mein Abi geschafft haben“, sagt sie. Die Motivation, die sie nach einigen Wochen bei der Rückkehr ins Training verspürt habe, sei indes so übermäßig gewesen, dass ihr klar wurde, wie fest ihr Herz am Boxen hängt.
Boxtalent Alisch will auf eigenen Beinen stehen
Diese Motivation habe sie ins Training mit ihrem Chefcoach Andy Schiemann eingebracht. Dass dieses zu großen Teilen am Bundesstützpunkt Schwerin absolviert wurde und nicht im eigenen Spandauer Gym, wo sie zweimal in der Woche Kurse leitet, liegt nicht nur darin begründet, dass in Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt bessere Sparringspartner – tatsächlich vorrangig männliche Amateure – zu finden sind.
Es ist auch Teil eines Abnabelungsprozesses. „Ich habe gemerkt, dass es mir guttut, auf mich allein gestellt zu sein und selbst dafür sorgen zu müssen, dass meine Karriere läuft, anstatt dass Papa sich um alles kümmert“, sagt sie.
Alisch freut sich auf ihr erstes Heimspiel in Berlin
Im Ring steht Sophie Alisch schließlich auch allein. An diesem Sonnabend zum ersten Mal in ihrer Profikarriere in Berlin, worauf sie sich sehr freut. In ihrer Heimatstadt möchte sie vor allem Spaß haben. „Ich mache mir keinen Druck, ich weiß, dass ich nach der langen Pause erst einmal wieder reinfinden muss“, sagt sie.
Ein Neustart sei der als zweiter Hauptkampf neben dem Superweltergewichtsduell Abass Baraou (27) gegen Brian Chaves (29/Argentinien) vorgesehene Sechsrunder zwar nicht, wohl aber der Startschuss für das, was sie sich für die kommenden Jahre vorgenommen hat.
Dank der Zusammenarbeit ihres Promoters Wasserman mit dem neuen Boximperium Probellum hofft Sophie Alisch, deren rund 130.000 Instagram-Follower mehrheitlich aus dem Ausland kommen, ihren Weg in die großen Frauenboxmärkte England und USA so bald wie möglich gehen zu können, da ihr Sport in Deutschland seit Jahren am Boden liegt. „Dafür muss ich aber Leistung zeigen, das ist die Grundlage“, sagt sie. Und das stimmt: Worthülsen bringen im Boxen niemanden an die Spitze.