Hamburg. Dietloff von Arnim, Präsident des Deutschen Tennis-Bundes, über den Nachwuchs, Ämter für Becker und Stich und die Rothenbaum-Zukunft.
Termine hat Dietloff von Arnim normalerweise im Stundentakt. Aktuell jedoch ist der 62-Jährige von einer symptomfreien Corona-Infektion ausgebremst – und hatte deshalb Muße genug, um mit dem Abendblatt über das erste Jahr seiner Amtszeit als Präsident des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) zu reden, die sich am Montag jährte.
Hamburger Abendblatt: Herr von Arnim, unter dem Eindruck des epischen Australian-Open-Endspiels zunächst die Frage: Ist Rafael Nadal noch ein Mensch?
Dietloff von Arnim: Es war absoluter Wahnsinn, was wir da sehen durften. Wir hatten im DTB eine umfangreiche Strategietagung, deshalb habe ich erst im dritten Satz eingeschaltet. Ganz besonders beeindruckt hat mich die körperliche Fitness beider Spieler. Aber Nadal ist zehn Jahre älter als Daniil Medwedew. Es ist wirklich unglaublich, was er leistet.
Haben Sie wehmütig überlegt, wie Alexander Zverev gegen ihn ausgesehen hätte?
Dietloff von Arnim: Es war sehr schade, dass Sascha im Achtelfinale ausgeschieden ist. Woran es lag, weiß ich nicht, aber ich fand es sehr gut, dass er sehr offen gesagt hat, einfach schlecht gespielt zu haben, anstatt Ausreden zu suchen. Er hat schon mehrfach bewiesen, dass er die ganz Großen schlagen kann. Deshalb bin ich sicher, dass seine Zeit als Grand-Slam-Champion kommen wird.
Die Konkurrenz ist allerdings groß. Fürchten Sie nicht, dass es ihm gehen könnte wie Tommy Haas, der auch als kommender Grand-Slam-Sieger galt, aber nie ein Major gewinnen konnte?
Dietloff von Arnim: Nein. Sascha wirkt körperlich und auch mental deutlich gefestigter als noch vor einem Jahr, woran der Olympiasieg sicherlich großen Anteil hat. Es gibt keinen Schlag, den er nicht beherrscht. Er wird seinen Weg gehen.
Große Sorgen wird Ihnen allerdings bereiten, dass bei Damen und Herren hinter den Topspielern Zverev und Angelique Kerber viel zu wenig nachkommt. Wie lässt sich da gegensteuern?
Dietloff von Arnim: In der Tat sehen wir, dass wir insbesondere bei den Damen den Anschluss zu verlieren drohen. Bei den Herren waren wir im Daviscup ohne Zverev im Halbfinale, da sieht es besser aus. Sicher erschwert unser Schulsystem den frühzeitigen leistungssportspezifischen Fokus. Im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten sind unsere Spielerinnen und Spieler gezwungen, sich bereits in jungen Jahren auf der internationalen Bühne zu etablieren. Das starre Schulsystem – auch im Hinblick auf die Präsenzpflicht – erschwert es im Vergleich zu anderen Nationen. Unabhängig davon müssen wir Lösungen und Wege finden, um uns wieder erfolgreicher etablieren zu können.
Dafür sind die Chefbundestrainer Barbara Rittner und Michael Kohlmann zuständig, deren Verträge jüngst verlängert wurden. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass der DTB die Verantwortung für die Misere bei den Spielerinnen und Spielern sieht?
Dietloff von Arnim: Barbara und Michael leisten gute Arbeit, deshalb haben wir mit ihnen verlängert. Nicht die Namen müssen wir diskutieren, es geht ums Konzept. Da müssen wir sehr vieles auf den Prüfstand stellen.
Es heißt oft, dass der Nachwuchs nicht mehr so leistungsbereit sei. Wie kann der Verband dem entgegenwirken?
Dietloff von Arnim: Wer nicht die Bereitschaft mitbringt, alles in den Sport zu investieren, den werden wir in Zukunft nicht mehr fördern können. Es liegt an uns, das vorzugeben und diejenigen Talente zu finden, die den unbedingten Willen haben.
Gerade im Hinblick darauf, dass sich die Turnierlandschaft in Deutschland in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt hat, kann sich der DTB eine jahrelange Durststrecke nicht leisten.
Dietloff von Arnim: Wir können uns aber auch keine Protagonisten backen. Wir müssen den Status quo hinnehmen und alles dafür tun, jetzt die Saat auszubringen, um in ein paar Jahren wieder in der Breite erfolgreich zu sein. Die Zeichen, die wir aus den 2000er-Jahrgängen empfangen, sind entsprechend positiv. Aber es braucht auch Geduld – und harte Arbeit.
Der DTB ist auch für die Entwicklung des Breitensports zuständig. Tennis gilt als Gewinner der Pandemie, viele Menschen haben, weil auf Abstand gespielt werden kann, wieder oder neu angefangen, oft aber nicht in Vereinen. Wie heben Sie dieses Potenzial?
Dietloff von Arnim: Gewinner der Pandemie höre ich ungern. Auch unsere Clubs waren lange Zeit geschlossen, und dass ich der Meinung war und bin, dass das viel zu lang der Fall war, habe ich oft genug kundgetan. Fakt ist: Ganz viele Menschen spielen gern Tennis, haben dazu aber immer weniger Gelegenheit, weil viele Anlagen zum Beispiel dem Wohnungsbau zum Opfer fallen. Das ist ein Thema, das wir dringend mit der Politik ansprechen müssen. Das Potenzial haben wir jedenfalls erkannt. An der Basis sehe ich aber deutlich weniger Probleme als im Leistungssport.
Wäre diese Gesamtthematik eine, um die Boris Becker sich kümmern könnte? Er deutete kürzlich an, ein politisches Amt im DTB zu übernehmen. Was meinte er damit?
Dietloff von Arnim: Keine Ahnung. Ich kenne Boris sehr lang, habe mit ihm aber konkret über kein Amt gesprochen. Das werden wir aber nachholen, denn wir wären ja verrückt, wenn wir einen Mann mit seiner Expertise nicht einbinden würden.
Gilt das auch für Michael Stich, der mit den Vorgängerpräsidien im DTB ja ein traditionell schwieriges Verhältnis pflegte?
Dietloff von Arnim: Michael und ich schätzen einander und haben mehrmals gesprochen. Zu einem persönlichen Gespräch haben wir es noch nicht geschafft, aber das steht auf meiner Agenda sehr weit oben.
Stich hat in zehn Jahren als Turnierdirektor maßgeblich dazu beigetragen, das Herrenturnier am DTB-Hauptsitz in Hamburg zu bewahren. Seit 2019 arbeiten Sandra und Peter-Michael Reichel sehr emsig an einer Fortentwicklung, in diesem Jahr wird es am Rothenbaum erstmals seit 1978 ein kombiniertes Damen- und Herrenturnier geben. Was hält der DTB als Lizenzinhaber davon?
Dietloff von Arnim: Wenn diese kombinierten Turniere finanziell darstellbar sind, halte ich sie für die beste Lösung. Wir als Verband werden es unterstützen, wo wir können.
Sie könnten den Reichels Planungssicherheit über 2024 hinaus geben.
Dietloff von Arnim: Uns allen ist Planungssicherheit wichtig, deshalb werden wir im ersten Quartal zu einer Entscheidung kommen. Wir wollen Klarheit schaffen, wie es nach 2024 am Rothenbaum weitergeht.
Für Sie geht es zunächst bis zur Wahl im November 2023 weiter. Was sind die wichtigsten Ziele, die Sie bis dahin umsetzen?
Dietloff von Arnim: Den Verband personell besser und handlungsfähiger aufzustellen. Die Digitalisierung voranzutreiben. Und die Struktur dahingehend zu modifizieren, dass die BGB-Verantwortung vom Präsidium auf den geschäftsführenden Vorstand übergeht. Alle diese Themen haben wir auf den Weg gebracht, und im November 2023 will ich mich daran messen lassen.