Hamburg. Beispiel Kaifu-Lodge: Europas größtes Center will mit einem Mischmodell seine Mitglieder binden. Eine organisatorische Herausforderung.
Montag, Mittwoch, Freitag, Sonntag – so lautet in der Kaifu-Lodge die Formel der neuen Freiheit. Es wird der erste große Schritt zur Rückkehr in die Normalität, in den Zustand vor Beginn der Corona-Pandemie im März 2020. Das mit mehr als 7000 Quadratmetern, 289 wöchentlichen Kursen, acht Squashcourts und aktuell rund 10.000 Mitgliedern größte Fitnesscenter Europas fährt vom kommenden Montag an ein Mischmodell.
An besagten vier Tagen entfallen alle bisherigen Einschränkungen, an ihnen dürfen aber nur nachweislich vollständig Geimpfte und Genesene die Anlage an der Eimsbütteler Bundesstraße 107 betreten; an den anderen drei auch negativ Getestete. Am Dienstag, Donnerstag und Sonnabend gelten dann weiter Abstandsregeln, Maskenpflicht und Zutrittsbeschränkungen.
Kaifu-Lodge will niemanden ausschließen
„Wir haben uns zu dieser Lösung entschlossen, um niemanden auszuschließen. Wir wollen möglichst allen Mitgliedern gerecht werden“, sagen Birgit Wenzel und Kevin Nafar von der Geschäftsleitung der Kaifu-Lodge. Wechselseitig 2G und 3G anzubieten wird zu einer organisatorischen Herausforderung, mehr als zwei Monate Vorbereitung stecken in dem Projekt. Halten sich trotz aller Vorkehrungen nicht legitimierte Personen auf der Anlage auf, drohen von den Behörden Geldstrafen von 1000 bis zu 20.000 Euro – und in letzter Konsequenz der Entzug der 2G-Genehmigung.
Unter den 304 Fitnessstudios in Hamburg mit ihren 313.000 Mitgliedern (Stand: 31. Dezember 2020) gibt es zum Umgang mit 2G oder 3G keine einheitliche Linie. Ketten wie Fitness First mit acht Anlagen in der Stadt bleiben vorerst beim 3G-Modell, andere Center, vor allem Einzelbetriebe, überlegen, auf 2G umzustellen.
Distanzen entfallen bei 2G
Während unter 3G-Regeln 1,5 Meter Abstand zwischen Geräten wie Laufband, Stepper, Fahrrad oder Hantelbänken eingehalten werden müssen, bei Sportkursen nach der Hamburger Eindämmungsverordnung 2,5 Meter zu allen Seiten, entfallen diese Distanzen bei 2G. Etwa dreimal so viele Mitglieder und Gäste dürften unter diesen Bedingungen gleichzeitig auf die Anlagen – eine verlockende wirtschaftliche Alternative.
Die Kaifu-Lodge will ihre Kurse aufstocken, dennoch nicht sofort mit der maximalen Kapazität auslasten. „Wir planen einen sanften Übergang, auch um die Sicherheit der Mitglieder nach wie vor zu gewährleisten. Unser ,2G-plus-Modell‘ beinhaltet den Appell, achtsam mit sich und den anderen umzugehen. Wer möchte, kann gern weiter seine Maske tragen“, sagen Wenzel und Nafar.
Fitnessstudios haben 1,35 Millionen Mitglieder verloren
Die Mitgliederzahlen in Deutschlands größter Sportbranche sanken vergangenes Jahr gegenüber 2019 von 11,66 auf 10,31 Millionen, ein Rückgang von 11,6 Prozent. Der Umsatz fiel um 24,5 Prozent von 5,51 auf 4,16 Milliarden Euro. Die Zahlen erhob der Arbeitgeberverband der deutschen Fitness- und Gesundheitsanlagen für seine „Eckdaten der deutschen Fitnesswirtschaft 2021“.
Zum Vergleich: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), dort ist Fußball mit 7,17 Millionen Mitgliedschaften der größte Verband, verlor 2020 nur 2,85 Prozent seiner Vereinsangehörigen. 27.012.419 waren es zum 1. Januar 2021, 792.119 weniger als zwölf Monate zuvor. Der Rückgang bei Großvereinen mit mehr als 2500 Mitgliedern lag mit 10,57 Prozent dabei deutlich über den Verlusten der kleinen und mittleren Clubs.
Hamburg bleibt Fitness-Hotspot
Auch in der Krise bleibt Hamburg der Fitness-Hotspot des Landes. 17 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger zahlen Beiträge in kommerziellen Studios, bundesweit sind es 12,4 Prozent. 520.205 Mitgliedschaften in 818 Vereinen zählt zudem der Hamburger Sportbund (HSB), das sind 28,8 Prozent der Bevölkerung (Stand: 31. Dezember 2020/Quelle: DOSB). In keiner anderen deutschen Großstadt gibt es ähnlich viele organisierte Sportlerinnen und Sportler.
Mit der sukzessiven Aufhebung der Einschränkungen steigen die Mitgliederzahlen wieder. Die Kaifu-Lodge hat seit der Wiedereröffnung am 1. Juni ein Fünftel ihrer Abgänge kompensiert, 20 Prozent der Mitglieder hatten zuvor ihre Verträge gekündigt – eine normale Ausfallquote, bloß fehlten diesmal die Eintritte. Finanziell schwerwiegender: Insgesamt elf Monate verzichtete der Sportclub auf Erhebung der Mitgliedsbeiträge. Die Betreiber investierten trotzdem, erhöhten zur Kundenbindung ihr Onlineangebot.
Kaifu-Lodge verstärkt Einlasskontrollen
Mehr als 100 Fitnessvideos stehen inzwischen in der Mediathek auf Abruf oder live zur Verfügung, für Mitglieder kostenlos. „4m2“ nennt sich die Fitnessplattform jetzt, Programme wie „Fit in 30 Tagen“ wurden neu aufgenommen. Die Botschaft: Selbst auf engstem Raum kann sich jeder/jede in Form bringen, egal wo er/sie sich gerade aufhält.
Für 2G verstärkt die Kaifu-Lodge von Montag an ihre Einlasskontrollen, erhöht die Zahl ihrer Mitarbeitenden an der Rezeption. Weitere Scanner wurden angeschafft, um Impf- oder Genesenennachweise digital auf ihre Gültigkeit zu prüfen. Handwerker und Zulieferer unterliegen ebenfalls diesem Reglement.
Kostenlose Schnelltests für Mitglieder
Diejenigen unter den 80 Festangestellten und den mehr als 100 Trainerinnen und Trainern, die keinen vollständigen Impfschutz haben, können künftig nur an den drei 3G-Tagen arbeiten. Vorerst steht täglich eine Selbstteststation zur Abnahme kostenloser Schnelltests für Mitglieder und Gäste zur Verfügung. Zwölf Mitarbeitende der Kaifu-Lodge wurden dafür von der Betriebsärztin geschult. Das Zertifikat gilt ausschließlich für das Betreten der Anlage und muss am Empfang wieder abgegeben werden.
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Vom 1. Juni bis zum 10. Oktober führte der Club mit einem Kooperationspartner rund 15.000 Corona-Tests durch, alle fielen negativ aus. Zudem bot das Center mit dem benachbarten Agaplesion Diakonieklinikum und dem Deutschen Roten Kreuz drei Impftage an. 648 Menschen nutzten sie für einen kostenlosen Pieks. Bemerkenswert: Im Juni checkten sich noch etwa 90 Prozent der Mitglieder ohne vollständigen Impfschutz ein, heute können diesen 90 Prozent vorweisen. Damit die Kaifu-Lodge weiter in Richtung Normalität zurückfinden kann, starten im November auch die ersten Events wieder. „Unplugged 2021“ geht mit Livekonzerten bekannter Musiker und besonderen Kursen in die vierte Runde. Drei von zwölf Veranstaltungen finden an 3G-Tagen statt.