Hamburg. Historische Mitgliederversammlung im Millerntor-Stadion: Esin Rager wurde zur neuen Vizepräsidentin gewählt.

Esin Rager ließ den Sonnabend bei einem gemütlichen Kaltgetränk ausklingen. Gemeinsam mit ihren Präsidiumskollegen des FC St. Pauli und einigen Vereinsmitarbeiterin stieß die 53-Jährige in der Weinbar der Gegengerade des Millerntor-Stadions auf ihren besonderen Tag an. Die ehemalige Abendblatt-Ressortleiterin der Beilage „Hamburg Live“, die seit dem 1. Juli zunächst kommissarisch als Vizepräsidentin beim Zweitligaclub fungierte, wurde bei der Mitgliederversammlung nun fest in das Führungsgremium gewählt. Rager erhielt 413 der 425 abgegebenen Stimmen.

Ein überwältigendes Ergebnis, dass sie mit einer Siegerfaust feierte. „Das ist ein sensationelles Ergebnis, über das ich mich sehr gefreut habe. In einer basisdemokratischen Umgebung gewählt zu werden, ist toll. Und dann noch im Millerntor-Stadion. Das ist etwas ganz Großes. Wir werden noch ein bisschen diese tolle Veranstaltung feiern“, sagte Rager, die sich den Themen Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit annimmt.

Ohnehin war es für St. Pauli ein in jeglicher Hinsicht denkwürdiger Tag. Zum einen fand zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte eine Mitgliederversammlung im Stadion statt, zum anderen wurden auf der fünfstündigen Veranstaltung richtungsweisende Strukturänderungen auf den Weg gebracht. So haben die Mitglieder mit einer deutlichen Mehrheit beschlossen, dass künftig mindestens 30 Prozent der Führungskräfte in Präsidium, Aufsichtsrat, Ehrenrat sowie bei den Kassenprüfern weiblich sein müssen. Eine Frauenquote ist bisher einmalig im deutschen Profifußball.

FC St. Pauli beschließt Frauenquote

Mit lediglich sechs Gegenstimmen und drei Enthaltungen wurde diese Entscheidung mit deutlich mehr als der benötigten Dreiviertelmehrheit beschlossen. „Die Quote ist nicht die Lösung aller Probleme, aber ein deutliches Zeichen an interessierte Frauen, dass wir es ernst meinen“, erklärte die Ehrenrätin Suzann Edding, die bei ihrer Antragsverlesung den lautesten Applaus des Tages erhielt.

Für Empörung sorgte das ehemalige St.-Pauli-Aufsichtsratsmitglied Uwe Doll, der in einem Gegenantrag die Frauenquote verhindern wollte. Doll stellte die These auf, dass „auch Frauen wie Beatrix von Storch und Eva Herman” in St. Pauli-Gremien gewählt werden könnten, wenn es keine anderen Bewerberinnen geben würde. Das legt die Axt an die Grundfeste der Demokratie. Begeben wir uns auf diesen Weg, brauchen wir bald überhaupt keine Wahlen mehr”, erklärte der Antragsteller, der daraufhin böse Rufe und fassungslose Blicke kassierte. Doll zog seinen Antrag im Verlauf der Versammlung zurück.

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Nicht weniger emotional wurde der zweite richtungsweisende Punkt auf der Tagesordnung diskutiert. Die Mitglieder haben darüber entschieden, dass künftig zusätzlich zum fünfköpfigen ehrenamtlichen Präsidium bis zu vier sogenannte „besondere VertreterInnen“ bestellt werden können, die hauptamtlich in den Bereichen Sport, Finanzen, Vertrieb und Sponsoring/Vermarktung, Recht, Vereinsstrategie und Clubentwicklung ihr Wissen einbringen sollen und auch haftbar gemacht werden können.

"Wir wollen leistungsfähig und entscheidungsfähig bleiben"

Insgesamt 70 Minuten wurde über die Thematik diskutiert. Die Mitglieder hatten die Befürchtung, dass diese neue Führungsebene womöglich eigenmächtige Entscheidung an der Basis vorbei treffen könnte. Diese Sorge versuchte Präsident Göttlich, der den Antrag mit seinen Präsidiumskollegen gestellt hatte, den Anhängern zu nehmen. Das ehrenamtliche Präsidium werde numerisch immer den „besonderen VertreterInnen“ überlegen sein und auch der Aufsichtsrat muss etwaige Entscheidungen mit absegnen, sodass die Handlungshoheit schlussendlich weiter beim ehrenamtlichen Präsidium liegt.

 „St. Pauli ist einer der wenigen noch mitgliedergeführten Vereine, das wollen wir unbedingt beibehalten. Aber weil der Profifußball immer vielfältiger wird, müssen wir mehr Verantwortung in das Hauptamt legen“, erklärte Göttlich.

Nach langer Diskussion stimmte die Mitgliedschaft letztlich mit 353 Ja-Stimmen der 415 gültig abgegebenen Stimmzettel (84,85 Prozent) für die Satzungsänderung, die nun vollzogen und im Vereinsregister eingetragen wird. Ob wirklich vier hauptamtliche Mitarbeiter, die immer jeweils für vier Jahre bestellt werden können, installiert werden und wer dafür infrage käme, wollte Göttlich noch nicht sagen. Allerdings deutet sich an, dass Sportdirektor Andreas Bornemann (49) als „besonderer Vertreter“ für den Bereich Sport in das erweiterte Präsidium aufrücken wird.

„Es waren lange und harte Diskussionen. Wir sind ein Verein, der es anders macht als viele andere. Wir haben eine historische Veränderung für den FC St. Pauli schaffen können. Wir haben die Möglichkeit Haupt-und Ehrenamt zu mischen. Wir sind der erste Verein, der diesen Weg bestreitet“, sagte Göttlich, der keinen Hehl daraus machte, dass diese Veränderung alternativlos war, wenn man sich auch künftig mit den Kapitalgesellschaften im Profifußball messen will. „Wir wollen leistungsfähig und entscheidungsfähig bleiben. Wir wollen das Management stärken, und das ist absolut wichtig, um weitere Jahre überlebensfähig zu bleiben“, sagte der 45-Jährige.

Verein setzt künftig auf das „2G“-Modell

Zur Überlebensfähigkeit des Vereins gehört auch eine zeitnahe möglichst große Auslastung des Stadions. Der St.-Pauli-Präsident hielt noch einmal einen flammenden Appell für die Corona-Impfungen („Wir müssen uns impfen lassen, weil es der größtmögliche Schutz ist, den wir derzeit haben. Es ist der einzige Weg, wie wir es mit dem Virus aufnehmen können“) und erklärte, dass der Verein künftig auf das „2G“-Modell, bei dem nur geimpfte und genesene Fans Zutritt bekommen, setzen wird.

 „2G wird und muss unser Weg sein. Das ist unser Wunsch und auch der Wunsch der Stadt. Da sind wir auf einer Linie“, sagte Göttlich, der nun gemeinsam mit den Behörden und der Stadt klären will, welche Lösung es für Menschen geben kann, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Zum Heimspiel gegen den FC Ingolstadt (19. September) hat St. Pauli 15.000 Zuschauer beantragt. Ob mit „2G“ oder noch mit „3G“ ist noch nicht klar.

Ganz klar positionierte sich der Präsident dagegen mit seinen Kolleginnen und Kollegen zum Ende der Mitgliederversammlung gegen einen Antrag, der das Präsidium dazu aufforderte, bis zur nächsten Mitgliederversammlung einen Satzungsänderungsantrag zu erarbeiten, wonach zukünftig einzelne oder mehrere Pressevertreter ausgeschlossen werden könnten. Göttlich forderte die Antragsteller auf, ihr Anliegen zurückzuziehen. Erfolglos.

Historische Mitgliederversammlung im Millerntor-Stadion

Bei der anschließenden Abstimmung wurde die einfache Mehrheit aber deutlich verpasst. Und so endete eine historische Mitgliederversammlung im Millerntor-Stadion. Die nächste Veranstaltung ist bereits terminiert. Am 1. Dezember findet im CCH die zweite ordentliche Mitgliederversammlung in diesem Jahr statt, auf der die turnusmäßigen Präsidiumswahlen anstehen.

Dann wird es auch für Vizepräsidentin Esin Rager wieder spannend. Vielleicht kann sie dann ja auch im Nachgang wieder mit einem leckeren Getränk anstoßen.