Hamburg. Der Ruderer Stephan Riemekasten hat die Olympischen Spiele in Tokio als sehr positiv erlebt. Für Paris 2024 fordert er Veränderungen.
Die Kinder (3 und 1) waren in der Kita, schließlich wollte das Ehepaar Riemekasten am Freitagmittag den Empfang für die Hamburger Tokio-Reisenden im Segeln, Hockey und Rudern in der Team-Hamburg-Lounge in der Handelskammer mal in trauter Zweisamkeit genießen. Doch dazu kam es nicht, denn das Abendblatt wollte mit Stephan Riemekasten über seine Erfahrungen als Ersatzmann für alle drei Boote der deutschen Skullruderer sprechen.
Ehefrau Sophia, eine studierte Psychologin, lauschte dem Gespräch aufmerksam. Was der 28-Jährige vom Hamburger und Germania RC, der als Sportsoldat die Unterstützung der Sportfördergruppe Hamburg genießt, zu sagen hatte, dürfte indes nicht nur seine Frau interessieren.
Hamburger Abendblatt: Herr Riemekasten, fünf Jahre lang haben Sie sich im Training gequält und viel kostbare Familienzeit geopfert, um bei Ihren ersten Olympischen Spielen lediglich das Rennen der Ersatzleute zu bestreiten. Hat sich der Aufwand gelohnt?
Stephan Riemekasten: Ohne Einschränkung: ja. Der olympische Geist war absolut spürbar, auch für mich. All das, was ich mir unter diesem Geist vorgestellt hatte, hat es gegeben, wenn auch unter den Einschränkungen der Corona-Regeln. Aber ich habe viele Kontakte zu Athletinnen und Athleten aus anderen Ländern knüpfen können, habe die Atmosphäre in der Mensa aufsaugen und genießen können. Einmal habe ich mit der jamaikanischen Hürdensprinterin Megan Tapper einen Pin getauscht. Die hat dann Bronze über 100 Meter Hürden gewonnen und mir danach geschrieben, dass mein Pin ihr Glück gebracht hat. Mir geht es bei internationalen Events immer auch um das Entdecken neuer Welten, und das war auch bei diesen Spielen möglich. Insofern bin ich damit sehr zufrieden.
Weniger zufrieden dürften Sie mit Ihren sportlichen Erlebnissen sein. Der deutsche Skullbereich erlebte mit dem Halbfinalaus von Oliver Zeidler im Einer und dem verpassten Finale des Doppelvierers sein Waterloo. Wie ist es, das von außen miterleben zu müssen und nichts tun zu können, damit es besser wird?
Riemekasten: Nichts tun zu können ist nicht ganz richtig. Nichts tun zu dürfen trifft es besser. Ich habe das Rennen der Ersatzleute, das vor dem Start der Wettbewerbe ausgefahren wird, gewonnen und war mit meiner Leistung durchaus zufrieden. Dann zu sehen, dass die anderen Jungs ihre Leistung nicht bringen konnten, war einerseits sehr hart, denn natürlich wünsche ich dem Team den größtmöglichen Erfolg. Aber für mich persönlich war es auch eine Genugtuung zu wissen, dass ich meine Leistung abrufen konnte.
Haben Sie sich an den Rand gedrängt gefühlt oder wie ein vollwertiger Athlet? Durften Sie überall dabei sein?
Riemekasten: Ja, ich bin wie ein ganz normales Teammitglied behandelt worden, ich konnte mit den Jungs trainieren und saß bei allen Rennen auf der Tribüne. Ich habe auch vom Team Deutschland eine Teilnehmermedaille erhalten. Insofern habe ich mich nie ausgegrenzt gefühlt.
Dennoch kann es Sie nicht zufriedenstellen, fünf Jahre hart zu arbeiten und es dann nicht im olympischen Wettkampf zeigen zu dürfen. Tun Sie sich das in drei Jahren in Paris noch einmal an?
Riemekasten: Auf keinen Fall. Als Ersatzmann fahre ich nie wieder mit. Entweder sitze ich in einem der Boote oder ich bleibe zu Hause. Insofern war das Abschneiden des Teams auch ein Hoffnungsschimmer für mich, denn für Veränderung braucht es schlechte Ergebnisse. Und dass wir Veränderung brauchen, sollte jedem klar geworden sein.
Was fordern Sie?
Riemekasten: Wir brauchen viel mehr Konkurrenzdenken, es muss eine ehrliche Selektion geben, in der es einzig um die aktuelle Leistungsfähigkeit und nicht die Meriten der Vergangenheit geht. Ich muss das Gefühl haben, dass alle zu Olympia fahren, um Erfolg zu haben. Für Platz zehn muss ich nicht fahren.
Dieses Gefühl hatten Sie nicht?
Riemekasten: Wir müssen uns doch hinterfragen, woran es liegt, wenn wir im Training unser Pensum zu 100, manchmal zu 110 Prozent erfüllen, aber trotzdem nicht besser werden. Gerade unser Bereich tut gern so, als hätte er den heiligen Gral der Trainingslehre entdeckt. Dabei trainieren wir ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen körperlichen Konstitutionen oft alle die gleichen Umfänge. Die Gespräche darüber müssen wir führen, wir müssen uns jetzt ehrlich die Meinung sagen und dann schauen, was wir verbessern können. Aber klar ist: Wenn frühere Leistungen mehr zählen als aktuelle, dann wird es sehr schwer werden, neue Athleten aufzubauen.
Sie haben zwei kleine Kinder, gerade in Barsbüttel ein Haus gekauft. Ist es das wert, diese Dinge zu vernachlässigen, um einem Traum nachzulaufen, von dem Sie nicht wissen, ob er sich erfüllen kann?
Riemekasten: Natürlich brauche ich eine realistische Perspektive. Aber wenn die da ist, dann ist es das wert. Ich habe die volle Rückendeckung meiner Frau, für die ich unendlich dankbar bin. Sie hat eine unglaublich harte Zeit hinter sich. Während ich in Japan im Trainingslager war, wurde eins unserer Kinder so krank, dass es drei Tage ins Krankenhaus musste. Das sind dann schon Momente, in denen man sich viele Tausend Kilometer entfernt fragt, ob das alles so richtig ist. Aber ich weiß, dass meine Frau voll hinter mir steht (Sophia nickt vehement, d. Red.), und die Aussicht darauf, dass unsere Kinder mir 2024 vor Ort zuschauen können, lässt mich mit Zuversicht in Richtung Paris schauen.
Dazu müssten Sie sich aber nicht nur qualifizieren, sondern auch Corona müsste verschwunden sein. Was ist Ihr Blick als Medizinstudent auf diese Spiele, war es vertretbar, sie durchzuführen?
Riemekasten: Auch hier ein uneingeschränktes Ja. Die Blase, in der sich die olympische Familie bewegt hat, war sehr sicher. Die Fälle, die es gab, wurden schnell isoliert, einen großen Ausbruch gab es nicht, auch weil sich die allermeisten sehr penibel an die Regeln gehalten haben. Einige der Regeln, wie das Tragen von Handschuhen beim Essen oder das Temperaturmessen am Handgelenk, waren sogar überflüssig. Aus medizinischer Sicht kann ich aber sagen, dass das alles sehr gut und konsequent organisiert war. Ob es ethisch richtig war, ist eine andere Diskussion, zu der jeder sicherlich seine eigene Meinung haben wird.
Wenn Sie also die 16 Tage Olympia bilanzieren: Wurden Ihre Erwartungen erfüllt?
Riemekasten: Sie wurden sogar übererfüllt, was aber auch daran lag, dass ich mit großen Bedenken angereist bin. Ich dachte, ich komme an einen hochgelobten Ort, wo sich nur Superstars tummeln. Aber wenn man dann da ist, spürt man: Es sind alles nur Menschen, die ihren Traum leben. Und zu denen zu gehören war auch für mich die Erfüllung eines Traums.