Berlin. Der deutsche Fußball sieht sich weiter mit dem heiklen Thema Rassismus konfrontiert. Bayer-Profi Amiri nimmt eine Entschuldigung eines Union-Spielers zwar an. Nach Ansicht der Eisernen sind die brisanten Worte so aber nicht gefallen. Der DFB ist nun gefordert.
Bayer Leverkusens Profi Nadiem Amiri hat eine schnelle Entschuldigung angenommen. Der Wirbel um die Rassismus-Vorwürfe ist aber gerade für den 1. FC Union Berlin damit noch nicht vorbei.
Unions Manager Oliver Ruhnert wies am Tag nach dem Spiel eine angebliche Entgleisung von Verteidiger Florian Hübner zurück. Die Worte "Scheiß Afghane" in Richtung des deutschen Fußball-Nationalspielers Amiri sollen demnach nicht gefallen sein. "Er hat sich so nicht geäußert", sagte Ruhnert in einem digitalen Pressegespräch des Fußball-Bundesligisten. Der Deutsche Fußball-Bund gab kurz darauf bekannt, dass der Kontrollausschuss zu Beginn der Woche Ermittlungen einleiten wird.
Hübner Rassismus "anzudichten" sei schon alleine wegen der Hautfarbe von dessen Ehefrau "schwierig", fügte Ruhnert an. Eine Sanktion gegen den 29 Jahre alten Verteidiger durch den Verein werde es daher nicht geben. Allerdings wird der DFB-Kontrollausschuss sich mit den wilden Szenen und offenbar rüden Äußerungen nach dem Bundesliga-Spiel am Freitag zwischen Union und Bayer Leverkusen (1:0)beschäftigen, nachdem Schiedsrichter Florian Badstübner die Geschehnisse im Spielbericht vermerkt hatte.
"Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens duldet der DFB grundsätzlich keinerlei Rassismus oder Diskriminierung auf seinen Plätzen! Das ist für uns ein absolutes No-Go und wird bei Nachweis auch entsprechend bestraft", sagte der Vorsitzende Anton Nachreiner.
Für Amiri war die Angelegenheit im Stadion an der Alten Försterei am Tag nach dem Spiel erledigt. "Er ist zu mir in die Kabine gekommen. Es sind aus den Emotionen heraus unschöne Worte gefallen, die ihm sehr leid tun. Er hat mir das glaubwürdig versichert, deswegen ist die Sache für mich erledigt", wurde der 24-Jährige von seinem Verein zitiert.
Welche Aussagen nun tatsächlich gefallen sind, ist sowohl nach Amiris Statement wie nach den Aussagen Ruhnerts weiter offen. Laut Union-Manager habe es während und nach dem Spiel ungewöhnlich viele hitzige Äußerungen von Spielern beider Vereine gegeben. Entschuldigungen seien nach der Partie von beiden Seiten ausgetauscht worden. Mit Leverkusen sei man im Reinen, betonte Ruhnert.
"Rassismus hat in unserer Gesellschaft und damit auch im Fußball nichts zu suchen! Wir sind daher dem 1. FC Union Berlin und Bayer 04 Leverkusen dafür dankbar, dass sich beide Clubs direkt nach dem Spiel entsprechend schnell und klar positioniert haben", twitterte die Deutsche Fußball Liga am Samstag.
Was immer auch gesagt wurde, Hübners Reue muss für Amiri überzeugend gewesen sein. Zuvor war er auf dem Rasen aufgewühlt und empört ob der verbalen Auseinandersetzung. Nur durch die klaren Worte seines Bayer- und DFB-Kollegen Jonathan Tah im DAZN-Interview wurde der Vorfall in seiner Tragweite publik. Ruhnert unterstellte nun, auch Tah kenne die Worte nur vom "Hörensagen".
Auf TV-Bildern ist nur zu sehen, wie sich Amiri aufgebracht mit mehreren Kontrahenten unterhält. Gestik und Mimik der Beteiligten verdeutlichen die angespannte Stimmung. Auslöser war offenbar ein Disput über ein vermeintliches Foulspiel kurz vor dem Union-Siegtor von Cedric Teuchert (88. Minute). Amiri hatte danach gemeckert und war vom Schiedsrichter verwarnt worden.
"Ich kann es nicht beweisen, ich werde das ansprechen, wir werden versuchen, das zu klären", versprach Union-Trainer Urs Fischer. Der Wirbel um die verbalen Anfeindungen überlagerte das dramatische Ende des Bundesliga-Topspiels und auch den unveränderten Sensationskurs der Eisernen.
Union Berlin stehe klar für Anti-Rassismus, verdeutlichte Kommunikationschef Christian Arbeit in einer ersten Reaktion. "Wir entschuldigen uns dafür, wenn das so gefallen ist. Es tut uns leid, das möchten wir gerne auch hier noch mal den Gästen mitgeben", betonte der Pressesprecher. Auch Fischer hatte sensibel auf die Vorfälle reagiert. Diese Reflexion war zuletzt im Profisport beim heiklen Thema Rassismus und von diversen Protagonisten sorglos gewählten Formulierungen unüblich.
Amiri, dessen Eltern in den 80er Jahren aus Afghanistan nach Deutschland kamen, soll nach dem Spiel aufgelöst in der Kabine gesessen haben. Sein Freund und Kollege Kerem Demirbay machte dem Referee den Vorwurf, die Situation nicht im Blick gehabt zu haben.
Die sportlichen Aspekte eines am Ende dramatischen Fußball-Abends gerieten in den Hintergrund. Union Berlin ließ nach dem FC Bayern (1:1) und Borussia Dortmund (2:1) auch den nächsten Topclub verzweifeln und hat sich als vorläufiger Tabellenvierter zwischen den Branchenführern etabliert. "Auf Augenhöhe" mit den Großclubs sieht Fischer seine Eisernen aber noch lange nicht. "Ich glaube, dass wir da noch einiges zu lernen haben."
Bayer-Coach Bosz bewertet die Entwicklung der Berliner auf dem möglichen Weg in den Europacup anders. "Union ist absolut ein Konkurrent. Wann man nach den Punkten guckt, es ist noch ein Punkt, dann sind sie an uns dran". Seinem Team wollte er trotz des vierten sieglosen Liga-Spiels und des verpassten Sprungs auf Platz zwei nur einen Vorwurf machen: "Wenn man das Spiel nicht gewinnen kann, dann muss man es wenigstens nicht verlieren."
© dpa-infocom, dpa:210116-99-47037/7