Hamburg. Damentennis-Chefin Barbara Rittner erklärt, warum trotz Lockdowns in dieser Woche gespielt wird und wie es um den Nachwuchs steht.
Barbara Rittner nahm sich viel Zeit für das, was ihr am wichtigsten ist. Die 47-Jährige, die im Deutschen Tennis Bund (DTB) seit 2017 als Head of Women‘s Tennis den Damenbereich verantwortet, stand am Sonntagmittag im Leistungszentrum des Hamburger Verbands in Horn auf dem Trainingsplatz, um die Toptalente auf den Start des ITF-Turniers an selber Stelle vorzubereiten, mit dem der DTB seinem Nachwuchs einen optimalen Auftakt in die Saison 2021 bieten möchte.
Im 32 Spielerinnen umfassenden Hauptfeld, das am Dienstag beginnt und an diesem Montag ausgelost wird, stehen per Wildcard Julia Middendorf (17/Visbek), Nastasja Schunk (17/Leimen) sowie die beiden Hamburgerinnen Eva Lys (18) und Noma Noha Akugue (17/beide Club an der Alster). Als Nachrückerin stünde die von einer Lymphdrüsenoperation genesene Tamara Korpatsch (25/Alster) bereit, die die Meldefrist zunächst versäumt hatte. Acht weitere Deutsche starten in der Qualifikation, in der am Montag von 12.30 Uhr an acht Hauptfeldtickets vergeben werden.
Um dem nationalen Nachwuchs möglichst viel Matchpraxis zu verschaffen, wählte der DTB trotz des Lockdowns den Termin in dieser Woche, um parallel zur in Dubai ausgetragenen Qualifikation zu den Australian Open (8. bis 21. Februar in Melbourne) das einzige ITF-Turnier der 25.000er-Serie anbieten zu können.
Hamburg unterstützt ITF-Tennisturnier in Horn
„Somit sind die Top 250 der Weltrangliste nicht am Start, was die Chancen für unsere Spielerinnen erhöht, weit zu kommen“, sagt Turnierdirektor Mirco Westphal, der im Herbst bereits das Hamburger Challengerturnier der Herren organisiert hatte. Das Hygienekonzept ist im Vergleich dazu noch einmal verschärft worden, alle zwei Tage werden PCR- und Schnelltests auf Corona durchgeführt.
Die Stadt Hamburg unterstützt die Austragung des Turniers finanziell, einen großen Teil übernimmt jedoch der Verband, was Barbara Rittner richtig und wichtig findet. „Nachdem in der vergangenen Saison deutlich weniger Turniere für Damen angeboten wurden, halte ich es für notwendig, dass wir unserem Nachwuchs mehr Gelegenheiten geben, Wettkampfpraxis zu sammeln“, sagt die frühere Topspielerin, die von 2005 an zwölf Jahre Fedcupchefin war.
Barbara Rittner gilt als Frau der Praxis, die die Spielerinnen engmaschig betreut und viele Gespräche gerade auch mit den Nachwuchsassen führt. Ihr Eindruck aus dem Coronajahr 2020 ist nicht so negativ, wie er aus vielen anderen Sportarten geschildert wird. „Ich sehe noch keine Not, Alarm zu schlagen. Unsere Spielerinnen haben die turnierfreie Zwangspause genutzt, um körperliche und taktische Defizite aufzuarbeiten. Entsprechende Tests haben nachgewiesen, dass sich alle in diesen Bereichen verbessert haben“, sagt sie.
Dem DTB brach eine Damentennis-Generation weg
Das jedoch sei nicht gleichbedeutend damit, dass alle bessere Tennisspielerinnen geworden seien: „Um das Gelernte umzusetzen, braucht es Matchpraxis, und die hat gefehlt. Umso wichtiger ist es, dass Turniere wie das in dieser Woche stattfinden“, sagt sie.
Tatsächlich gilt der Übergang vom Junioren- zum Erwachsenenbereich im Tennis als neuralgischer Punkt, an dem immer wieder vielversprechende Talente zerbrechen. Das jedoch kann sich der DTB nicht leisten. Schließlich gilt es, die Lücke zu schließen, die sich hinter der goldenen Generation um Angelique Kerber (32/Kiel), Andrea Petkovic (33/Darmstadt) und der bereits zurückgetretenen Julia Görges (32/Bad Oldesloe) aufgetan hat.
Für die im vergangenen Jahr ausgefallene Fedcup-Finalrunde, die nun im April in Ungarns Hauptstadt Budapest ausgetragen werden soll, sei ihr nicht bange, sagt Rittner, danach jedoch bestehe Handlungsbedarf. „Die Generation mit Annika Beck, Carina Witthöft, Anna-Lena Friedsam und Antonia Lottner, die alle in den Top 50 standen, ist uns aus unterschiedlichen Gründen weggebrochen. Deshalb müssen wir mittelfristig sehen, dass wir die Jahrgänge 2002 bis 2005 kontinuierlich aufbauen“, sagt Barbara Rittner.
Rittner: Tennis kam gut durch die Krise
Seinen weiblichen Nachwuchs hat der Verband in zwei Teams gegliedert, die von Porsche gesponsert werden. Im Talentteam stehen sechs Akteurinnen, die bereits Profistatus haben, darunter aus Hamburg Eva Lys. Das Juniorteam mit der Hamburgerin Noma Noha Akugue umfasst neun Spielerinnen, die allesamt noch schulpflichtig sind. Die neuen Besetzungen werden in der kommenden Woche offiziell bekannt gegeben. Die Ausbildung dieser Spielerinnen genießt hohe Priorität, was sich auch darin zeigt, dass neben Rittner auch U-18-Bundestrainerin Jasmin Wöhr (40) und der für die U16 verantwortliche Dirk Dier (48) in Hamburg vor Ort sind.
Dem DTB liegt sehr viel daran, die Kader so oft wie möglich zusammenzuziehen. Das erhöht einerseits die Konkurrenzsituation; so überlegt der Verband, im Falle eines längeren Lockdowns die bislang von ihm verteilten Wildcards für nationale Turniere in Wettkampfform auszuspielen. „Andererseits können wir so viele Gespräche führen, in denen die Mädels merken, dass sie alle ähnliche Probleme haben“, sagt Rittner.
Trotz fehlender Matchpraxis die Motivation nicht zu verlieren, das sei in den vergangenen Monaten die größte Herausforderung gewesen. „Der Lohn für harte Arbeit kommt zeitverzögert, weil es kaum Möglichkeiten gab, das Gelernte umzusetzen, und damit muss man klarkommen. Deshalb wäre es auch extrem hart, wenn der Lockdown erneut mehrere Monate dauern würde“, sagt sie.
DTB will Talenten Matchpraxis geben
Um die Talente auch psychisch bestmöglich zu stärken, finanziert der DTB an seinen Stützpunkten entsprechende Fachleute, die zusätzlich zu den Heimtrainern Angebote machen: „Der mentale Bereich ist enorm wichtig.“
Neun DTB-Talente hätten im Hauptfeld des Juniorinnenturniers der Australian Open gestanden, das abgesagt wurde. „Solche Erfahrungen werden den Mädels genommen. Deshalb sind wir als Verband gefordert, das mit Turnieren wie diesem aufzufangen“, sagt Rittner.
Den Schritt, sich an die Top 200 der Welt heranzuspielen, traut sie 2021 einigen zu, ohne Namen nennen zu wollen. „Aber um das zu schaffen, braucht es Zeit und Praxis, und beides sollen sie bekommen.“