Pinneberg. Der 67 Jahre alte Pinneberger wurde siebenmal Weltmeister im Bankdrücken. Seine Mission: zu zeigen, dass sein Sport wertvoll ist.
Am Anfang war ein Bus. Der Bus, der Kurt Schoula vor der Nase wegfuhr, weil er nicht schnell genug war. 1978 war das, in Neubrandenburg. Und Schoula, damals 25 Jahre alt, beschloss, während er nach Luft rang, dass er dringend wieder Sport machen müsste. Auf der Jugendsportschule in Greiz (Thüringen), wo er aufgewachsen war, hatte er geboxt. Im Studium zum Straßen- und Brückenbauingenieur, das er gerade abgeschlossen hatte, waren andere Dinge wichtiger. Aber so konnte, so durfte es nicht weitergehen. Nachdem er mit Lauftraining Kondition aufgebaut hatte, begann er mit Kraftsport. Was daraus entstehen würde, ahnte er damals nicht.
Heute, 36 Jahre nach seinem ersten Wettkampf im Bankdrücken, ist der 67-Jährige nicht nur siebenfacher Weltmeister seiner Altersklasse und gewinnt, wie kürzlich in Plettenberg, den nationalen Titel quasi konkurrenzlos. Er ist angesichts seiner Lebensgeschichte, mit der er seine sportlichen Erfolge untermalt, in seiner Heimat Pinneberg eine lokale Größe, ein Vorbild für viele Jugendliche, mit denen – und für die – er arbeitet. „Mein wichtigstes Anliegen ist, dass die Bedeutung von Kraftsport für die Gesellschaft anerkannt wird und dass Jugendliche lernen, ihn sauber und korrekt auszuführen, damit er nutzt und nicht schadet“, sagt er.
Kurt Schoula ist kein Mensch, der das Rampenlicht sucht. „Ich bin doch nicht wichtig, nur der Sport zählt“, sagt er. Seine Geschichte erzählt er dennoch bereitwillig, denn sie steht beispielhaft für das, was er transportieren will. Dafür, wie wichtig es ist, gegen Widerstände anzukämpfen, Rückschläge auszuhalten, beharrlich zu bleiben, um Ziele zu erreichen. Sich nicht alles gefallen zu lassen, und dabei trotzdem so sauber und fair wie möglich zu agieren.
Kurt Schoula: Kraftsport ist sein Lebensmittelpunkt
Dass er ein Typ ist, der polarisiert, der oft angeeckt ist in seinem Leben, verhehlt Kurt Schoula nicht. Er ist mit seinen 100 Kilogramm Kampfgewicht, verteilt auf 178 Zentimeter Körperlänge, eine bullige Erscheinung. Auf seinen Unterarmen hat er Bajonette tätowiert, die ihn an seine Dienstzeit in der Nationalen Volksarmee der DDR erinnern. Auf dem rechten Oberarm prangt ein Porträt seines Onkels, der als 19 Jahre alter Wehrmachtssoldat 1941 in Russland gefallen war. „Das ist eine Erinnerung an ihn, keine Verherrlichung, sondern ein Antikriegs-Tattoo“, sagt er. Auf dem linken Oberarm hat sich Schoula das Logo von Harley-Davidson unter die Haut ritzen lassen. Er selbst ist nie Motorrad gefahren, sondern hat es damals, kurz nach der Wende, als er aus der DDR nach Pinneberg zog, als Symbol für die neu gewonnene Freiheit ausgewählt.
Ein streitbarer Mensch ist Kurt Schoula ohne Frage. Einer, der in früheren Jahren auch mal die Fäuste einsetzte, um Streitigkeiten zu klären. Der, als er 2008 zur Bürgermeisterwahl in Pinneberg antrat, über seine Mitgliedschaft in der SED stolperte. Zwar war er bereits 1987 ausgetreten, hatte aber zunächst geleugnet, überhaupt Mitglied gewesen zu sein. Als das herauskam, war die Wahl gelaufen, Schoula landete abgeschlagen im Feld, kämpfte allerdings um seinen Ruf und gegen die, die ihm aus seiner Sicht hatten schaden wollen. Nach gut 27 Dienstjahren im Bauamt Pinneberg ging er 2018 „reinen Gewissens“ in Rente.
Er sagt bewusst nicht Ruhestand, denn seitdem ist der Kraftsport, den er viele Jahre als wichtigstes Hobby betrieb, sein Lebensmittelpunkt geworden. „Der Sport hat mir unheimlich viel Kraft gegeben, Zufriedenheit und Ausgeglichenheit. Durch das Training bewege ich mich in der gesamten Palette der menschlichen Gesellschaft, das gibt mir ein gutes Karma und macht mich innerlich glücklich“, sagt er. In sieben verschiedenen Fitnessstudios im Kreis Pinneberg ist Schoula aktiv, gibt dort Jugendlichen Hilfestellung, ohne ausgebildeter Trainer zu sein. Er engagiert sich in verschiedenen sozialen Einrichtungen und Vereinen, assistiert Flüchtlingen bei der Suche nach Ausbildungsstellen oder hilft bei der Jugendgerichtshilfe auch straffällig gewordenen Jugendlichen bei der Resozialisierung.
Mit 60 erstmals Weltmeister
Das Bindeglied ist in allen Fällen der Sport, und Kurt Schoula weiß, dass er gerade unter testosterongesteuerten jungen Männern nur deshalb Gehör findet, weil er im Wettkampf seine Stärke unter Beweis stellt. Auch deshalb tritt er noch immer regelmäßig auf Meisterschaften an. Seine persönliche Bestleistung im Bankdrücken – das Stemmen einer Langhantel mit aufgelegten Eisenscheiben aus der Rückenlage – liegt bei 170 Kilogramm. Beim Weltverband World United Amateur Powerlifting (WUAP) ist er seit 2018 mit 160 Kilogramm Weltrekordhalter in der Altersklasse 65 bis 70. Und diese Werte sind ihm wichtig, denn nur dabei zu sein reicht ihm nicht.
Warum er erst mit 60 das erste Mal Weltmeister wurde, kann Schoula einleuchtend erklären. „Weil ich noch nie Dopingmittel genommen habe“, sagt er. Verbotene Substanzen sorgten zwar dafür, dass man aussehe wie Hulk. „Aber sie machen den Körper kaputt. Die Jungs, die Steroide gefuttert und mich mit Mitte 50 noch geschlagen haben, machen jetzt bei 120 Kilo schlapp oder sind gar nicht mehr da. Ich habe mein Leistungsniveau seit vielen Jahren konstant bei 160, 170 Kilogramm gehalten und ernte jetzt die Früchte davon“, sagt er.
Gesunde Ernährung, gezieltes Training und ausgiebige Regeneration seien die Schlüssel zu seiner Fitness. Alkohol und Tabak sind tabu, seit zwölf Jahren verzichtet Kurt Schoula auf Weizen und Milchprodukte, nimmt kaum noch industriellen Zucker zu sich. Die 16/8-Essensregel (16 Stunden Fasten, acht Stunden Zeit zur Nahrungsaufnahme), die aktuell als Modediät gehyped wird, wendet er ebenfalls schon seit Jahren an. Trainiert wird maximal dreimal pro Woche mit Gewichten, dazu kommen ein bis zwei Stunden Boxen als Ausdauertraining. „Das reicht für mich völlig aus, und ich versuche das auch den Jugendlichen mitzugeben, dass sie nicht übertrainieren dürfen. Die meisten denken immer noch, viel hilft viel. Und dann wundern sie sich, wenn die Leistung abnimmt.“
Solange er 150 kg schafft, geht es weiter
Kurt Schoula hat sich einer Mission verschrieben. Er möchte, dass der Kraftsport mehr Anerkennung findet und das Image, ein Hort für Discopumper, Rotlichtmilieu und Dopingsünder zu sein, abstreift. „Rund zehn Millionen Menschen in Deutschland betreiben in Studios Bankdrücken oder den Kraftdreikampf aus Bankdrücken, Kreuzheben und Kniebeugen. Das ist ein riesiges Potenzial“, sagt er. Ein Potenzial, das seiner Meinung nach angesichts von nur rund 3000 Wettkämpfern deutlich zu wenig ausgeschöpft wird.
Um das zu ändern, will der vierfache Vater und dreifache Opa so lange wie möglich als aktives Vorbild vorangehen. Die WM in Prag, für die er sich als deutscher Meister qualifiziert hätte, fällt coronabedingt aus, die nächste Chance auf Weltmeisterehren kommt erst 2021. Weiterdrücken will er aber nicht um jeden Preis: „Wenn ich die 150 nicht mehr schaffe, höre ich auf“, sagt er. Schließlich wolle er nicht irgendwann „ein Opa sein, den alle bemitleiden, aber nicht mehr respektieren“. Die Zeit wird kommen, in der er auch wieder Busse verpasst, weil er zu langsam geworden ist. Aber Kurt Schoula ist guter Hoffnung, dass das noch einige Jahre dauern wird.