Hamburg. Volleyballfrauen des Eimsbütteler TV starten in ihre erste Zweitligasaison. Die 29-Jährige spielt dabei eine wichtige Rolle.
Aufregung wird sie überkommen am Sonntagnachmittag, die Volleyballfrauen des Eimsbütteler TV, und wie könnte es anders sein? Die Stralsunder Wildcats gastieren um 16 Uhr in der Sporthalle Hoheluft am Lokstedter Steindamm, es ist das erste Zweitligaspiel in der Vereinsgeschichte für die Auswahl von Cheftrainer Ulrich Kahl, in der die meisten Spielerinnen noch nie auf derart hohem Niveau baggern und blocken durften. Dazu kommen die ungewohnten Umstände durch das Coronavirus, die lediglich 100 Zuschauer erlauben und die Vorbereitungszeit auf zwei Turniere mit fünf Testspielen reduzierten. Wer da keine Aufregung verspürt, der muss wohl einen Eisblock anstelle des Herzens in der Brust tragen.
Dass sie ein Herz hat, das für Volleyball schlägt, muss Saskia Radzuweit nicht mehr beweisen. Dennoch geht die 29-Jährige mit Coolness in die Saison 2020/21, schließlich ist sie in Kahls 15er-Kader die Spielerin mit der größten Erfahrung. Die Außenangreiferin spielte schon als Teenager für das damalige Volleyballteam Aurubis (VTA) in der Bundesliga, schaffte es bis in die Nationalmannschaft, stieg 2016 mit VTA in die Zweite Liga ab und beendete im Sommer 2018, entnervt von den Querelen im Club und aus persönlichen Gründen, ihre sportliche Karriere. Sie ging vier Monate auf Reisen nach Australien, Neuseeland und Südostasien, trieb ihre berufliche Laufbahn im Einkauf des Dichtelemente-Entwicklers Hallite voran und hielt sich körperlich nur notdürftig fit.
Kontakt zu Ulrich Kahl war nie abgerissen
Der Kontakt zu Ulrich Kahl jedoch, der bereits vor zwei Jahren versucht hatte, sie vom Karriereende abzubringen, war nie abgerissen. Nun, da der ETV als Drittligameister der abgebrochenen Spielzeit 2019/20 den Aufstieg schaffte, ist die 1,82 Meter große Außenangreiferin zurück auf der Leistungssportbühne. Und auch wenn sie sich von einer gewissen Portion Lampenfieber vor dem Saisonstart gar nicht freisprechen will, sagt sie: „Ich habe schon so viel erlebt, dass ich es als meine Aufgabe ansehe, den jungen Spielerinnen in der Mannschaft etwas von meiner Ruhe zu übertragen.“
Ulrich Kahl ist seiner Neuerwerbung dankbar dafür, dass sie gewillt ist, diese Rolle zu übernehmen. „Saskia ist mit ihrer großen Erfahrung eine enorme Bereicherung und wird dem Team damit sehr helfen. Sie denkt sich in alle Aufgaben hinein und ist für mich schon jetzt ein wichtiger Bezugspunkt“, sagt der 57-Jährige, der in seine 18. Saison als Hauptübungsleiter geht. Zwar führt Außenangreiferin Juliane Namneck (22) das Team als Kapitänin in die Saison, Saskia Radzuweit soll sich aber als Führungsspielerin einbringen.
Zwei Jahre beim Köpenicker SC ließen sie reifen
Dazu sei sie, sofern der Trainer es wünsche, zwar bereit, sagt Saskia Radzuweit. „Aber ich sage hier nicht, wie es laufen muss. Ich kann gern anderen etwas mit auf den Weg geben, wenn das Interesse daran besteht. Aber ich will zunächst meine beste Leistung bringen und schauen, wie es hier im Verein läuft und was für Charaktere wir im Team haben“, sagt sie. Schließlich sei sie die Neue in einem Verein, der auf Geschlossenheit setze, was für sie eine ungewohnte Situation sei. Eine Antwort ist das, die kaum verwundert, wenn man die in Reinbek lebende Athletin ein wenig kennt. Auch beim VTA brauchte sie als Eigengewächs des Vereins einige Jahre, um sich vom schüchternen Toptalent zu einer selbstbewussten Führungsfigur zu entwickeln.
Was keinesfalls den Fakt verwässern soll, dass Saskia Radzuweit schon immer ihren eigenen Kopf hatte. Mit 22 entschied sie, weil man ihr die gewünschte Spielpraxis auf ihrer favorisierten Position im Außenangriff nicht garantieren wollte, eher mit Volleyball aufhören als weiter für VTA spielen zu wollen. Nach zwei Jahren beim Berliner Bundesligisten Köpenicker SC kam sie reifer und stärker nach Hamburg zurück, hatte jedoch 2018 dennoch keine Scheu, sich aus dem Sport zurückzuziehen, weil ihr die Lust abhandengekommen war.
Sie hat immer noch sportlichen Ehrgeiz
Und nun? Ist das Feuer wieder voll entfacht, oder ist die Rückkehr nur der Sorge vor dem körperlichen Abbau geschuldet? Saskia Radzuweit hatte schon zu kämpfen nach den ersten Einheiten, „vor allem die vielen Sprünge kannte mein Körper nicht mehr, das ist eine komplett andere Belastung als ein bisschen Fitnesstraining“, sagt sie. Auch passe es deutlich besser in ihren Alltag, dreimal in der Woche zu trainieren als mindestens doppelt so viel wie zu Bundesligazeiten. „Ich habe in den vergangenen zwei Jahren gelernt, dass es auch andere schöne Dinge gibt. Man muss sich für den Sport nicht kaputtmachen“, sagt sie.
Dennoch verspüre sie weiterhin sportlichen Ehrgeiz. „In die Bundesliga wird es nicht mehr gehen, aber die Zweite Liga war eine Bedingung für mich. Ich fange nicht wieder an, um ein bisschen rumzudaddeln“, sagt sie. Ihre Hoffnung sei, mit mehr Spaß spielen zu können als früher und mit weniger Druck. „Der einzige Druck, den ich beim ETV verspüre, ist der, den ich mir selber mache“, sagt sie. Was, wie ihr bewusst ist, die Möglichkeit einschließe, den eigenen Anforderungen nicht gerecht zu werden.
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Ulrich Kahl hat mit dem Team den Klassenerhalt als Saisonziel definiert. „Sportlich haben wir das drauf, aber wir müssen schauen, wie wir mental damit umgehen, nicht mehr fast jedes Spiel zu gewinnen wie in den vergangenen Jahren“, sagt er. Alle seine Spielerinnen hätten aber die Ambition, „dort zu bleiben, wo wir jetzt sind.“ Saskia Radzuweit teilt diesen Eindruck. Und sie hat große Lust, ihren Teil beizutragen, dass das gelingt.