Hamburg. Formella war im Vorfeld als Kanonenfutter betrachtet worden, bekommt aber für seine mutige Leistung Komplimente von Lennox Lewis.

Lennox Lewis ist ein Freund klarer Worte, und was der langjährige Dominator des Schwergewichtsboxens am Ende eines aufsehenerregenden Kampfes zu sagen hatte, dürfte Sebastian Formella als Ritterschlag genügen. „Formella war ein würdiger Gegner. Er hat gegen einen Shawn Porter in großartiger Form sehr gut mitgehalten und sich mutig und zäh präsentiert. Das war ein starker Auftritt“, lobte der 54 Jahre alte Brite, der als Experte für den US-Sender Fox Sport das US-Debüt des Weltergewichtsprofis aus dem Hamburger Stall EC Boxing begleitet hatte.

Das Urteil, das Lewis fällte, passte zwar auf den ersten Blick nicht ganz zu dem, was die drei Punktrichter in der Nacht zum Sonntag im Microsoft Theater von Los Angeles gesehen hatten. Nach zwölf Runden sprachen sie US-Superstar Porter (32) einen einstimmigen Punktsieg zu, der klarer nicht hätte sein können. Dreimal 120:108, ergo keine einzige Runde für den Herausforderer aus Deutschland, der im 23. Profikampf damit seine erste Niederlage verbuchen musste. Man konnte diese Wertung vertreten, denn auch wenn es vor allem in der zweiten Kampfhälfte einige Runden gab, in denen Formella seine Momente hatte, war Porter über die gesamte Kampfdistanz der bestimmende Mann im Ring, der die zwingenderen Aktionen ins Ziel brachte und mit brachialen Körper-Kopf-Kombinationen punktete.

Formella war im Vorfeld als Kanonenfutter betrachtet worden

Aber dass er überhaupt den Schlussgong erleben würde; dass er von Tempo, technischer Raffinesse und Schlaghärte des ehemaligen WBC- und IBF-Weltmeisters nicht gnadenlos überrollt wurde, damit hatten die wenigsten Experten gerechnet. Der 33-Jährige, der in seiner bisherigen Karriere nicht einmal ansatzweise einen Boxer der Klasse Porters vor den Fäusten gehabt hatte, war in den USA vor dem Kampf als Kanonenfutter betrachtet worden. Als leichter Aufbaugegner für den klaren Favoriten, der mit einem vorzeitigen Sieg ein deutliches Zeichen setzen wollte, um so schnell wie möglich den Rückkampf mit seinen Landsmann Errol Spence Jr. (30) zu bekommen, an den er im Herbst 2019 umstritten seinen WBC-Titel verloren hatte.

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Es spricht für Porters Professionalität, dass er den unbekannten Deutschen nicht unterschätzte, sondern in Topform in den Ring stieg. Dass er über zwölf Runden hart würde arbeiten müssen, habe er nicht erwartet, umso mehr würdigte er Formellas Durchhaltevermögen. „Er hat viele harte Treffer weggesteckt und sich trotzdem immer wieder nach vorn gewagt. Das war kein leichter Kampf für mich“, sagte er.

Formella redete sich die Niederlage dennoch nicht schön

Für Sebastian Formella spricht, dass er sich trotz der Lobpreisungen aus berufenen Mündern die Niederlage nicht schönredete. „Ich bin zwar auf der einen Seite stolz auf meine Leistung. Aber ich hadere auch mit mir, weil ich anfangs zu viel Respekt hatte. Ich wollte unbedingt die zweite Kampfhälfte erreichen und war deshalb zu verkrampft“, sagte er. Als er in der zweiten Kampfhälfte gemerkt habe, dass er mithalten könne, habe er sich besser gefühlt. „Ich denke, dass ich da auch die eine oder andere Runde gewonnen habe. Aber das ist am Ende nicht so wichtig. Wichtig ist, dass ich gezeigt habe, dass ich mithalten kann auf diesem Niveau.“

In der Tat: Dass er ankommen würde in der Champions League seines Gewichtslimits (bis 66,678 Kilogramm), davon war noch vor vier Jahren nicht einmal zu träumen. Damals, als Formella sich noch ohne Promoter durch die unterklassige deutsche Boxwelt schlug, waren Treffen mit den Topstars der Szene für ihn lediglich als Zuschauer am Ring denkbar. Doch der ehemalige Kunstturner, der das Profiboxen noch immer nur als Nebenjob betreibt und seinen Hauptberuf als Containerbrückenfahrer im Hafen auch weiterhin nicht aufgeben will, arbeitete sich beharrlich nach oben. „Wenn man seine Entwicklungsschritte sieht, dann muss man einfach stolz sein auf das, was er heute gezeigt hat. Auch wenn er am Anfang zu fest war und nicht das getan hat, was wir uns vorgenommen hatten“, sagte Cheftrainer Mark Haupt.

"Formella ist mit diesem Kampf weltweit bekannt geworden"

Wie es mittelfristig weitergeht mit Formellas sportlicher Karriere, war am Sonntag noch unklar. Seinen im Juli 2019 in Hamburg gewonnenen WM-Titel beim unterhalb der vier bedeutenden Verbände WBA, WBC, WBO und IBF einzuordnenden Weltverband IBO muss er nach der Niederlage abgeben, obwohl dieser nicht auf dem Spiel gestanden hatte. EC-Chef Erol Ceylan, der Formella seit Februar 2017 promotet und das US-Debüt möglich gemacht hatte, sagte: „Basti hat sich sehr gut verkauft. Er weiß jetzt, dass er mit den Besten mithalten kann, hat Geld und Respekt verdient und ist mit diesem Kampf weltweit bekannt geworden.“

Die IBO habe bereits signalisiert, dass Formella sofort wieder um ihren WM-Titel boxen könne. Allerdings hoffen Ceylan und das Team Formella nun auf weitere Chancen in Übersee. „Ich würde gern wieder hier kämpfen, vor allem, wenn wieder Zuschauer zugelassen sind“, sagte Formella, der die Geisteratmosphäre im leeren Microsoft Theater als „ungewohnt und sehr gewöhnungsbedürftig“ einordnete.

Während die sportliche Zukunft also noch geklärt werden muss, steht die kurzfristige Planung fest. Sebastian Formella muss, wenn er am Dienstag die Rückreise über die Türkei überstanden hat, für 14 Tage in Quarantäne, die sein Arbeitgeber fordert, ehe er wieder zur Schicht antreten darf. Seinen Urlaub hat er für die Vorbereitung aufgebraucht. Es ist das Leben, das er gewählt hat, aber das sich mit dem couragierten Auftritt in Kalifornien noch einmal verändern dürfte.