Hamburg. Hockey-Nationalstürmerin Lisa Altenburg will trotz Corona und der Geburt ihres zweiten Kindes 2021 zu Olympia.
Die Erkenntnis, dass es noch nicht vorbei ist, kam Mitte Februar. Als sie mit den deutschen Hockeydamen im Trainingslager in Spanien an ihrem Comeback arbeitete, spürte Lisa Altenburg, was sie vermisst hatte. „Der Spaß war wieder da, und ich hatte das Gefühl, dass mit dieser Mannschaft sehr viel möglich ist. Also war für mich klar: Die paar Monate bis Tokio ziehe ich noch einmal voll durch.“
In Tokio wollte die Torjägerin vom deutschen Feld- und Hallenmeister Club an der Alster Ende Juli ihr drittes Olympiaturnier erleben. Die Sommerspiele in Japan sollten das Ende ihrer internationalen Karriere markieren, schließlich ist Lisa Altenburg bereits 30 Jahre alt, was im Studentensport Hockey ein fast schon biblisches Alter darstellt. Vor allem aber hatte sie im Juni 2019 ihr zweites Kind auf die Welt gebracht. Schwangerschaft und Stillzeit laugen den Körper aus, längst nicht alle Mütter schaffen die Rückkehr in den Leistungssport. Lisa Altenburg hatte es 2013, nach der Geburt ihrer Tochter Sophie, schon einmal hinbekommen. In Spanien waren die Zweifel daran, es ein zweites Mal zu packen, verflogen. Dann kam Corona.
Die mit dem Ausbruch der Pandemie verbundene Verschiebung der Tokio-Spiele in den Sommer 2021 hat für alle Olympiakandidaten die Planungen über den Haufen geworfen. Lisa Altenburg jedoch sah sich plötzlich ganz anderen Problemen ausgesetzt, als „nur“ ihre Tagesstruktur neu ordnen zu müssen. Weil ihr Sohn Noah an einer schweren Herzerkrankung leidet, gilt er als Hochrisikopatient, was bedeutete, dass die Familie die Quarantäne sehr ernst nehmen musste. Um sich bestmöglich abzuschotten, zogen Lisa und Ehemann Valentin Altenburg, der als Junioren-Bundestrainer im Deutschen Hockey-Bund arbeitet, mit den Kindern auf einen von Verwandten betriebenen Bauernhof in die Lüneburger Heide. „Wir haben in einem Dorf mit vier Häusern gewohnt. Mehr Abgeschiedenheit ging wirklich nicht“, sagt sie.
Homeschooling und Videokonferenzen
Die Konsequenz aus dieser Entscheidung war allerdings, dass die Mitte April erfolgten Lockerungen für Olympiakader, die fortan immerhin in Kleingruppen trainieren durften, für Lisa Altenburg keine Relevanz hatten. Um halbwegs in Form zu bleiben, lief sie, den Sohn im Kinderwagen vor sich her schiebend, durch Wälder und Felder rund um Amelinghausen. „Das war eine Stunde am Tag, in der ich mal den Kopf freibekommen konnte. Aber Hockey war in dieser Phase sehr weit weg für mich“, sagt sie. Die Tage waren gefüllt mit Homeschooling für die Tochter, Videokonferenzen für den Ehemann, Onlinevorlesungen im Lehramtsstudium für die Nationalstürmerin – und der Sorge um die Gesundheit des Jüngsten für alle. „Anfangs war es für uns sehr schwer, mit dieser dauerhaften Nähe, die wir als Vielreisende nicht gewohnt waren, umzugehen“, sagt sie.
Nach einer Phase der Gewöhnung habe man jedoch die neue Situation annehmen können. „Wir haben gelernt, die Krise als Chance zu sehen. Die Zeit, die wir plötzlich hatten, hätten wir als Familie sonst nicht gehabt. Deshalb glaube ich, dass wir letztendlich davon sogar profitiert haben“, sagt sie. Lisa Altenburg glaubt sogar, dass sie im Vergleich mit vielen jüngeren Teamkolleginnen einen entscheidenden Vorteil hatte. „Für viele ist diese Zwangspause schlimmer, weil deren Leben auf Sport und Studium aufgebaut war. Wenn eine dieser Säulen wegbricht, fällt man leichter in ein Loch. Ich hatte meine Familie und deshalb deutlich weniger Zeit, mir zu viele Gedanken zu machen“, sagt sie.
Auch wenn sie es in Ermangelung von Wettkämpfen noch nicht ausprobieren konnte, ist Lisa Altenburg überzeugt davon, dass die Erfahrungen der vergangenen Monate ihre Einstellung zum Sport verändert haben. Sie werde zwar auch weiterhin mit dem bisweilen in Verbissenheit ausufernden Ehrgeiz, der sie auszeichnet und zu einer der torgefährlichsten Angreiferinnen der vergangenen Dekade gemacht hat, in die Spiele gehen. „Aber ich weiß jetzt, dass es viel Wichtigeres als Hockey gibt und dass sich Prioritäten schnell verschieben können. Das dürfte helfen, dass ich mich auf dem Feld nicht mehr in Kleinigkeiten verstricke, sondern den Fokus mehr auf das große Ganze legen kann“, sagt sie.
Herz und Leidenschaft
Seit zwei Wochen ist die Familie zurück in ihrer Wohnung in Winterhude. Und mit der Rückkehr ist auch ein Gefühl zurückgekehrt, das Lisa Altenburg drei Monate nicht verspürt hatte: Hockey zu vermissen. „Es steckt so viel Herz und Leidenschaft in meinem Sport, das verschwindet nicht so schnell“, sagt sie. Deshalb hat sie, auch wenn Noahs Gesundheitszustand unsicher bleibt und sie im kommenden Jahr ihr Lehramtsstudium abschließen will, entschieden, bis Tokio 2021 weiterzumachen. „Ich glaube, ich würde mir sonst in einigen Jahren vorwerfen, mir diese Chance nicht gegeben zu haben“, sagt sie.
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Die Familie, Eltern und Schwiegereltern unterstützen die Entscheidung; auch weil sie wissen, dass alles andere sowieso sinnlos wäre. Wer sich so häufig nach schweren Verletzungen und zwei Geburten in Wettkampfform zurückbringt, lässt sich von einem Virus nicht den letzten sportlichen Traum zerstören. Und so wird Lisa Altenburg in Kürze wieder ins Vollkontakttraining beim Club an der Alster und ins Stützpunkttraining der Nationalmannschaft einsteigen. „An meinen physischen Grundlagen habe ich in der Pause viel gearbeitet. Die Wettkampfform wird schnell zurückkommen, wenn wir wieder spielen dürfen“, glaubt sie. Wann das sein wird, ist weiterhin unklar, aber Lisa Altenburg wird bereit sein.