Viele der 22.000 gemeldeten Starter gehen am Sonntag privat auf ihre persönliche Strecke – alle mit gleicher Startnummer.
An die Hamburger Marathonläufe der vergangenen Jahre hat Mathias Thiessen keine so guten Erinnerungen. 2019 war es kühl und regnerisch, im Jahr davor trübten Hagelschauer das Erlebnis. Für diesen Sonntag nun sind Sonnenschein und Temperaturen bis zu 15 Grad Celsius angesagt, Traumwetter für Ausdauersport im Freien. Einziger Nachteil: Haspa-Marathon war gestern, die 35. Auflage fällt aus bekannten Gründen flach, ist vorerst auf den 13. September verschoben.
Heute ist #runyourownblueline, finde deine eigene blaue Linie. Für diese Aktion haben die Veranstalter in den vergangenen Tagen allen gemeldeten rund 22.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern per E-Mail eine Startnummer mit der für alle gleichen Ziffernfolge 19420 (19. April 2020) geschickt.
Thiessen (39; Bestzeit: 2:45 Stunden) und sein Laufpartner Marcel Schlag (32; 2:35 Stunden), beide begeisterte Marathonis der Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft von 1911 (HNT), haben ihre Startnummern bereits ausgedruckt. Sie wollen sich am Sonntag gegen 8.30 Uhr an die imaginäre Startlinie auf der Karolinenstraße am Fernsehturm stellen, von dort die gesamten 42,195 Kilometer an Elbe und Alster auf Straßen, Bürgersteigen und Wanderwegen absolvieren „und die leere, autofreie Stadt genießen“.
Marathon-Veranstalter: Abstand einhalten!
Sinn der Aktion sei das eigentlich nicht, warnt Frank Thaleiser, Geschäftsführer der Marathon Hamburg Veranstaltungs GmbH. Die Polizei könnte auf die Idee kommen, darin eine nicht zugelassene öffentliche Sportveranstaltung zu sehen – müsste diese dann unterbinden. Der Marathonchef appelliert an alle, den derzeit geforderten Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.
Zu zweit zu laufen, wie es Thiessen und Schlag planen, sei jedoch gestattet. „Wir werden uns an die Regeln halten“, sagt Thiessen. Das Duo hatte sich gezielt auf den Hamburger Lauf vorbereitet; als die Absage kam, „habe ich wieder den einen oder anderen Weihnachtsschokomann verzehrt“, gesteht Mathias Thiessen.
Ilka Groenewold bremst sich selbst
Auch Ilka Groenewold, die schon die Alpen rauf- und runterrannte, hat ihr umfangreiches Trainingspensum reduziert. „Das Ziel ist weg“, klagt sie. 15 Kilometer laufe sie jedoch immer noch regelmäßig, erzählt die bekannte Hamburger Eventmoderatorin und Sportwissenschaftlerin. „Ich bin körperlich weiter voll in der Lage, jederzeit einen Marathon zu laufen, könnte im Training auch die zwei- oder dreifache Strecke durchhalten, aber das birgt die ganz große Gefahr, sich zu stark auszupowern. Und dann ginge selbst im Training nichts mehr“, sagt die 35-Jährige.
Die 42,195 Kilometer in Hamburg und eine Woche später in Hannover sollten für sie die wettkampfmäßige Vorbereitung auf den Ironman am 21. Juni in Hamburg werden. Dort hätten 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, zum Schluss ein Marathon auf dem Programm gestanden, insgesamt 226 Kilometer. Aber auch der Ironman ist verlegt worden. Einen neuen Termin für dieses Jahr gibt es noch nicht. Wahrscheinlich fällt er ganz aus.
Am Sonntagmorgen sollen es für Ilka Groenewold nur wenige Kilometer um die Alster in der Nähe ihres Hauses werden, auch Hund Yoda, läuft mit, der sie oft bei ihren Trainingsläufen begleitet. Sie hofft nun, Ende Oktober wenigstens beim Frankfurt-Marathon antreten zu können. Der ist noch nicht abgesagt.
Fynn Utermarks Ziel: 10 km/h
Für den 19 Jahre alten Fynn Utermark sollte der Haspa-Marathon der erste seines Lebens werden. Das Mindestalter bei dieser Veranstaltung ist 18. „Nachdem ich bereits zehn Wochen trainiert hatte, bin ich trotz Corona weiter laufen gegangen und habe mir schnell vorgenommen, mein eigenes kleines Event daraus zu machen“, sagt er.
Er will am Sonntag gegen zehn Uhr von seinem Zuhause in Poppenbüttel starten, am Alsterwanderweg entlanglaufen, dann um die Binnen- und die Außenalster und wieder zurück durch den Stadtpark. „Ich bin die Strecke schon mal mit dem Fahrrad abgefahren, sie ist wirklich sehr schön und die perfekte Distanz.“
Utermark hat sich ein Tempo von etwa zehn Kilometern pro Stunde vorgenommen, nach 4:10 Stunden wäre er wieder zu Hause. Sein Onkel wird ihn auf dem Fahrrad begleiten, ihm Wasser und Proviant reichen. Die Route hatten beide gemeinsam ausgetüftelt. „Ich freue mich schon riesig darauf“, sagt er und geht vor die Tür, um ein bisschen zu joggen. In der letzten Woche vor einem, diesmal seinem eigenen Marathon stehen schließlich nur noch kurze Distanzen auf dem Trainingsplan.
Auch Sven Orloff, Mitglied im Triathlon Team Hamburg, hat sich seine persönliche Strecke zurechtgelegt. Sie wird ihn rund um den Hamburger Flughafen in Fuhlsbüttel führen mit Start und Ziel in seiner Straße Puttwiese in Langenhorn, die Familie will eine Art Verpflegungsstätte bei Kilometer 36 aufbauen. Der Haspa-Marathon sollte ihm als Vorbereitung auf den 73,9 Kilometer langen Rennsteig Supermarathon am 8. Mai im Thüringer Wald dienen. Fernziel des 38-Jährigen war der Ironman am 16. August in Kopenhagen.
„Leider wurden beide Veranstaltungen verschoben“, sagt er. Der Haspa-Marathon wäre sein elfter geworden. „Aus dem Lauf ist mittlerweile eine Herzensangelegenheit für mich geworden.“ Im September wäre er wieder dabei, sollte die Veranstaltung nachgeholt werden, woran nicht nur Orloff berechtigte Zweifel hegt.
15 Prozent haben ihre Anmeldung storniert
Andere teilen diesen Pessimismus offenbar nicht. Für den Termin am 13. September haben sich bereits gut 500 Läuferinnen und Läufer für den Marathon und den Halbmarathon (21,1 Kilometer) neu registrieren lassen. Alle Anmeldungen für den 19. April gelten auch für das Ersatzdatum. „Wir hatten bisher etwa 15 Prozent Stornierungen sowohl beim Marathon als auch beim Halbmarathon, bei der Marathon-Staffel sogar noch weniger“, sagt Reinald Achilles, Mediendirektor des Veranstalters.
Sven Lange, 38 Jahre, verheiratet, zwei Kinder im Alter von acht und elf Jahren, beide auch schon Läufer, wäre ebenfalls im September wieder dabei. „Ich bin schon seit Jahren leidenschaftlicher Ausdauersportler, die vergangenen drei Jahre war ich im Triathlon unterwegs, 2020 sollte bei mir allein im Zeichen des Laufens stehen“, berichtet er. Am Sonntag will er von Schenefeld aus zum Findling „Alter Schwede“ nach Övelgönne an die Elbe joggen, von dort zum Yachthafen Wedel und zurück über Appen nach Schenefeld.
Dirk Böttcher teilt diese Laufleidenschaft. 1998 schaute er erstmals beim Hamburg Marathon zu, 1999 ging er mit damals 30 Jahren selbst auf die Strecke. Aus dem Ziel, „einmal einen Marathon laufen“, sind inzwischen 26 geworden, und die Begeisterung des 50 Jahre alten Familienvaters für die 42,195 Kilometer ist ungebrochen.
„Unvergesslich bleibt mein erster Hamburg-Marathon, die grandiose Stimmung an der Strecke, die Passage am Eppendorfer Baum bei Kilometer 35, wo Tausende dicht gedrängt stehen, jeden Läufer enthusiastisch anfeuern, als sei er gerade auf dem Weg zum Weltrekord“, sagt Böttcher. Dieses Erlebnis sei noch mal getoppt worden, als später seine Kinder, heute zwölf und 15 Jahre alt, an der Straße standen, ihn lauthals unterstützen. Diese Atmosphäre wird er am Sonntagmorgen vermissen, wenn er am Alsterlauf im Rahmen der Aktion #runyourownblueline – wahrscheinlich einsam – seine Runde läuft. Nicht nur die gestrichelte blaue Linie wird ihm diesmal fehlen, auch die Hunderttausenden an der Strecke.
Topathlet Philipp Pflieger hat für September zugesagt
Philipp Pflieger (32), Neuzugang des Laufteams Haspa-Marathon Hamburg, war als einer der Stars verpflichtet worden. Mit seiner Bestzeit von 2:12:50 Stunden ist er einer der schnellsten deutschen Läufer. In Hamburg wollte er sich für Olympia in Tokio qualifizieren – die Spiele sind aber um ein Jahr verschoben worden.
Für Sonntag hat er zu Hause in Regensburg einen Halbmarathon geplant – natürlich mit der Startnummer 19420. Seine Zusage für den nächsten Haspa-Marathon hat er bereits gegeben, „und den will ich dann auch an Elbe und Alster laufen“, ließ er ausrichten.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum, und halten Sie mindestens 1,50 Meter Abstand zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an Ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden