Der US-Trainer der Hamburg Towers nennt die Corona-Krise in seiner Heimat “dramatisch“ – und erklärt, warum er nicht zurückkehrt.
Die meiste Zeit des Tages verbringt Mike Taylor mit Ehefrau Alice und den Söhnen Luke und Nick in der Wohnung in St. Georg. Dort erhielt der 47 Jahre alte US-Amerikaner auch den Anruf von Geschäftsführer Marvin Willoughby, der den Trainer der Hamburg Towers darüber informierte, dass die Saison in der Basketball-Bundesliga (BBL) doch nicht vorzeitig abgebrochen wird, sondern vorerst bis zum 30. April ruhen wird. Im Abendblatt-Interview spricht der Coach über die Entscheidung der Liga, die Situation in seiner Heimat und wie er sich die basketballfreie Zeit vertreibt.
Hamburger Abendblatt: Herr Taylor, viele Fans haben mit einem Saisonabbruch gerechnet. Wie bewerten Sie die Entscheidung, die Spielzeit fortsetzen zu wollen?
Mike Taylor: Ich finde, dass die Basketball-Bundesliga genau richtig handelt, die Situation step by step zu bewerten. Ob es realistisch ist oder nicht: Wir alle hoffen, dass wir irgendwann wieder auf dem Court stehen können, um die Saison zu beenden.
Mal Hand aufs Herz: Wie groß ist Ihr Glaube, dass die laufende Saison noch regulär beendet wird?
Taylor: Ich hoffe es sehr, aber es ist auch klar, dass es nicht einfach wird, wieder in den Spielbetrieb einzusteigen. Die Spieler haben ohne Mannschaftstraining und Meisterschaftsspiele natürlich an Kondition eingebüßt. Das ist ganz normal. Zudem haben bei vielen Clubs schon Profis ihre Verträge aufgelöst. Das wird für die Liga und alle Clubs eine Herausforderung, die wir aber zu gegebener Zeit meistern werden.
Sie klingen trotzdem eher skeptisch, was die Fortsetzung der Spielzeit angeht.
Taylor: Ich bin grundsätzlich ein Optimist, aber es gibt doch in diesen Tagen wichtigere Dinge als Basketball. Im Moment geht es darum, so viele Menschenleben wie möglich zu retten. Wir befinden uns in einer Krise, die im Moment die ganze Welt umfasst. Wir können nur umsetzen, was uns die Behörden vorgeben, und so mithelfen, dass wir dieses Virus Herr werden.
Würden Sie Glückwünsche zum Klassenerhalt entgegennehmen, wenn die Liga abgebrochen wird und es keinen Absteiger gibt?
Taylor: Nein, so weit denke ich nicht. Wir wollen uns den Klassenerhalt sportlich verdienen, und dafür haben wir – sofern Spielbetrieb möglich ist – zwölf Spiele Zeit. Das Ziel, in der kommenden Saison in der Bundesliga zu spielen, hat sich durch Corona nicht verändert.
Ihr Kapitän Beau Beech und Guard Tevonn Walker sind bereits in die USA und Kanada zurückgekehrt. Werden auch Sie zeitnah versuchen, in die Heimat zu reisen?
Taylor: Nein, eine Rückkehr in die USA ist für mich und meine Familie kein Thema. Zum einen ist unser Sohn Nick vor sechs Wochen auf die Welt gekommen, und wir wollen ihm keinen so langen Trip zumuten. Der Kleine muss erst einmal sein Immunsystem aufbauen. Zum anderen fühlen sich meine Frau und ich hier sehr wohl und vor allem sicher. Das deutsche Gesundheitssystem ist hervorragend, und es ist gut zu wissen, dass die Towers sich so toll um die Mitarbeiter, Spieler und Trainer kümmern. Gerade in so einer Extremsituation ist es wichtig, zu wissen, dass man nicht allein ist.
Wie nehmen Sie die Situation in ihrem Geburtsland USA wahr?
Taylor: Es ist auch da dramatisch. Ich lebe ja normalerweise in der Sommerpause in Ponte Vedra Beach, einem kleinen Ort in Florida, und ich habe heute erfahren, dass einer meiner Nachbarn, der in unserer Straße wohnt, in kritischem Zustand im Krankenhaus liegt. Corona ist also auch in meinem unmittelbaren Umfeld angekommen.
Sie gelten als großer Basketball-Nerd. Wie sehr leiden Sie gerade, Ihren Beruf nicht ausüben zu können?
Taylor: Mir fehlt es ungemein, mit meinen Jungs auf dem Court zu stehen, Spiele vorzubereiten, taktische Kniffe zu überlegen das Training zu planen, aber ich versuche, mich davon nicht herunterziehen zu lassen, sondern sehe es als Geschenk an, nun Zeit mit meiner Familie verbringen zu können. Mit meinen Spielern stehe ich per Videochat in Kontakt, und wir stehen die ganze Situation gemeinsam durch.
Am Dienstag wurden die Olympischen Spiele in Tokio auf das Jahr 2021 verschoben. Sie betreuen neben den Towers auch noch die polnische Nationalmannschaft und hätten die Chance gehabt, sich zu qualifizieren. Wie blicken Sie auf die Absage?
Taylor: Nun, wie schon gesagt: Die Krise beherrscht die ganze Welt, und wir müssen sehen, wie sich der nationale Spielbetrieb und auch das Thema Olympia-Qualifikation darstellen wird. Wir können nur abwarten und schauen, wie die BBL in Deutschland und der Internationale Basketball-Bund Fiba die Termine und Spielpläne ausarbeitet. Ich versuche mich nur mit Dingen zu beschäftigen, die ich kontrollieren kann, und nicht zu emotional mit Basketballthemen umzugehen. Olympia ist und bleibt ein Highlight. Ob 2020 oder 2021.
Viele Experten sagen, dass sich die Sportwelt – egal in welcher Sportart – massiv verändern wird, da die finanziellen Konsequenzen der Corona-Krise noch gar nicht absehbar sind. Ihr Vertrag bei den Towers läuft aus. Haben Sie berufliche Existenzängste?
Taylor: Nein, solche Sorgen belasten mich gerade nicht. Glauben Sie mir: Ich liebe Basketball, ich liebe die Towers und Polen, aber der Sport ist im Moment zweitrangig. Ich mache mir eher Sorgen um meine Eltern, die 79 und 80 Jahre alt sind. Wir skypen täglich, und ich versuche, sie aufzubauen, sie zu unterstützen und Tipps zu geben, wie sie den neuen Alltag meistern können. Ich habe meinen Eltern geraten, Online-Shopping zu betreiben, um so das Infektionsrisiko zu minimieren.
Was glauben Sie, wie die kommenden Wochen für Sie und die Towers aussehen werden?
Taylor: Ich wünschte, ich hätte eine Antwort für Sie. Was ich sicher weiß, ist, dass wir bisher sehr verantwortungsbewusst mit der Situation umgegangen sind. Als wir noch trainieren durften, haben wir freiwillige Einheiten angeboten, als es untersagt wurde, haben wir uns auch daran gehalten. Unser Geschäftsführer Marvin Willoughby ist in einem engen Austausch mit den Behörden. Ich finde die gemeinsame Aktion mit dem HSV und dem FC St. Pauli, dass wir alle zunächst auf das Mannschaftstraining verzichten, bemerkenswert. Das zeigt, dass auch der Hamburger Sport solidarisch miteinander umgeht. Und ich möchte noch eine Botschaft an die Hamburger loswerden.
Natürlich. Was liegt Ihnen auf dem Herzen?
Taylor: In dieser schweren Zeit sind wir alle ein großes Team. Wir haben 1,8 Millionen Mitspieler allein in Hamburg, auf die wir achtgeben müssen. Gemeinsam müssen wir Verantwortung übernehmen, damit wir die Krise überstehen. Lasst uns die Vorgaben der Behörden und der Bundesregierung so gut umsetzen, dass wir bald wieder zur Normalität zurückkehren können. Bleibt alle gesund!
Coronavirus: So können Sie sich vor Ansteckung schützen
- Niesen oder husten Sie am besten in ein Einwegtaschentuch, das Sie danach wegwerfen. Ist keins griffbereit, halten Sie die Armbeuge vor Mund und Nase. Danach: Hände waschen
- Regelmäßig und gründlich die Hände mit Seife waschen
- Das Gesicht nicht mit den Händen berühren, weil die Erreger des Coronavirus über die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine Infektion auslösen können
- Ein bis zwei Meter Abstand zu Menschen halten
- Schutzmasken und Desinfektionsmittel sind überflüssig – sie können sogar umgekehrt zu Nachlässigkeit in wichtigeren Bereichen führen