Graz/Berlin. Profi-Spieler im E-Sport zu werden ist für viele junge Menschen eine echte Karriere-Option. Allerdings sind die Top-Spieler überwiegend männlich. Frauen sind mit veralteten Strukturen und Sexismus konfrontiert. Doch es tut sich etwas.
Wer es an die Spitze des E-Sports schaffen will, muss ein Mann sein. Zumindest entsteht dieser Eindruck, wenn man sich die Top-Teams in League of Legends für Deutschland, Österreich und die Schweiz anschaut. Marlies "Maestra" Brunnhofer ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Die 23-jährige Grazerin ist die einzige Spielerin in der Prime League, in der sich aktuell die besten League-of-Legends-Spieler im deutschsprachigen Raum messen. Dort spielt sie als Support in der 1st Division - vergleichbar etwa mit der 2. Bundesliga im Fußball.
"Ich habe Druck auf mir, weil ich nicht enttäuschen will. Die Leute, die mir vertrauen, dass ich gut spielen werde und die ganzen Frauen, die hinter mir stehen", sagt Maestra vor ihrem ersten Wettkampf in einem gemischten Team. "Wird schon hinhauen", schiebt sie selbstsicher nach.
Die Freizeit dem E-Sport widmen
Wie in anderen Teamsportarten wird auch im E-Sport trainiert. Am Vormittag und Mittag schreibt Maestra ihre Masterarbeit. Am Abend folgen Trainingsspiele. Die Matches werden analysiert, Fehler besprochen. Es gibt Einzelcoachings und Teambesprechungen. Man müsse bereit sein, einen Großteil seiner Freizeit dem E-Sport zu widmen, sagt sie. Nicht viele Frauen seien bereit dazu.
In der Regel werden im E-Sport keine Teams explizit als Männerteams gegründet. Für acht professionelle E-Sport-Organisationen, die auf die Anfrage der Deutschen Presse-Agentur antworteten, ist die Sache klar: Man würde gerne mehr Frauen in die Teams aufnehmen. Es gebe nur keine, die auf dem höchsten Niveau spielten. Zudem gebe es insgesamt viel weniger Frauen, die sich überhaupt bewerben. Am Ende stehe man mit einer überwiegend männlichen Auswahl da.
Frauen als Unterhaltungsfaktor
Dem Branchenverband game zufolge sind fast die Hälfte der Gamer Frauen. Allerdings würden Frauen auf Veranstaltungen und Online-Kanälen immer noch weitreichend als Unterhaltungsfaktor eingesetzt, anstatt sie in inhaltlichen Positionen zu platzieren, beschreibt Jana Möglich, Gleichstellungsbeauftragte beim Verein eSports Nord, das Problem.
LoL-Publisher Riot Games hat zuletzt 2012 eine Spielerstatistik veröffentlich. Damals waren über 90 Prozent der aktiven Spieler männlich. Auch Maestra berichtet aus ihrer Erfahrung von einem Frauenanteil von zehn bis 15 Prozent.
Daneben gebe es noch mehr Gründe für den geringen Frauenanteil, schreibt Benjamin Schlotzhauer, CEO der E-Sport-Organisation BlackLion: Fehlende Vorbilder, fehlende Erfahrung der Organisationen, offener Sexismus in der Community.
Gegen Vorurteile wehren
Auch Maestra musste sich schon gegen das Vorurteil wehren, ihren Rang nicht selbst erarbeitet zu haben. "Männer, die ein schlechtes Game spielen, werden natürlich auch geflamet, also beleidigt. Aber nicht aufgrund des Geschlechts", erzählt sie. Sie selbst schaue kaum in den Chat. "Es gibt eine Mute-Funktion, bei der die Chatnachrichten nicht mehr angezeigt werden."
In der Branche habe es sich zudem etabliert, dass Teammitglieder zusammen in Gaming-Häusern leben und trainieren. "Wenn man so eng zusammen lebt, gestaltet es sich schwierig, Frauen und Männer in einem Team gemeinsam zu haben", meint Alexander Müller von SK Gaming.
Das nehmen sowohl andere Organisationen als auch Maestra als Problem wahr. "Die Organisationen sind bedacht darauf, Streits oder Eifersüchteleien zu verhindern, was womöglich sein kann, wenn es eine Frau im Team gibt", sagt sie. Selbst hat sie aber noch nicht in einem gemischten Team-Haus gewohnt.
"Offen für alle" reicht nicht
Jana Möglich beobachtet, dass E-Sport immer mehr in der Mitte der Gesellschaft ankomme. Mit der Initiative "Hier spielt Vielfalt" und dem dazugehörigen Diversity Guide habe der Branchenverband game ein Zeichen gesetzt. Der aktuell im Präsidium komplett männlich besetzte eSport-Bund Deutschland (ESBD) hat 2019 zudem ein eigenes Gender-Diversity-Komitee gegründet.
"Die zahlreich geäußerte Formulierung "wir sind offen für alle" reicht in unseren Augen in der derzeitigen Situation eben nicht aus", betont Möglich. Teams, Vereine und Organisationen sowie die Veranstaltenden müssen laut der Gleichstellungsbeauftragten "tatsächliches Engagement und sinnvolle Fördermaßnahmen" zeigen.
Einige Organisationen halten gesonderte Fördermaßnahmen für einen Fehler. Die Argumentation geht so: Frauen und Männer sind gleich, daher darf man sie auch nicht unterschiedlich behandeln. Das blendet aus, dass Mädchen und Frauen im E-Sport trotzdem ganz anders wahrgenommen und behandelt werden. "Wenige Mädchen sehen den E-Sport als realistischen Weg für sich, da es nicht ihrer Rolle zugeschrieben wird - das Identifikationspotenzial fehlt", schreibt Möglich.
Traum: Aufstieg in die Pro Division
Die meisten Organisationen sprechen sich aber für die Förderung von Mädchen und Frauen aus. SK Gaming hat etwa Leistungszentren in Berlin und Köln aufgebaut. Spielerinnen würden dort die Möglichkeit bekommen, unter professionellen Bedingungen zu trainieren, ohne gleich mit den Team-Kollegen zusammenwohnen zu müssen.
Maestra ist eine der wenigen weiblichen Vorbilder. Sie engagiert sich in Österreich dafür, dass E-Sport Mädchen und Jungen in der Schule näher gebracht wird. In der Prime League steht sie mit ihrem Team Aequilibritas (AEQ) derzeit im Mittelfeld. Drei Siege und drei Niederlagen - das reicht für Tabellenplatz sechs von zehn in der 1st Division. Ihr Traum? Irgendwann in die Pro Division aufsteigen und den E-Sport hauptberuflich verfolgen.