Göppingen. Firat Arslan verpasste sein Ziel, ältester Profiboxweltmeister der Geschichte zu werden. Dieser Mann warf für ihn das Handtuch.
Die wichtigste Frage beantwortete Firat Arslan bereits am frühen Sonntagmorgen, obwohl ihm das wahrscheinlich gar nicht bewusst war. Mit zerbeultem Gesicht saß der Cruisergewichts-Boxprofi im Presseraum der EWS-Arena in Göppingen und sprach über seinen vorangegangenen Kampf gegen IBO-Weltmeister Kevin Lerena (27) aus Südafrika, der in einem Kuriosum geendet war, das es in Deutschland in der Form noch nicht gegeben hat. „Es macht mich traurig, dass meine Karriere so endet“, sagte Arslan, und man konnte nicht anders, als mit ihm zu fühlen.
Chef des Hamburger EC-Stalls wirft für Arslan das Handtuch
Als Krieger im Ring war der Deutschtürke aus Donzdorf seit Beginn seiner Profilaufbahn vor 23 Jahren bekannt; als einer, der gegen alle Widerstände angeht, immer wieder aufstand, wenn er denn überhaupt mal zu Boden ging. Und dann verpasste er sein Ziel, mit 49 Jahren und vier Monaten ältester Profiboxweltmeister der Geschichte zu werden.
In der sechsten Runde entschied sein Promoter Erol Ceylan, Chef des Hamburger EC-Stalls, ein Handtuch zum Zeichen der Aufgabe in den Ring zu werfen. Natürlich wurde darüber diskutiert, ob dieser Akt den Regeln entsprach, was die am Ring anwesenden Verbandsvertreter zumindest als Grenzfall einordneten. Doch Ringrichter Leszek Jankowiak aus Polen blieb nichts anderes übrig, als das Duell zu beenden.
Coach Ted Lackner darf als einziger über Schützling entscheiden
Arslan und sein Coach Ted Lackner vertraten vehement die Position, dass nur der Trainer das Recht habe, für seinen Schützling zu entscheiden. „Er kennt mich am besten und hat gesehen, dass ich noch vollkommen klar war“, sagte der Kämpfer. Auch sei das geworfene Handtuch nicht das gewesen, das Lackner in der Ecke benutzte. „Wir wissen nicht, woher Erol es hatte“, sagte Lackner. Dennoch wollte Arslan Ceylan keine Vorwürfe machen. „Ich weiß, dass Erol es nicht böse meinte, er hat an meine Gesundheit gedacht. Aber dann könnten ja auch hundert andere das Handtuch werfen. So kann es nicht gehen“, sagte er.
Tatsächlich musste man konstatieren, dass Ceylans Impulshandlung zumindest nachvollziehbar war. Der technisch und athletisch klar überlegene Lerena, von dem in Zukunft mit Sicherheit auch in den Top-vier-Weltverbänden zu hören sein wird, hatte Runde um Runde klarer für sich entschieden, Arslan in der sechsten Runde am Seil gestellt und mit harten Treffern eingedeckt. Wer die Karriere des in 59 Kämpfen 47-mal siegreichen Schwaben verfolgt hat, der weiß, dass er sich nicht nur einmal aus ähnlichen Situationen befreit hat. Und dennoch: Arslan ist dreifacher Vater, und seine Gesundheit hätte arg in Gefahr geraten können, auch wenn er meinte, „noch völlig frisch im Kopf“ gewesen zu sein. Manchmal muss man Boxer, die zu hart gegen sich selbst sind, von außen schützen.
Arslan ist „Weltmeister im Böse-Gucken“
Auch wenn Firat Arslan, der den Abend in Eigenregie mit Hilfe seiner Frau Dilek organisiert und ohne Gage geboxt hatte, „den Kampf noch einmal anschauen und dann entscheiden“ möchte: Es wäre eine weise Entscheidung, dem Satz vom Sonntagmorgen Folge zu leisten. Was diesem Mann bleibt, der sich quälen kann wie nur wenige, ist der Ehrentitel „Weltmeister im Böse-Gucken“, wobei man sich oft gefragt hat, wie ein so netter Mensch eines solch grimmigen Gesichtsausdrucks fähig sein kann. Und es bleibt die Erkenntnis, dass in vielen Ringen dieser Welt viele Menschen deutlich älter ausgesehen haben als Firat Arslan mit 49.
Im Rahmenprogramm gab die frühere Mittelgewichtsweltmeisterin Christina Hammer (29) zehn Monate nach ihrer Niederlage gegen US-Superstar Claressa Shields ein ordentliches Comeback. Die nun in Hamburg trainierende Dortmunderin besiegte Florence Muthoni (34/Kenia) über acht Runden einstimmig nach Punkten. „Ich habe gemerkt, dass ich den Ringrost abschütteln musste. Aber für eine so lange Pause war die Leistung okay“, sagte Hammer, die nun als nächstes um die vakante IBO-WM kämpfen möchte.
EC-Schwergewichts-Neuerwerbung Victor Faust (27/Ukraine), vor seinem Debüt als neuer Klitschko gehyped, besiegte Andrej Mazanik (34) durch technischen K.o. in Runde eins und profitierte davon, dass der als zäh bekannte Weißrusse seine Zähigkeit bei einem Schläfentreffer vergaß und dankbar zu Boden sank. Seine Fähigkeiten konnte der ehemalige Amateur-Europameister in seinem ersten Profikampf nur andeuten. Aber das ging den Klitschkos in ihren ersten Kämpfen genauso.