Essen/Hamburg. Der Weltmeister-Torwart von 2007 und frühere Hamburger steht im Aufgebot. Die Freude wird durch viele Ausfälle getrübt.
Es war der Tag der Überraschungen. Einer der Protagonisten des Tages konnte sein Glück dabei kaum fassen, ein anderer wirkte niedergeschlagen. Es war der Tag der Rückkehr eines deutschen Handballhelden und zugleich der Tag, an dem klar wurde, dass die Ambitionen der DHB-Auswahl bei der Handball-Europameisterschaft im Januar zurückgeschraubt werden müssen. Am Donnerstag lagen zwischen Freud und Leid nur wenige Minuten.
Zunächst hatte Bundestrainer Christian Prokop bei der Verkleinerung seines EM-Kaders von 28 auf 17 Spieler überraschend Johannes Bitter neben Andreas Wolff als Torwart für das Turnier vom 9. Januar an in Norwegen, Österreich und Schweden nominiert. Der frühere HSV-Schlussmann Bitter, der in Hamburg von 2007 bis zur Insolvenz 2016 des früheren Bundesligisten Meister (2011) und Champions-League-Sieger (2013) wurde, ist 37 Jahre alt. Sein bis dato letztes Länderspiel, Nummer 144, absolvierte der 2,05 Meter große Hüne im Frühjahr 2014. Seitdem war er ständiger Reservemann, aber trotzdem einer der bekanntesten Handballer des Landes, seit er im WM-Finale 2007 ab der 34. Minute den verletzten Henning Fritz ersetzte – und Weltmeister wurde.
Bitter war sprachlos
„Sprachlos“ sei er gewesen, berichtete Bitter. „Das Telefonat mit dem Bundestrainer war kurz und knapp. So was plant man einfach nicht.“ Das sei das schönste Geschenk, das man vor Weihnachten bekommen kann, sagte Bitter in einer Videobotschaft an seine Fans. „Das freut mich sehr für Jogi, der sich seine Nominierung verdient hat“, sagte Torsten Jansen, Hamburgs Zweitligatrainer, über seinen Kumpel und Zimmergenossen aus gemeinsamen aktiven Zeiten.
Zum Zeitpunkt des Bitter-Telefonats hatte Bundestrainer Prokop in einer weiteren Personalie dagegen noch anders geplant. Mit Rückraumspieler Steffen Weinhold beispielsweise. Doch kaum war das Gespräch mit Bitter beendet, folgte die Absage Weinholds. Der wurfstarke 33-Jährige aus dem rechten Rückraum des THW Kiel leidet unter einer Entzündung im Fuß. Entsprechend niedergeschlagen wirkte der Bundestrainer im Anschluss, war dies doch bereits der fünfte Ausfall eines Leistungsträgers. „Das ist eine sehr bittere Nachricht für uns“, sagte Prokop: „Hoffentlich ist das Ende der Fahnenstange erreicht, was die Verletzungsabsagen angeht.“
Problemfeld der Deutschen
Wie wahr: Gerade auf der Spielmacherposition – in den jüngsten Jahren ohnehin ein Problemfeld der Deutschen – fallen gleich vier Mann aus: Martin Strobel (Balingen), einer der Hauptverantwortlichen für die mitreißenden Auftritte bei der Heim-WM im vergangenen Januar, der sich nach Kreuzbandriss noch nicht fit genug fühlt; Fabian Wiede (Berlin), für den am 30. Dezember eine Schulteroperation ansteht; die ebenfalls mit Kreuzbandverletzungen fehlenden Tim Suton (Lemgo) und Simon Ernst (Berlin). Nun wird der Berliner Paul Drux die Verantwortung tragen. Es breche „ganz starke individuelle Qualität weg“, sagte Christian Prokop, „aber wir wollen das als Team meistern und schnell Lösungen finden.“
Die angestrebte Medaille hat der 40-Jährige trotz der Personalsorgen nicht abgeschrieben. „Ich finde, dass wir bewusst und konsequent an unseren Zielen festhalten sollten. Es wäre das Größte, das Halbfinale zu erreichen“, sagte Prokop. „Dazu sollte auch dieses Team imstande sein.“
Rückraum ist links gut besetzt
Ist es das wirklich? Im Tor ist das deutsche Team mit dem beim polnischen Spitzenclub Kielce spielenden Wolff und Bitter vom TVB Stuttgart gut und erfahren besetzt. Prokop verzichtete zugunsten von Bitter gar auf den langjährigen Ersatzmann Silvio Heinevetter aus Berlin und den Kieler Dario Quenstedt. Die Kreisläufer Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Jannik Kohlbacher sind allesamt Weltklasse und bilden auch das Herzstück der Abwehr. Finn Lemke (Melsungen) fand keine Berücksichtigung. Auf Linksaußen spielt Kapitän Uwe Gensheimer, einer der besten Flügelspieler und Siebenmeterwerfer der Welt, auf der rechten Seite ist Tobias Reichmann eine Toppersonalie.
Bleibt der Rückraum: Links gut besetzt mit Fabian Böhm und dem wurfgewaltigen Julius Kühn. Rechts sieht es mit Franz Semper und Kai Häfner schon nicht mehr ganz so blendend aus, das Problem in der Mitte ist im Vergleich zu anderen Topnationen gravierend.
DHB-Kader: Tor: Wolff (Kielce), Bitter (Stuttgart); Linksaußen: Gensheimer (RN Löwen), Zieker (Stuttgart); Rechtsaußen: Reichmann (Melsungen), Kastening (Hannover-Burgdorf); Rückraum links: Böhm (Hannover-Burgdorf), Weber (Leipzig), Kühn (Melsungen); Mitte: Drux (Berlin), Michalczik (Minden); Rückraum rechts: Semper (Leipzig), Häfner (Melsungen); Kreis: Pekeler, Wiencek (beide Kiel), Kohlbacher (RN Löwen), Golla (Flensburg)