Hamburg. Mit 41 will der erfahrene Boxprofi noch einmal die Weltspitze angreifen. Erster Schritt am Sonnabend in Hamburg geplant.

Darf ein Sportler seine eigenen Fans verprügeln? Jürgen Brähmer hat zwar schon fast alles erlebt in seiner Karriere, die im Dezember 1999 in der Sporthalle Hamburg begann und bislang 54 Profiboxkämpfe umfasst. Aber dass er an diesem Sonnabend (20.15 Uhr/live bei bild.de) auf die Eingangsfrage nur eine einzige Antwort geben kann, ist auch für den 41-Jährigen Neuland: Er darf nicht nur, er muss sogar.

Im Hauptkampf der neuen Veranstaltungsreihe „German Edition“ des Münchner Promoters Alexander Petkovic (39) steigt Brähmer im Cruise Terminal Altona gegen den Saarländer Jürgen Doberstein in den Ring; der Sieger ist neuer Interkontinentalmeister des Weltverbands IBF. Der 30-Jährige gab auf der Pressekonferenz freimütig zu, dass er zu seinem Gegner seit Jahren aufschaue. „Ich habe mit dem Boxen angefangen, als Jürgen Profi wurde.

Große Ehre für Doberstein

Ich habe viele seiner Kämpfe gesehen und habe nichts als Respekt­ für ihn. Für mich ist es eine große Ehre, gegen ihn antreten zu dürfen“, sagte Doberstein. Die Antwort, die Brähmer darauf im Gespräch mit dem Abendblatt gibt, ist eine, wie man sie kennt vom meinungsstarken Mecklenburger, der nicht nur im Ring schlagfertig daherkommt. „Ich bin es eher gewohnt, dass meine Gegner nach unserem Duell zu meinen Fans werden“, sagt er.

Auch wenn eine gehörige Portion Ironie in dieser Aussage steckt, zeugt sie auch von der Selbstsicherheit, mit der der ehemalige Halbschwergewichts-Champion seinen Sport angeht. Brähmer, der von 1999 bis 2012 für den Hamburger Universum-Stall kämpfte, ist einer von zwei Verbliebenen aus der goldenen Ära des deutschen Profiboxens. Der andere ist Marco Huck (35), der am 11. Januar in Hannover versucht, gegen den Briten Joe Joyce (34) Europameister im Schwergewicht zu werden. Alle anderen sind nicht mehr da. Markus Beyer ist auf tragische Weise an Krebs verstorben, Graciano Rocchigiani bei einem Autounfall. Sven Ottke, Dariusz Michalczewski, Arthur Abraham? Haben längst aufgehört. Felix Sturm steht wegen Steuerhinterziehung vor Gericht. Jürgen Brähmer ist immer noch da.

Brähmer führt in Schwerin sein eigenes Gym

Und zwar nicht, weil er muss, sondern weil er will. „Eigentlich müsste ich längst aufhören, weil der Sport meinen anderen beruflichen Tätigkeiten im Weg steht“, sagt er. Tatsächlich hat Brähmer sich früh weitere Standbeine aufgebaut, er ist im Immobiliengeschäft tätig, investiert in verschiedene Firmen. Im vergangenen Jahr eröffnete er am Medeweger See in Schwerin auf einem drei Hektar großen Gelände des ehemaligen Wasserwerks sein eigenes Gym, in dem er nicht nur selbst schuftet, sondern auch als Trainer für Amateurboxer arbeitet.

Auch im Profibereich war er als Coach tätig. Und dann sind da noch seine Kinder, Tochter Jasmin (7) und Sohn Joris (5), um die er sich gemeinsam mit seiner Partnerin Tatjana kümmert. Aber weil ihm das Training viel Freude bereitet, seit er für sich selbst entscheiden kann, was ihm guttut und was nicht, und weil er glaubt, noch immer auf Weltspitzenniveau mithalten zu können, möchte er vom aktiven Boxen noch nicht lassen. „Es gab früher einige Phasen, in denen ich das Gefühl hatte, körperlich kaputt zu sein und am liebsten aufhören zu wollen. Aber das ist jetzt nicht mehr so. Die Trainingssteuerung, die ich in Absprache mit meinem Athletikcoach Sebastian Förster mache, ist jetzt optimal für mich“, sagt er.

Brähmer ohne Promoter unterwegs

Seit seiner Trennung vom Berliner Sauerland-Team im vergangenen Jahr ist Jürgen Brähmer ohne Promoter unterwegs, und er genießt die Freiheit, sich seine Kämpfe selbst aussuchen zu können. „Ich bin froh, dass ich das Kapitel hinter mir gelassen habe“, sagt er, „ich kooperiere nur noch ohne vertragliche Bindung mit Promotern.“ Dass er dadurch bei den Weltverbänden einen schwierigeren Stand hat, weil niemand in seinem Namen Verhandlungen führt, nimmt er in Kauf: „Natürlich ist es in dieser Konstellation härter, einen WM-Kampf zu bekommen. Aber ich denke, dass ich mich mit ein, zwei guten Aufbaukämpfen bei der IBF empfehlen kann.“

Tatsächlich dürfte IBF-Champion Caleb Plant (27/USA) die niedrigste Hürde beim letzten Anlauf auf einen WM-Titel darstellen. Zwar wäre WBA-Weltmeister Callum Smith (29/England) Brähmers Wunschgegner, der Brite hat allerdings diverse Anfragen unbeantwortet gelassen. Landsmann Billy Joe Saunders (30), Titelträger bei der WBO, will nicht gegen einen Rechtsausleger, der Brähmer ist, kämpfen. Und auch WBC-Champion David Benavidez (23/USA) scheint andere Pläne zu verfolgen.

Gut auf das Leben nach dem Sport vorbereitet

Was, wenn es nichts wird mit dem letzten WM-Hurra? „Ich werde nur kämpfen, wenn das Angebot stimmt“, sagt er. Angst vor dem schwarzen Loch, das manch einen Sportler nach dem Karriereende schluckt, hat er auch nicht. „Ich glaube, dass ich sehr gut auf das Leben danach vorbereitet bin.“ Es müsse auch nicht unbedingt um eine WM gehen zum Abschied, ein großer nationaler Kampf würde ihn auch reizen. Dass Gegner vom Schlage Dober­steins bei allem Respekt unter seinem Niveau sind, verbietet sich der 181 Zentimeter große Athlet auszusprechen. „Mein Anspruch ist, den Kampf klar zu gewinnen“, sagt er.

Deutschland böte jedoch einige Rivalen auf Augenhöhe, Sauerlands Talente Leon Bauer (21) und Vincent Feigenbutz (24), WBA-Halbschwergewichts-Champion Dominic Bösel (30) vom Magdeburger SES-Team oder Tyron Zeuge (27) vom Berliner Agon-Stall, den Brähmer sogar mal trainierte. Darf man seinen eigenen Schützling verprügeln? Ja, findet Jürgen Brähmer. Aber am Sonnabend ist erst einmal sein Fan dran.