Tallinn/Hamburg. Aufregung vor Estland-Spiel. Der Mittelfeld-Star erklärt sich vor Anpfiff zu seinem umstrittenen Instagram-Like. Die Reaktionen.
Ein seltsames Spiel in Estland hat die deutsche Nationalmannschaft von Trainer Joachim Löw in der Spur für die EM 2020 gehalten. Mit 3:0 gewann das Team zwar, verlor aber Emre Can (Juventus Turin) nach 14 Minuten durch eine Rote Karte. Lange hatte es nicht so ausgesehen, als könne "die Mannschaft" die Partie besonders erfolgreich gestalten. Und ein Eklat um Can und Ilkay Gündogan vor dem Spiel hatte für zusätzlichen Zündstoff gesorgt.
Der frühere Teamchef Jürgen Klinsmann sagte: "Die Rote Karte hat das Spiel völlig verändert." Manuel Neuer meinte, das Ergebnis und der Sieg seien nur eine Frage der Zeit gewesen. Das Anlaufen des Gegners sei nach der Dezimierung der Mannschaft schwieriger gewesen. "Das war schon ein anderes Spiel. Über 90 Minuten perfekt zu spielen, das ist schwer bei einer Mannschaft, die sich erst noch finden muss."
Gündogan traf zweimal, redete aber nicht mehr
Ausgerechnet Ilkay Gündogan hatte die deutsche Nationalmannschaft in Estland mit 1:0 in Führung gebracht (51.) und dann noch auf 2:0 erhöht (57.). Der Mann, dessen Verhalten in den sozialen Netzwerken für Diskussionen sorgte und der sich noch unmittelbar vor dem Spiel zur türkischen Militäroffensive in Syrien erklären musste (siehe unten). Bis dahin hatte sich die dezimierte Mannschaft extrem schwergetan. Timo Werner erhöhte dann noch gegen letztlich überforderte Esten auf 3:0 (71.).
Aber was war das für eine erschreckende erste Halbzeit! Rot für Emre Can und eine vergleichsweise planlose Kickerei der Mannschaft von Joachim Löw. Die deutsche Nationalmannschaft begann ihr Qualifikationsspiel für die EM 2020 in Estland am Sonntagabend zwar ohne den verletzten Serge Gnabry, aber mit Manuel Neuer im Tor sowie in der Offensive mit den quirligen Marco Reus und Luca Waldschmidt (23). Für den Freiburger und ehemaligen HSVer Waldschmidt war es der zweite Einsatz bei Joachim Löw. Waldschmidt spielte 67 Minuten, für ihn kam dann Werner.
Liveticker und Statistik Estland vs. Deutschland
In der 14. Minute des Spiel sah Emre Can von Juventus Turin Rot nach einer Notbremse direkt am Strafraum. Die deutsche Mannschaft spielte fortan in Unterzahl. Und das machte sie zwar bemüht, aber nicht gut. 0:0 hieß es zur Halbzeit. Von Durchschlagskraft war nichts zu sehen, auch wenn der umtriebige Ilkay Gündogan und der technisch versierte Kai Havertz zunächst Akzente setzen konnten.
Nie zuvor hatte ein DFB-Profi in der deutschen Länderspielhistorie früher Rot gesehen als Can. Bisheriger „Rekordhalter“ war Robert Huth, der am 4. Juni 2005 beim 4:1 in Nordirland in der 15. Minute vom Platz geflogen war.
Can hatte nach einem unsauberen Querpass von Niklas Süle am eigenen Strafraum klären wollen. Bei seiner Grätsche traf er jedoch Gegenspieler Frank Liivak, Schiedsrichter Georgi Kabakow (Bulgarien) entschied auf Notbremse und zeigte Rot.
Die Mannschaft: Deutsches Nationalteam bei Twitter
Unterdessen hatte das niederländische Nationalteam mit einem Doppelpack von Liverpools Star Georginio Wijnaldum sein Qualifikationsspiel mit 2:1 in Weißrussland gewonnen. Für die Mannschaft von Ronald Koeman war es der fünfte Sieg im sechsten Spiel. Wegen des gewonnenen Direktvergleichs mit Löws Truppe können die Holländer den Gruppensieg aus eigener Kraft schaffen. Ohne den verletzten Stürmerstar Memphis Depay von Olympique Lyon brauchten die Niederländer einige Zeit, um das Abwehr-Bollwerk der Weißrussen zu knacken.
Eklat um Gündogan und Can
Wenige Stunden vor dem EM-Qualifikationsspiel der deutschen Nationalmannschaft in Estland sorgte Nationalspieler Ilkay Gündogan (29) für große Aufregung. Der Profi von Manchester City likte bei Instagram ein Foto, das der türkische Nationalspieler Cenk Tosun (FC Everton) gepostet hatte. Auf dem Foto sind türkische Spieler zu sehen, die in die Kamera salutieren. Tosun verfasst dabei den Text mit den Worten: "Für unsere Nation, vor allem für jene, die für unser Land ihr Leben riskieren.“
Es ist offenbar eine Sympathiebekundung für die Militäroffensive in Syrien von Staatspräsident Recep Tayyip Erodgan. Wenig später löschten sowohl Gündogan als auch Teamkollege Emre Can (25) den Like. Can sagte der "Bild"-Zeitung: "Ich habe den Post von Tosun, den ich schon lange kenne, beim Scrollen geliked, ohne jegliche Intention und auf den Inhalt zu achten. Ich bin ein absoluter Pazifist und gegen jede Art von Krieg."
Gündogan fühlt sich in seiner Reaktion auf das umstrittene Jubelfoto missverstanden. „Glauben Sie mir: Nach dem letzten Jahr ist das Letzte, was ich wollte, ein politisches Statement zu setzen“, ließ Gündogan kurz vor seinem Startelf-Einsatz am Sonntagabend mitteilen. Er betonte, er habe sein Like für das umstrittene Bild „bewusst zurückgenommen“, als er gesehen habe, dass seine Reaktion „politisch gewertet wurde. Wahr ist, dass ich mich für meinen ehemaligen Teamkollegen aus der DFB-U-21 gefreut habe, dass er das Siegtor gemacht hat.“
Gündogan hatte sich bereits vor der Weltmeisterschaft 2018 gemeinsam mit Mesut Özil mit Erdogan ablichten lassen. Ob Gündogan und Can Konsequenzen zu befürchten haben, ist noch unklar. Erst nach der Partie in Estland will sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) damit beschäftigen.
Uefa ermittelt gegen die Türkei nach Post von Foto
Die Europäische Fußball-Union (Uefa) prüft indes den Verdacht, wonach türkische Nationalspieler während des Qualifikationsspiels für die EM 2020 gegen Albanien (1:0) einen militärischen Gruß getätigt und dabei Bezug auf die Offensive türkischer Streitkräfte in Nordsyrien genommen haben sollen. Das bestätigte ein Uefa-Sprecher der italienischen Nachrichtenagentur ANSA. „Ich habe die Geste, die zweifellos als Provokation gedeutet werden kann, nicht gesehen“, sagte der Uefa-Pressechef Philip Townsend: „Politische Äußerungen sind in den Regularien aber verboten. Deshalb werden wir dem Verdacht definitiv nachgehen.“
Nach dem Sieg am Freitag, den der gebürtige Wetzlarer Tosun mit seinem Treffer in der 90. Minute ermöglicht hatte, postete der türkische Verband zudem ein vielsagendes Bild auf Instagram. Darauf sind die Spieler zu sehen, wie sie in der Kabine einen Militärgruß vollziehen „und den Sieg den tapferen Soldaten und Märtyrern widmen“, wie unter dem Bild geschrieben steht.
Gnabry gegen Estland nicht in der Startelf
Trainer Löw musste gegen Estland auf Serge Gnabry verzichten. Der Offensivspieler des FC Bayern stand wegen muskulärer Probleme nicht in der Startelf. Laut DFB handelt es sich um eine Vorsichtsmaßnahme.
Der 59 Jahre alte Trainer hatte dem Bayern-Profi vor kurzem eine Stammplatzgarantie ausgestellt.