Alveslohe. Lilly Köster gehört zum Team des Deutschen Meisters aus Hamburg – auf Gut Kaden geht es am Wochenende um die Titelverteidigung.
Am Abschlag eines Par fünf, 477 Meter lang, wunderbar in die Landschaft gebaut. Der rund 4,2 Zentimeter im Durchmesser kleine weiße Ball saust los – und verabschiedet sich mit großer Geschwindigkeit im Gebüsch. Lilly Marie Köster lächelt milde und verkneift sich einen Kommentar zu dem misslungenen ersten Schlag des Journalisten. Schließlich geht es nur um ein Gute-Laune-Golfturnier und nicht wie am Wochenende um entscheidende Schläge bei der deutschen Meisterschaft.
Der Deutsche Golf-Verband hat einen Tag vor dem Start des Events zu einer Neun-Loch-Runde mit Teilnehmerinnen des Final Four auf Gut Kaden eingeladen. Köster, Handicap +1,6, spielt für den Titelverteidiger, den Hamburger Golfclub Falkenstein, der 2018 sensationell auch den Europapokal der Landesmeister gewinnen konnte. „Favorisiert sind wir aber nicht“, betont die 20 Jahre alte Hamburgerin, „unser Halbfinalgegner am Sonnabend, St. Leon-Rot, hat jedes Jahr ein starkes Team.“ Entspannt geht sie zum nächsten Abschlag, schlägt den Ball mit dem Driver über 215 Meter.
Dass das Hamburger Team überhaupt die Endrunde der Deutschen Golf Liga erreicht hat, – neben den Damen spielen auch die Herren ihren Meister aus, – war alles andere als selbstverständlich. Topspielerin Esther Henseleit startete 2019 ihre Profikarriere, zwei Abiturientinnen mussten für ihre Abschlussprüfungen büffeln – und Köster, die seit vier Jahren mit Henseleit bei den „Vierern“ (zwei Spieler im Team treten gegen ein zweites Duo an) regelmäßig aufgetrumpft hatte, kümmerte sich in Wien um ihr Zahnmedizinstudium, das sie vor einem Jahr begann: „Die Kombination aus Gesundheit, Ästhetik und Handwerk finde ich spannend.“
Köster studiert Zahnmedizin im dritten Semester
„Vor eineinhalb Jahren habe ich mich entschieden, dass ich nicht wie Esther versuche, mit Golf mein Geld zu verdienen, sondern den beruflichen Fokus auf andere Dinge lenke“, erinnert sich Köster, die früher auch ambitioniert für Großflottbek Hockey gespielt hat. Sie hat in sich hineingehorcht und festgestellt, dass sie Golf zwar liebt, aber in diesem Einzelsport auf Dauer den Mannschaftsspirit vermissen und nicht an ihr Limit kommen würde. „Ich habe andere Mädchen gesehen, die mit Tränen in den Augen am Abschlag standen, weil ihnen die Freude am Spiel abhandengekommen war und sie sich zu sehr unter Druck gesetzt haben. Da habe ich mir gesagt: Ich spiele Golf nur zu meinen Bedingungen.“ Sie nimmt den Putter in die Hand, wirkt dabei etwas unkonzentriert und schiebt ihren Versuch vorbei.
Die Leidenschaft für den Sport treibt Spielerinnen wie Köster auch ohne Geldanreize zu Topleistungen an. Nachdem sich das Team am vergangenen Wochenende mit dem Tagessieg am letzten Spieltag in Berlin für das Final Four qualifiziert hatte, standen nach dem Ruhetag am Montag täglich Trainingseinheiten an. Nach der Eröffnungsveranstaltung mit allen Teams am Freitagabend auf Gut Kaden endete der Tag mit einer Teambesprechung mit Trainer Christian Lanfermann in einem benachbarten Hotel. Letzte taktische Dinge erörtern, die Motivation für die zwei entscheidenden Tage noch mal herauskitzeln – und vor allem die Aufstellungen für die Einzel und Vierer festlegen. Am heutigen Sonnabend klingelt gegen 5 Uhr der Wecker. Die Starts erfolgen von 7.30 Uhr an.
Ob Esther Henseleit bei der Mission Titelverteidigung mitwirken kann, war am Freitagabend offen. Bei den Scottish Open in Aberdeen kämpfte sie darum, nach zwei Runden den Cut zu überstehen, also auch die dritte und vierte Runde bestreiten zu dürfen. Mit 143 (76+67) Schlägen verpasste sie das Weiterkommen auf dem Par-71-Kurs schließlich um einen Schlag. Lilly Köster wünschte ihrer Teamkollegin natürlich den maximalen Erfolg in Schottland, gleichwohl wusste sie auch, dass mit einer Teilnahme Henseleits die Chancen steigen.
Hoffnung auf Start der Topspielerin Esther Henseleit
Der Plan war jetzt: Am Sonnabendmorgen sollte Henseleit sich in den Flieger setzen und am Nachmittag im Einzel antreten. Angesetzt sind Lochspiele, nicht wie sonst Zählspiele, wo jeder Schlag in das Ergebnis einfließt. Wer weniger Schläge an einer Bahn benötigt, gewinnt diese. Wer mehr Löcher gewinnt, holt für sein Team den Punkt. „Das ist eine Spielform ganz nach meinem Geschmack, da kann ich mich so richtig hochfahren“, sagt Köster und strahlt. Es ist wie bei den Profis: Am Ende wird nicht nur das Können entscheiden, sondern die mentale Stärke.
Wir sind an den neunten Bahn angekommen. Die letzte Annäherung ist drei Meter von der Fahne gelandet, die Chance auf das Birdie ist da. „Los, Lilly, das ist der Putt um die Meisterschaft“, ruft ihr ein Mitspieler zu. „Na, dann muss ich den wohl reinmachen“, sagt sie. Fast unmerklich geht ein Ruck durch ihren Körper – und kurz darauf liegt der Ball im Loch. Ein gutes Omen für das Turnier, das womöglich zugleich ihre Abschiedsvorstellung ist. Denn Köster sucht gerade nach einem Golfclub in der Nähe von Wien. Denn auch während des Studiums kann und will sie nicht komplett auf das Golfspielen verzichten. Ihr Heimatclub wird immer Falkenstein bleiben.