London. Patricio Apey reagiert auf die Vorhaltungen seines Noch-Schützlings – und attackiert dabei auch den gesamten Zverev-Clan.
Bevor sich Alexander Zverev am Montagabend für ein paar Tage abmeldete „an einen Ort, an dem niemand mich erreichen kann“, versuchte er in all dem Gefühlswirrwarr noch einen positiven Aspekt zu finden, gar eine Art Kampfansage zu formulieren. „Bis zu den US Open sind noch ein paar Monate Zeit“, sagte Deutschlands bester Tennisprofi, nachdem er bei den All England Championships in Wimbledon in Runde eins mit 6:4, 3:6, 2:6, 5:7 am tschechischen Qualifikanten Jiri Vesely (25) gescheitert war. „Ich glaube, dass die US Open in diesem Jahr mein Durchbruch bei den Grand-Slam-Turnieren sein können. Bis dahin muss ich aber die Probleme lösen.“
Sich selbst Mut zuzusprechen war also die Taktik in einer Phase seiner Karriere, die viele schon früher erwartet hatten, die aber nun mit voller Härte zuschlägt. Die erste große Krise, in die sich der 22 Jahre alte Hamburger über die vergangenen Monate hineinmanövriert hat, kulminierte am Montag in einer Tirade, die keinen Zweifel daran ließ, dass die Probleme, die Zverev lösen muss, mehr sind als nur kleine Kratzer, die mit ein paar Pflastern überklebt werden können.
Der Weltranglistenfünfte muss Baustellen schließen, die an den Berliner Flughafen erinnern, um sich endlich wieder auf das konzentrieren zu können, was seine primäre Aufgabe sein sollte: gutes Tennis zu spielen.
Welchen Anteil hat Zverevs Manager an seiner Arroganz?
Der Mann, den Zverev indirekt für die Schlappe gegen Vesely verantwortlich machte, ohne dessen Namen zu nennen, ist Patricio Apey. Seit 2012 arbeitet der gebürtige Chilene daran, aus einem der vielversprechendsten Tennistalente der Welt eine globale Marke zu machen. Mit seiner arroganten Art hatte Apey früh weite Teile der deutschen Tennis-Journaille gegen sich aufgebracht.
Er limitierte streng den Kontakt zu deutschen Medien, weil er sie für zu unbedeutend hält. Er war es, der Zverev trotz eines von ihm schriftlich zugesicherten Fünfjahres-Engagements in den vergangenen beiden Jahren von dessen Heimturnier am Hamburger Rothenbaum fernhielt. In diesem Sog litt das Image des Jungstars, der ebenfalls längst nicht mehr nur in Deutschland als unnahbar und arrogant wahrgenommen wird. Umso erstaunlicher war der Gefühlsausbruch am Montag, der Zverev verletzlich – und damit menschlich-sympathisch wirken ließ.
Zverev-Streit mit Manager eskalierte vor Wimbledon
Nachdem der Weltranglistenfünfte im vergangenen November den ATP-WM-Titel gewinnen konnte, begann das Zerwürfnis. Über den genauen Grund dafür hüllen sich beide Seiten in Schweigen. Klar ist nur, dass im März öffentlich bekannt wurde, dass Zverev sich von Apey losgesagt hat und dafür sogar einen Gerichtsstreit in Kauf nahm. Dieser scheint in den Tagen vor dem Wimbledon-Start eskaliert zu sein.
„Was er in den vergangenen Tagen gemacht hat, ist abartig. Ich bin sehr wütend darüber, denn er ist ein Mensch, mit dem ich sehr viel zu tun hatte. Ich dachte, wir wären Freunde, nun tut er Dinge, um mir zu schaden“, klagte der Hanseate.
Was genau vorgefallen sei, dürfe er öffentlich nicht verraten. „Aber das ist mein Leben momentan, und ich muss diese Dinge abseits des Courts in Ordnung bringen“, sagte er. Allerdings könnte sich der juristische Kampf, in dem es um Abfindungszahlungen in hoher einstelliger Millionenhöhe geht, um den laut Apey bis 2023 laufenden Kontrakt zu lösen, bis Ende 2020 hinziehen.
Apey reagiert auf Zverevs Vorwürfe
Am Dienstagabend reagierte Apey schließlich auf die Vorhaltungen seines Noch-Schützlings. "Die Bemerkungen sind überraschend und enttäuschend", teilte Apey mit und nannte Zverev nach seinem Spitznamen Sascha: "Traurigerweise ist die einzige Person, die Saschas Leben schwierig macht, Sascha selbst." Er selbst werde als "Sündenbock ausgenutzt", sagte Apey.
"Wir haben seit Januar nicht gesprochen, und sie ziehen es vor, nur über Anwälte zu kommunizieren", sagte Apey über die Zverev-Familie. "Die Tür ist immer offen für ihn und seine Familie", ergänzte Apey und signalisierte die Bereitschaft zu einem klärenden Gespräch.
Muss Zverev nun um seine Karriere bangen?
Schon in den ersten Monaten nach der Trennung hat Zverev erfahren müssen, wie anstrengend ein Profileben plötzlich sein kann, wenn da keiner mehr ist, der sich um alles kümmert. Noch weitere 16 bis 18 Monate ohne Manager zu sein, könnte einen tiefen Karriereknick nach sich ziehen.
Gerüchte, er wolle sich der von Roger Federer und dessen Manager Tony Godsick gegründeten Vermarktungsagentur Team 8 anschließen, halten sich hartnäckig. Doch zunächst braucht es eine klare, saubere Trennung von Apey. Wie das funktionieren soll, ist aktuell vollkommen unklar.
Natürlich musste es Zverev und seinem Rechtsbeistand klar gewesen sein, dass ein solches Manöver nicht geräuschlos über die Bühne zu bringen sein würde. Aber es muss, darauf deuteten mehrere Aussagen am Montag hin, einen gewichtigen Grund geben, warum man glaubt, den Vertrag fristlos aufkündigen zu können.
Welchen Anteil Zverevs Vater an der Krise hat
Ähnlich undurchsichtig ist die Situation im Trainerteam. Nachdem Honorartrainer Ivan Lendl (59) bei den French Open wegen einer angeblichen Pollenallergie fehlte, war in Wimbledon Zverevs Vater Alexander senior (59), der viele Jahre die Hauptarbeit im Coaching geleistet hatte, nicht dabei. Offiziell, weil er sich in Hamburg von einem Krankenhausaufenthalt erholt.
Intern jedoch wurde bekannt, dass es seit einiger Zeit ein Kompetenzgerangel zwischen Lendl und Papa Zverev gibt und letzterer seinen Aufgabenbereich beschnitten sieht, wenn der US-Amerikaner mit in der Verantwortung steht. Auch diese unklare Gemengelage, die zu unterschiedlichen Ausrichtungen in der Trainingsarbeit und Spielvorbereitung führt, trägt zu Zverevs wankelmütigen Auftritten bei.
„Es ist insgesamt eine schwierige Zeit, die ihn sehr belastet“, sagte Zverevs älterer Bruder Mischa (31), der in den vergangenen Monaten einige Managementaufgaben übernahm, obwohl er selbst noch aktiv ist und eine eigene Familie zu versorgen hat. „Er weiß, dass ich ihm immer helfe, wenn er etwas braucht, aber ich versuche, ihn in Ruhe zu lassen und nicht ständig zu fragen, wie es ihm geht.“
Zverev sagt Turnier wegen Streit mit Veranstalter ab
Eine Einstellung ist das, die auch Michael Kohlmann vertritt. Der Daviscup-Teamchef, aktuell beim Challengerturnier in Ludwigshafen im Einsatz und deshalb nicht in London vor Ort, will dem Sorgenkind zunächst nicht aktiv Hilfe anbieten, „aber er weiß, dass ich immer zur Verfügung stehe, wenn er mich braucht und ich helfen kann.“ Der 45-Jährige glaubt, dass zunächst eine längere Pause vonnöten ist. „Sascha hat in den vergangenen Monaten fast jede Woche ein Turnier gespielt, weil er glaubte, dass er sich nur durch Matchpraxis Erfolgserlebnisse holen kann. Das zehrt an einem, darunter leidet das Training.“
Alexander Zverev scheint das verstanden zu haben. Er kündigte an, eine längere Pause zu nehmen. Beim ATP-Turnier in Washington (29. Juli bis 4. August), das er in den vergangenen Jahren als Vorbereitung auf die beiden Mastersturniere in Montreal und Cincinnati und die anschließenden US Open genutzt hatte, wird er wegen eines Streits mit den Organisatoren nicht aufschlagen.
Dass er stattdessen auf Sand am Rothenbaum (22. bis 28. Juli) Matchpraxis sammeln könnte, würde dem Ansinnen, sich mit intensivem Training auf die nordamerikanische Hartplatzserie einzustellen, entgegenstehen – und scheint entsprechend unrealistisch.
Kohlmann: Zverev muss sich auf Tennis konzentrieren
Zverev müsse nun versuchen, die vielen Ablenkungen hinter sich zu lassen, sich zurückzuziehen und an seinen Schwächen zu arbeiten, um den Fokus wieder in Richtung Tennis zu lenken, sagte Kohlmann. „Wenn man sich um so viele andere Dinge kümmern muss, verliert man den Blick für das Wesentliche, und das sind dann die wenigen Prozente, die ausreichen, um Matches zu verlieren."
Gelinge es, die Baustellen auf und neben dem Platz zu schließen, „kann er viel Kraft aus dieser Phase ziehen und stärker daraus hervorgehen“, sagte Kohlmann. Gelingt es nicht, droht eine hoffnungsvolle Karriere nachhaltig in die falsche Spur zu geraten.