Hamburg. Der Hockey-Nationalstürmer zeigt sich bei der WM in Indien gereift. Rühr will seine Rolle neu interpretieren.
Natürlich hat es ihm gutgetan, dieses Tor gegen die Niederlande. Auch wenn es nur ein Siebenmeter war zum 4:1, kurz vor Spielende, als die zweite Gruppenpartie bei der WM im indischen Bhubaneswar am Mittwochabend schon entschieden war. „Es ist als erster Siebenmeterschütze mein Job, daraus ein Tor zu machen, und den Job mache ich gern“, sagt Christopher Rühr. Aber wer vermutete, sein erster WM-Treffer sei für den Topstürmer von Rot-Weiß Köln ein Brustlöser gewesen, den korrigiert der 24-Jährige vehement.
„Das klassische Denken, ein Stürmer sei nur gut, wenn er Tore schießt, ist für mich nicht mehr aktuell. Es geht hier um größere Dinge“, sagt er. Die persönlichen Statistiken gelte es hintanzustellen, wenn man Führungsspieler sein wolle. Wobei er den Begriff Führungsspieler nicht mag, „das klingt zu abgedroschen“. Ein Leitwolf möchte Rühr sein, einer, der das Spiel mit all seinen Aktionen nachhaltig prägt. Einer wie Moritz Fürste, der nach den Olympischen Spielen 2016 aus dem Nationalteam zurückgetretene Hamburger, der durch seine Präsenz zu Deutschlands bekanntestem Hockeyspieler wurde.
Selbstbewusstsein hat er
Das dafür nötige Selbstbewusstsein wird dem angehenden Medizinstudenten schon seit Jahren nachgesagt. Wer in den sozialen Netzwerken in Anlehnung an Portugals Fußball-Superstar Cristiano Ronaldo als „CR 17“ firmiert, leidet sicherlich nicht an zu kleinem Ego. Dass der frühere Bundestrainer Markus Weise den pfeilschnellen Tempodribbler bei dessen erster WM-Teilnahme vor vier Jahren in den Niederlanden als „Spektakelspieler“ kategorisierte, hat zu Rührs Ruf innerhalb der Hockeywelt ebenfalls beigetragen.
Nun aber, mit der Erfahrung aus 118 Länderspielen, will der gebürtige Düsseldorfer seine Rolle neu interpretieren. „Ich bin ein etablierter Spieler, hockeytechnisch ist nicht mehr viel Verbesserungspotenzial“, sagt er – und ist damit nicht unbescheiden, sondern einfach ehrlich. Umso wichtiger sei es ihm nun, sich persönlich weiterzuentwickeln, und dazu zähle, sich intensiver in den Dienst der Mannschaft zu stellen. „Ich bin deshalb nicht neidisch, wenn andere mehr Tore schießen. Keiner bei uns muss beweisen, dass er besser ist als andere. Es geht nur ums Team“, sagt er.
Weltbeste Offensive
Die deutsche Offensive gilt bei dieser WM als die weltbeste, und Rühr will diesen Anspruch nicht von sich weisen. „Wir müssen aber zeigen, dass wir diesem Anspruch gerecht werden können.“ Im Vergleich zu 2014 habe sich vor allem das Zusammenspiel untereinander verbessert. „Es wird kaum einmal passieren, dass alle Stürmer ihren besten Tag erwischen. Aber wenn zwei von uns ausgeschaltet werden, sind da immer noch drei andere, die das Spiel und die Tore machen können. Das macht uns so unberechenbar und stark“, sagt er.
Sorgen, dass der Gruppensieg und damit die direkte Viertelfinalqualifikation im letzten Vorrundenmatch gegen Malaysia an diesem Sonntag (12.30 Uhr/DAZN) noch verspielt werden könnte, seien deshalb unberechtigt, sagt Rühr. „Wir sind reif genug, dieses Spiel mit dem nötigen Ernst anzugehen und mindestens den noch fehlenden Punkt zu holen.“ Sollte ihm dabei ein Tor gelingen, ginge der erste Gruß wohl wieder gen Himmel, als Verneigung vor seinem im Oktober verstorbenen Vater. Das sind die Gesten, die dem gereiften Christopher Rühr wichtig sind.