Hamburg. Erstmals spricht HSV-Profi Douglas Santos über seinen geplatzten Wechsel, die Herausforderung Zweite Liga und Gott und die Welt
Über kaum einen HSV-Profi wurde in diesem Sommer mehr gesprochen als über Douglas Santos. Wechselt er zum FC Schalke? Nach Leverkusen? Oder ganz woanders hin? Vor dem Heimspiel (Sonnabend, 13 Uhr/Sky) im Volksparkstadion gegen den 1. FC Heidenheim sprach das Abendblatt nun nicht über, sondern mit Santos. Der Brasilianer, der nach dem Olympiasieg 2016 für 7,5 Millionen Euro von Atlético Mineiro zum HSV kam und den viele für den besten Fußballer der Zweiten Liga halten, grüßt mit einem fröhlichen „Moin“. Und obwohl der 24-Jährige mittlerweile ein sehr passables Deutsch spricht, soll das Interview dennoch auf Portugiesisch geführt werden. „Vamos“, sagt Santos. Legen wir los.
Herr Santos, Sie haben nach dem Training lange mit Trainer Christian Titz gesprochen. Verraten Sie uns, über was Sie gesprochen haben?
Douglas Santos: Über das Leben an sich. Das waren keine großen Geheimnisse. Wir haben einfach ein bisschen gequatscht. Dabei ging es gar nicht um Fußball. Der Trainer hat einfach gefragt, wie es mir so geht und was es Neues in meinem Leben gibt. Er macht das sehr oft. Christian Titz ist auf eine gewisse Art und Weise ziemlich brasilianisch: offen, kommunikativ und auch sehr herzlich. Mir gefällt das. Als Spieler bekommt man so ein ganz anderes Vertrauensverhältnis zum Trainer.
Auf welcher Sprache haben Sie sich denn unterhalten?
Auf Deutsch. Natürlich ist meine Grammatik noch ausbaufähig, aber ich verstehe eigentlich so gut wie alles. Vor allem Fußballdeutsch ist gar kein Problem.
Dann lassen Sie uns über Fußball reden. Am Wochenende treffen Sie auf Heidenheim. Hand aufs Herz: Haben Sie vor dieser Woche schon jemals vom 1. FC Heidenheim gehört?
Wenn Sie mich so fragen und ich ganz ehrlich bin: Von Heidenheim hatte ich vor dieser Saison noch nie gehört. Aber: In der Länderspielpause und insbesondere in dieser Woche haben wir uns natürlich sehr detailliert auf Heidenheim vorbereitet. Jetzt kenne ich den Gegner.
Statt Arjen Robben oder Julian Brandt heißt Ihr Gegenspieler am Sonnabend Marc Schnatterer …
… und auf Marc Schnatterer muss ich mich genauso akribisch vorbereiten wie auf Robben oder Brandt. Denn wenn ich das nicht tun würde, dann hätte ich schon verloren.
Bei allem Respekt vor Heidenheim, aber finden Sie das nicht ein wenig übertrieben?
Überhaupt nicht. Sicherlich haben Robben und Brandt noch eine andere fußballerische Qualität als Schnatterer. Aber Fußball wird ja auch im Kopf entschieden. Und in der Zweiten Liga ist es die größte Aufgabe, diese neuen Herausforderungen richtig anzunehmen. Für mich ist deshalb jedes Spiel eine Art Endspiel. Das klingt vielleicht komisch, aber das hilft mir, dass ich nicht nachlasse. Eine Partie gegen Bayern oder Bayer ist doch genauso wichtig wie jedes Zweitligaspiel. Und deshalb ist auch Heidenheim ein Finale.
Die Vorbereitung ist also genau die gleiche?
Klar. Ich mache nichts anders als im vergangenen Jahr in der Bundesliga. Allerdings habe ich auch keine Marotten oder festen Abläufe. Ich gehe nicht um eine bestimmte Uhrzeit ins Bett und esse immer nur ein bestimmtes Müsli zum Frühstück. Ich mache das von Spiel zu Spiel anders, so, wie ich mich gerade fühle. Die einzige Sache, die ich eigentlich immer gleich mache, ist meine Musik vor dem Spiel. Wenn wir mit dem Bus am Stadion vorfahren, höre ich immer brasilianische Gospelmusik.
Haben Sie lange gebraucht, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Sie nun mit dem Bus zu einer Zweit- und nicht mehr zu einem Erstligaspiel fahren?
Es hat schon eine ganze Weile gedauert, bis ich mich an den Gedanken gewöhnt habe, dass wir jetzt in der Zweiten Liga sind. Ich wollte das erst gar nicht wahrhaben. Ich denke, dass ich eine ordentliche Bundesligasaison im letzten Jahr gespielt habe, und hatte den großen Traum, dass ich irgendwann wieder in die brasilianische Nationalmannschaft zurückkehren könnte. Dieser Traum ist in der Zweiten Liga natürlich deutlich schwerer zu realisieren. Ich hatte auch nach der WM keinen Kontakt mehr mit Nationaltrainer Tite. Auf der anderen Seite hilft es ja auch nichts, immer nur über den Abstieg zu trauern. Ich bin ja ein sehr gläubiger Mensch, und ich bin mir absolut sicher, dass Gott einen bestimmten Weg für mich ausgesucht hat. Diesen werde ich jetzt in der Zweiten Liga bestreiten. Ich habe den festen Glauben daran, dass ich eine gute Zukunft vor mir habe.
Sie hatten im Sommer mehrere Anfragen, darunter von Schalke und Leverkusen. Waren Sie nicht enttäuscht, dass der HSV Sie nicht ziehen lassen wollte?
Ich bin ganz ehrlich: Die Verlockung war da, bei einem Spitzenverein in der Bundesliga zu spielen. Jeder Spieler sucht die größtmögliche sportliche Herausforderung. Wir hatten dann viele Gespräche mit den HSV-Verantwortlichen, und mir wurde gesagt und aufgezeigt, dass ich für das Projekt Wiederaufstieg eine wichtige Rolle übernehmen soll und dass man mich deswegen nicht so einfach ziehen lassen kann und möchte. Das habe ich auch verstanden, und deswegen war mir klar, dass ich trotz anderer Möglichkeiten und der Enttäuschung über den Abstieg alles für den HSV, meinen Trainer und meine Kollegen geben müsste. Und genauso mache ich das jetzt.
Andere Fußballer streiken sich gerne mal zu ihrem Wunschverein. Und auch bei Ihnen haben gleich mehrere Berater im Hintergrund versucht, Geld zu verdienen. Haben Sie eigentlich alle Dinge mitbekommen, die hinter den Kulissen gelaufen sind?
Nein, habe ich nicht. Und wollte ich auch nicht. Mir war wichtig, dass ich mich nur auf meine Leistung konzentrieren konnte. Ich wollte erst informiert werden, wenn ein schriftliches Angebot auf dem Tisch liegt. Diese ganzen Gerüchte haben mich gar nicht interessiert.
Wie waren die Reaktionen in Brasilien, als klar war, dass Sie nun ein Jahr lang in der Zweiten Liga spielen werden?
Natürlich haben mich meine Familie und Freunde gefragt, was das nun bedeutet. Sie können ja jetzt auch nicht mehr die HSV-Spiele im Fernsehen verfolgen. Und so sehr auch ich mich erst damit anfreunden musste, nun in der Zweiten Liga zu spielen, so sehr ist es wichtig, diese Herausforderung nun mit Haut und Haaren anzunehmen. Es ist doch klar, dass wir nur in die Bundesliga zurückkehren können, wenn wir uns auf die Zweite Liga einlassen. Wir werden diese neue Liga annehmen.
Atmosphärisch war der Start in die Zweite Liga gegen Kiel ohnehin noch erstligareif. Was haben Sie gedacht, als Sie im ersten Auswärtsspiel in Sandhausen antreten mussten?
Man hatte ein wenig das Gefühl, als ob es ein DFB-Pokal-Spiel war. Sandhausen ist ein kleiner Ort mit einem kleinen Stadion. In dem Moment, in dem man dort mit dem Bus vorfährt, weiß man spätestens, dass man in der Zweiten Liga angekommen ist. Denn natürlich ist das nicht München oder Dortmund. Aber gleichzeitig war es auch ein schönes Gefühl. Es waren so viele Hamburger in Sandhausen dabei, dass es ein Heimspiel für uns war. So etwas puscht uns Spieler natürlich auch extrem. Auch unsere Fans scheinen also die Zweite Liga angenommen zu haben.
Ihr zweites Auswärtsspiel in Dresden wurde kurzfristig wegen einer Demonstration von Rechtsradikalen in Chemnitz abgesagt. Wie haben Sie Ihren Freunden und Ihrer Familie in Brasilien erklärt, was da los war?
Natürlich wurde ich gefragt, was da los war. Zu dem Zeitpunkt konnte ich aber nur sagen, dass das Spiel abgesagt wurde, weil nicht genügend Polizei zur Verfügung stand, weil zur Sicherung der Demonstration in Chemnitz Polizeikräfte gebraucht wurden. Das war ja eine sehr ungewöhnliche Situation, als wir von der Absage erst im Zug auf den Weg nach Dresden erfahren haben. Aber von den genauen Gründen habe ich erst später gehört. Ich muss gestehen, dass ich all die Vorkommnisse in Chemnitz zunächst gar nicht so detailliert mitbekommen habe. Ich schaue nur selten deutsche Nachrichten, weil mein Deutsch dann doch nicht so gut ist, dass ich all die Zusammenhänge verstehe.
Hatten Sie jemals eine Situation in Deutschland, in der Sie sich unwohl fühlten?
Nein. Nie. Meine Familie und ich haben uns immer sehr wohl und willkommen gefühlt. Wir nehmen Hamburg als eine große und sehr weltoffene Stadt wahr. Gott sei Dank muss man sich hier zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Gedanken machen.
Sie sprechen sehr viel von Gott, sind sehr religiös und gehen regelmäßig in Blankenese in die Kirche. Beten Sie vor dem Spiel?
Natürlich. Ich bete sehr viel. Ich bete im Mannschaftshotel, kurz bevor wir losfahren. Und auch auf dem Platz bete ich noch einmal, dass sich keiner verletzt und dass es ein erfolgreicher Nachmittag wird.
Darf man für den Wiederaufstieg beten?
Selbstverständlich. Warum denn nicht? Für mich ist ein gutes Gebet wie ein gutes Essen. Ich brauche das einfach. Ich schlafe auch besser nach einem guten Gebet. Und natürlich betet man oft für Gesundheit und das Wohlbefinden aller. Aber man darf doch auch für persönliche Dinge beten. Und darum bete ich, dass mir Gott die Stärke für ein gutes Training und ein gutes Spiel gibt. Ich bete für den Wiederaufstieg. Und ich bete auch für ein gutes Spiel gegen Heidenheim.