Hamburg. Eishockey-Bundestrainer Marco Sturm nimmt in Hamburg zwei Ehrungen für seine Überraschungsmannschaft des Jahres entgegen.
Ausdauer war gefragt bei Marco Sturm (39) am Montag, schließlich betrieb der Eishockey-Bundestrainer in Hamburg Award-Hopping. Am Nachmittag nahm er für den Deutschen Eishockey-Bund (DEB) im Stilwerk an der Großen Elbstraße den Smash-Award für den besten Social-Media-Auftritt des Jahres entgegen. Abends wurde das DEB-Team in der Fischauktionshalle für die im Februar gewonnene Olympische Silbermedaille mit dem „Sport Bild“-Award als „Überraschung des Jahres“ ausgezeichnet. Zwischen den Terminen nahm sich Sturm Zeit für ein Gespräch.
Herr Sturm, Social-Media-Preis, „Sport Bild“-Award – die olympische Silbermedaille wirkt auch ein halbes Jahr später noch nach. Welche Auszeichnung, die Sie nach dem großen Erfolg von Pyeongchang erhalten haben, war die schönste für Sie?
Marco Sturm: Ich freue mich über jeden Preis, den wir bekommen haben. Aber das schönste Lob ist, dass ich aus allen Schichten der Bevölkerung, ob von Kindern oder 80 Jahre alten Damen, gespiegelt bekomme, dass der Zusammenhalt, den die Mannschaft ausgestrahlt hat, überall als besonders wahrgenommen wurde. Nur dadurch konnten wir in Südkorea so weit kommen, und es freut mich sehr, dass dieser Spirit auch in Deutschland spürbar war.
Der Deutsche Fußball-Bund hat sein Nationalteam „Die Mannschaft“ genannt. Fühlen Sie sich brüskiert, wenn Sie den Zusammenhalt des DFB-Teams mit dem Ihrer Mannschaft vergleichen?
Als Verband versucht man immer, sich prägnant zu vermarkten. Das gehört dazu. Da der Fußball in Deutschland klar im Mittelpunkt steht, finde ich den Slogan okay. Auch wenn es bei der WM nicht so gelaufen ist, wie alle gehofft haben, ist deshalb nicht alles schlecht. Wir haben auch aus dem Fußball viel Feedback auf unseren Erfolg bekommen, auch der DFB hat mit uns gefiebert.
Welchen Anteil hat ein Trainer daran, dass ein Team so funktioniert wie Ihres?
Ich sehe mich als einen kleinen Teil der Mannschaft, sonst wäre es nicht mein Team. Jedes Mitglied muss seinen Beitrag leisten. Meiner liegt darin, dass ich das Zusammensein steuere. Ich kann nicht nur der Freund der Spieler sein, sondern muss die Regeln vorgeben. Aber ich bin auch keiner, der sich in den Vordergrund stellt.
Sind Sie Instinkt- oder Laptoptrainer?
Bei mir kommt viel aus dem Bauch, aber ohne Laptop geht heute nichts mehr. Ich denke deshalb, dass ich ein guter Mix bin. Aber in einigen Dingen bin ich ein Mann der alten Schule. Ich ziehe das persönliche Gespräch der WhatsApp-Gruppe vor.
Nutzen Sie die sozialen Medien?
Persönlich weniger, aber ich bekomme mit, was da passiert und wie wichtig das für die Jungs heutzutage ist. Ich setze Grenzen, in der Halle muss vor dem Training oder dem Spiel der Fokus komplett beim Sport sein. Aber danach dürfen die Spieler sich austoben.
Ist das Ihr Erfolgsrezept, dass Sie nach mehr als 1000 Spielen in Nordamerikas Topliga NHL wissen, wie Spieler ticken?
Ich habe den Vorteil, dass ich 15 Jahre lang in Nordamerika von den besten Trainern lernen konnte. Ich habe täglich miterleben dürfen, was es braucht, um Erfolg zu haben. Aber nicht jeder ehemalige Spieler ist auch ein guter Trainer. Ich musste mich auch erst zurechtfinden, musste erst einmal abtasten, was ich wollte. Der Weg, den ich jetzt gehe, ist genau der, der sich aktuell richtig anfühlt.
Normalerweise steigt man als Vereinscoach ein und wird im gesetzten Alter Bundestrainer. Warum machen Sie es andersherum?
Das war nicht meine Idee, denn ich wollte nie Trainer werden, aber mitt-lerweile finde ich sie sehr gut. Als Bundestrainer lerne ich viel mehr über die Strukturen unseres Sports in den Vereinen, als wenn ich nur für einen Verein tätig wäre. Der Kreis, in dem ich mich bewege, ist deutlich größer. Das bringt mich enorm weiter.
Bringt es Sie irgendwann auch zurück in die NHL? Dort Cheftrainer zu sein, das ist Ihr erklärtes Ziel.
Eines Tages würde ich das gern schaf-fen. Aber ich bin noch jung und mache meinen aktuellen Job sehr gern.
Als Silbermedaillengewinner muss es doch Angebote gegeben haben.
Kontakte, aber nichts Konkretes.
Welches Feedback war Ihnen persönlich am wichtigsten nach dem Olympiasilber?
Für mich zählt immer das am meisten, was die Spieler sagen, mit denen ich eng zusammenarbeite. Aber ich habe eine Menge Nachrichten erhalten, ganz viele Menschen aus meinem beruflichen und privaten Umfeld haben mir gratuliert. Dadurch habe ich erst mitbekommen, wie sehr unser Erfolg in Deutschland wahrgenommen wurde. Das hat mich sehr gefreut.
In Deutschland wird nach Erfolgen im Sport oft sofort ein Boom herbeigeredet. Braucht es nicht eher eine nachhaltige Entwicklung?
Von einem Boom kann man nur reden, wenn es die Möglichkeit gibt, dass die Erfolge von Dauer sind. Wir sind realistisch genug zu wissen, dass wir nicht in jedem Turnier um Medaillen spielen können. Deshalb sind wir auf dem Boden geblieben.
Was ist tatsächlich geblieben von dem
Hype, den Ihr Team ausgelöst hatte?
Wir haben es geschafft, Kinder vom Eishockey zu begeistern. In der Altersklasse U 10 haben wir 20 Prozent Mitgliederzuwachs in den Vereinen. Das war unser Ziel, damit am Ende mehr Talente übrig bleiben, aus denen wir auswählen können. Ansonsten bin ich ehrlich genug, zu sagen, dass wir in allen Bereichen deutlich mehr machen müssen, um dauerhaft in der Weltspitze mitspielen zu können. Gerade im Bereich der 18- bis 24-Jährigen haben wir Nachholbedarf.
Wie schafft es das Eishockey, dauerhaft seine Präsenz zu erhöhen?
Wir sind nach Fußball der zweitgrößte Teamsport in Deutschland, dennoch ha-ben wir viel Luft nach oben. Verband, Vereine, alle müssen daran arbeiten, das Potenzial besser auszuschöpfen. Olympia hat da sehr geholfen, der Stellenwert hat sich deutlich erhöht. Dass in der neuen Saison vier Deutsche mehr in der NHL spielen, ist eine schöne Auszeichnung. Aber wir müssen das nun bestätigen und ausbauen.
Das alte Oliver-Kahn-Motto „Weiter, immer weiter“ ist auch im Eishockey allgegenwärtig. Einen herausragenden Erfolg zu genießen ist unmöglich, da gleich das nächste Turnier wartet. Ist das etwas, was Sie bedauern?
Als junger Spieler habe ich nie zugehört, wenn die Älteren sagten, dass man Erfolge genießen müsse. Aber es stimmt, denn man weiß nie, ob so etwas noch einmal wiederkommt. Dass die Jungs zwei Tage nach Olympia bereits wieder in ihren Clubs trainieren mussten, war unglücklich, aber nicht anders möglich. Persönlich fände ich es besser, wenn wir im Olympiajahr keine WM hätten, denn man hat gespürt, dass bei vielen der Saft nicht mehr da war. Aber wir brauchen jedes Turnier, um wahrgenommen zu werden. Also müssen wir diesen Weg mitgehen.