Hamburg. Vier Teams befinden sich unter den Top 20. Das Fazit: Deutschlands Beachvolleyballerinnen sind Weltklasse.
Platz 246 der Weltrangliste der Beachvolleyballerinnen sind für Olympiasiegerinnen (2016) und Weltmeisterinnen (2017) natürlich nicht standesgemäß. Die Hamburgerinnen Laura Ludwig (32) und Kira Walkenhorst(27) können den Absturz von Rang eins allerdings leicht verschmerzen, haben sie doch im Jahr einer selbst verordneten Auszeit ganz andere Themen im Kopf. Ludwig hat ihr Wunschkind, Sohn Teo Johnston, am 28. Juni zur Welt gebracht, Kira Walkenhorst und Ehefrau Maria (34), Hamburgs Beachvolleyball-Landestrainerin, erwarten im Oktober Familienzuwachs. Es werden Drillinge. Das alles hat Vorrang vor anstrengendem Sammeln von Punkten auf sandigem Untergrund rund um den Globus.
Aber auch ohne Deutschlands Mannschaft der Jahre 2016 und 2017 lässt der Blick auf das Ranking des Weltverbandes, das wöchentlich aktualisiert wird, die Herzen der hiesigen Beachvolleyball-Fans höherschlagen. Vier Duos baggern unter den ersten 20: Chantal Laboureur/Julia Sude (6.), Victoria Bieneck/Isabel Schneider (10.), Karla Borger/Margareta Kozuch (15.) und Sandra Ittlinger/Kim Behrens (17.). Damit sind die deutschen Frauen aktuell die erfolgreichsten der Szene.
Position Woche für Woche bestätigen
Für gute Ergebnisse auf der World Tour sorgten in diesem Sommer die deutschen Meisterinnen Laboureur/Sude mit zweiten Plätzen in Warschau (Polen) und Gstaad (Schweiz). Eine Woche lang waren sie sogar Nummer eins der Welt. „Ich habe mir das Ranking ausgedruckt”, erzählt Medizinstudentin Laboureur (28). Wohl wissend, dass es eine Momentaufnahme ist, die Stolz macht, aber sonst wenig bringt, denn die Position muss Woche für Woche bestätigt werden. Wie schnell es in die andere Richtung gehen kann, erfuhren sie beim Major Anfang August in Wien.
Die damaligen Weltranglistendritten verloren ihr Gruppenspiel gegen die späteren Turniersiegerinnen und Weltranglistenersten Hermannova/Slukova (Tschechien) – und schieden in der Zwischenrunde aus. „Das versuchen wir, das nächste Mal zu vermeiden“, sagte Julia Sude (30) danach, die Tochter der Volleyball-Legende Burkhard Sude (60). „Das Risiko ist eben groß, in den K.-o.-Runden auf stärkere Gegner zu treffen, wenn man seine Gruppe nicht gewinnt.“ Nach Platz 17 in Wien fielen sie auf Rang acht der Weltrangliste zurück.
Auch bei den Europameisterschaften Mitte Juli in den Niederlanden gingen nicht alle Wünsche in Erfüllung. Die EM-Bronzegewinner von 2017 verpassten in Apeldoorn das Halbfinale und kommentierten Platz fünf mit dem Hinweis auf zuvor anstrengende Turnierwochen. „Bei Müdigkeit ist ja nicht nur der Körper betroffen, sondern auch der Kopf”, weiß Sude. Nicht nur für Laboureur/Sude waren die europäischen Titelkämpfe ein Rückschlag, alle deutschen Frauen blieben hinter den eigenen Erwartungen. Offenbar genoss die EM nicht den höchsten Stellenwert.
Bald beginnt Olympia-Qualifikation
Primäres Ziel sei es vielmehr, im World-Ranking gut platziert zu sein, um eine möglichst gute Ausgangsposition zu haben, wenn im September der Qualifikationsmarathon für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio beginnt. „Daher war die EM für uns kein Saisonhöhepunkt mit höchster Priorität”, sagt Niclas Hildebrand, der neue Sportdirektor Beach des Deutschen Volleyball-Verbandes. Der Hamburger ist seit Anfang Februar hauptamtlich beim Verband angestellt und darf die Dichte an Weltklasseteams als komfortable Situation genießen: „Am liebsten wäre es mir sogar, wir könnten vier oder fünf Teams bei den Turnieren der World Tour melden.”
Geht aber nicht, im Hauptfeld dürfen stets nur drei Duos eines Landes starten. Weitere Plätze können jedoch über die Qualifikation erspielt werden. Das machte das HSV-Duo Bieneck/Schneider Ende Februar beim ersten Major 2018 in Fort Lauderdale (USA) vor, als es sich aus der Qualifikation bis auf Platz vier durchschlug.
Ideale Voraussetzungen
Victoria Bieneck (27) und Isabel Schneider (27) sind nicht nur deshalb für Hildebrand die Aufsteiger des Jahres: „Niemand hat damit gerechnet, dass sie in diesem Jahr regelmäßig unter den Top Ten der Worldtour landen.” Der frühere Referatsleiter für Leistungssportentwicklung beim Hamburger Sportbund (HSB) und Vorstand der Stiftung Leistungssport macht deren sportliche Explosion an einem Punkt fest: „Sie haben sich aus ihren Wohlfühlzonen gelöst und arbeiten jetzt absolut professionell.” Seit Anfang 2017 gibt es am Hamburger Olympiastützpunkt ideale Voraussetzungen für die Nationalteams.
Dort arbeiten Chefbundestrainer Imornefe „Morph“ Bowes, Laura Ludwigs Lebensgefährte, und Bundestrainerin Helke Claasen rund um die Uhr für die Top-Duos und begleiten die Frauen auch auf der Tour. „Morph hat die Entwicklung der beiden maßgeblich gefördert, und dass ihre Entscheidung richtig war, nach Hamburg umzuziehen, zeigt sich jetzt und zahlt sich aus”, sagt Hildebrand. „Sie sind ein Positivbeispiel für die Zentralisierung unserer Nationalteams am Dulsbergbad.”
Für Hildebrand ist die Arbeit am und mit dem Olympiastützpunkt einer von drei Aspekten, mit denen er die Weltklasse deutscher Frauenteams erklärt. Wettkampfhärte dank größerer Professionalität und ein einzigartiges Taktik- und Scoutingprogramm sind weitere Erfolgsgaranten. „Spielerinnen wie Chantal und Julia oder Laura und Kira wissen, wie Wettkampf funktioniert und dass sie professionell leben müssen, um Erfolg zu haben, das zeichnet sie aus.” Unterstützt werden sie von Scoutingexperten wie Raimund Wenning (Stuttgart) und Ron Gödde (Münster), die alle Spiele und Gegner analysieren.
Gödde flog vergangene Woche von Wien nach Moskau zum nächsten Tourstopp, landete dort um drei Uhr in der Nacht – und drei Stunden später waren alle Informationen zu den neuesten Entwicklungen für die Teams abrufbar. Hildebrand sagt: „Wir sind mit diesem Programm weltweit Marktführer, viele wollen uns diese Technik abkaufen.” Auf das Know-how können Laboureur/Sude und Bieneck/Schneider auch in dieser Woche am Rothenbaum zurückgreifen.
Teams in System integriert
Laboureur/Sude wiederum haben sich gegen den Umzug nach Hamburg entschieden, „weil sie sich am Olympiastützpunkt Stuttgart mit eigenem Trainer ihr eigenes Umfeld geschaffen haben” (Hildebrand). Nur so sei es für sie möglich, in Tübingen auch noch zu studieren, Sude Zahnmedizin (wie ihr Vater), Laboureur Humanmedizin. Im Juli legte sie zwischen zwei Turnieren noch Prüfungen ab. „Ich ziehe den Hut vor dieser Einstellung”, sagt Hildebrand.
Oft sei von Insellösungen die Rede, wenn versucht wird, den Status der Nationalteams zu charakterisieren, die nicht in Hamburg trainieren. Hildebrand hält nicht viel von dieser Beschreibung: „Eine Insel ist autark. Unsere Teams sind in unser System integriert, erhalten Reisekostenzuschüsse und zum Beispiel auch Gelder für Physiotherapeuten und Psychologen.”
Zurück in Richtung Weltspitze
Um die Entwicklung im Frauenbereich macht sich Hildebrand bis 2020 keine Sorgen: „Wir werden in Tokio zwei Frauenteams am Start haben, wen auch immer.” Bei den Männern hängen die Deutschen der Weltspitze hinterher. Nach dem Olympiasieg von Julius Brink/Jonas Reckermann 2012 in London wurde die Entwicklung verschlafen. „Es sind Fehler gemacht worden, deren Auswirkungen wir jetzt spüren.” Clemens Wickler und Julius Thole, die derzeit besten Deutschen (siehe Artikel rechts), sind mit 23 und 21 Jahren etwa gleich alt wie die Norweger Mol/Sorum (21 und 22). Die sind die Nummer eins der Welt, die Deutschen 25. „Wir müssen jetzt für 2024 aufbauen”, sagt Hildebrand.
Nach Tokio rechnet er mit einem Cut bei den Frauen, dann sind Ludwig 34, Walkenhorst 29, Laboureur 30, Sude 34 Jahre alt. Auch Sude sorgt sich: „Wir brauchen mehr Nachwuchs, da sieht es ziemlich dünn aus.” Der Nachwuchs im Hause Ludwig und Walkenhorst ist in jedem Fall noch zu jung. Und ohnehin müssen erst mal die Mütter die Spur zurück Richtung Weltspitze finden, 2019 wollen sie wieder gemeinsam aufschlagen. Als sie sich in die Pause verabschiedeten, lagen sie in den Top 20 der Weltrangliste. „Und da werden sie sicher schnell wieder hinfinden“, glaubt Hildebrand. Genug Wettkampferfahrung und Selbstbewusstsein haben sie ja.