Leverkusen. Bei der Generalprobe zieht sich nicht nur Gündogan den Unmut des Publikum zu. Darüber ist Löw wiederum überhaupt nicht erfreut.
Joachim Löw schaute zornig zu den Zuschauern. Eigentlich war der Freitagabend für den Bundestrainer bis dahin angenehm verlaufen. Seine deutsche Nationalelf führte 2:0 im letzten Test vor der WM gegen Saudi-Arabien. Doch dann stand Löw in der 57. Minute an der Seitenlinie, um Ilkay Gündogan einzuwechseln. Als der in Gelsenkirchen geborene Sohn türkischer Eltern aufs Feld wollte, pfiff die überwiegende Mehrheit der 30.210 Zuschauer in der Leverkusener Arena. Löw drehte sich zum Publikum, zeigte, dass es besser klatschen sollte. Doch das half alles nichts. Gündogan lief in die Pfiffe hinein, und sie sollten ihn bei jeder Ballberührung verfolgen.
Die deutsche Nationalmannschaft in der Einzelkritik
Die deutsche Mannschaft trägt die Affäre Gündogan/Özil also hinein in die am Sonntag in einer Woche für sie mit dem Auftaktspiel gegen Mexiko beginnende WM. Das war eine Erkenntnis aus der Generalprobe vor dem Turnier in Russland, welche Löws Elf mit 2:1 (2:0) nach dem Treffer von Timo Werner (8. Minute), einem Eigentor von Osama Hawsawi (43.) und dem Anschlusstreffer durch Taiseer Al-Jassam (85.) am Ende mit Ach und Krach gewann. Dass es überhaupt zum Sieg reichte, war auch dem Unvermögen Mohammad Al-Sahlawis zu verdanken, der in der Schlussminute die Großchance zum Ausgleich vergab.
DFB-Kicker üben Selbstkritik
"Es gibt halt heutzutage keine kleinen Mannschaften mehr", sagte Marco Reus hinterher entschuldigend. "Wir sind in viele Konter gelaufen, die Lücken waren einfach zu groß. Aber wir sind eine Turniermannschaft und werden gut vorbereitet sein", sagte der diesmal verletzungsfrei gebliebene BVB-Profi in der ARD.
Selbstkritik übten auch Reus' Mannschaftskollegen. "Ich denke, dass wir gut reingekommen sind. Dann hatten wir aber zu viele Ballverluste. Vielleicht muss man auch einmal ein bisschen Tempo rausnehmen", sagte Torhüter Manuel Neuer, der in der Pause gegen Marc-André ter Stegen ausgetauscht wurde.
Sami Khedira freute sich immerhin auch ein wenig über den Sieg ("Je näher eine WM kommt, desto mehr zählen auch Ergebnisse"), sagte aber auch: "In der zweiten Halbzeit haben wir wieder so gut wie alles vermissen lassen. So wird es schwer. Aber wir haben sehr pflichtbewusste Spieler, die wissen, worauf es ankommt." Dieser Ansicht war auch Bundestrainer Joachim Löw. "Sorgen mache ich mir keine. Ich weiß, dass wir uns noch steigern", sagte er im "Ersten".
Chefkritiker Toni Kroos sagte derweil: "Man hat gesehen, dass wir wollen, aber noch nicht alles funktioniert. Wir haben gegen einen relativ schwachen Gegner zu viele Chancen zugelassen." Und so musste sich am Ende nicht nur Gündogan der Pfiffe erwehren.
Bierhoff fährt aus der Haut
Der Profi von Manchester City und Mesut Özil hatten sich Mitte Mai mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen, hatten Fotos gemacht und Trikots verschenkt. Das hatte zu einer Debatte über verfehlte Integration in Deutschland und einigen erwartbaren Verfehlungen aus der rechten Ecke geführt.
Bierhoff geht Bommes wegen Özil und Gündogan an
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hoffte, die Sache überwunden zu habe, nachdem sich zumindest Gündogan am Dienstag vor deutsche Medien erklärte. Ist sie offenbar nicht. Wie sehr das alles den DFB belastet, zeigte die heftige Reaktion von Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff: „Ihr beendet es doch nicht. Ihr bringt es doch jeden Tag wieder, weil ihr keine Themen habt“, ging Bierhoff vor der Partie einen ARD-Reporter an. Löw sagte nach dem Spiel: "Ich frage mich jetzt allmählich, was soll Ilkay noch tun?"
Boateng feiert sein Comeback
Erkenntnis Nummer zwei aus der Generalprobe: Löws Elf kann noch gewinnen. Das war fünf Spielen nicht gelungen. Erkenntnis Nummer drei lautete: Die zuletzt noch etwas Versehrten in der deutschen Mannschaft sind langsam wieder gesundet. Neuer hat seinen Mittelfußbruch so sehr überwunden, dass der Torwart schon wieder in alter Manier kurz vor der Mittellinie verteidigen konnte. Auch Jerome Boateng darf als genesen gelten. Der Bayern-Verteidiger gab eine Halbzeit lang sein Comeback nach einer schweren Muskelverletzung im Halbfinalhinspiel der Champions League gegen Real Madrid, hatte aber noch Probleme mit der Spielgeschwindigkeit.
Reus bereitet die Führung vor
Löws Aufstellung gegen den schwachen Weltranglisten 67. Saudi-Arabien sah dann schon verdächtig nach Startelf gegen Mexiko aus. Einzig Özil musste wegen Blessuren im Knie und Rücken passen. Für ihn gab Marco Reus eine zweite, hängende Sturmspitze. Vor der WM 2014 hatte er sich bekanntlich im letzten Test verletzt und das Turnier verpasst. Diesmal kann er mitfahren – und wird eine gute Form dabei haben. Das 1:0 von Werner bereitete der 29-Jährige vor (8.). Dabei ließ er einen langen Ball kinderwangenweich abtropfen, Werner drosch ihn dann schmucklos zu seinem acht Tor im 14 Länderspiel unter die Latte. Danach aber setzte bei der deutschen Mannschaft mit 16 Tagen Trainingslager in den Beinen eine gewisse Schlaffheit ein. Erst kurz vor der Pause wachte sie wieder auf. Zunächst verhinderte Schiedsrichter Slavko Vincic das 2:0 durch Thomas Müller (42.). Seine Abseitsentscheidung war falsch. Sekunden später hielt Müller sein Bein in einen Rückpass von Werner, dass der Ball von Hawsawis Hacke ins Netz sprang (43.).
Saudi-Arabien bekam am Ende einer ereignislosen zweiten Halbzeit noch einen Elfmeter, nachdem Sami Khedira gefoult haben soll. Der für Neuer eingewechselte Marc-André ter Stegen parierte, doch der Nachschuss saß zum 2:1 (85.). Aber das ging unter dem Eindruck der Pfiffe für Ilkay Gündogan unter.