Aue. Er spielte in Hamburg und denkt noch immer schwarz-weiß-blau. Jetzt freut sich Sören Bertram auf die Rückkehr in den Volkspark.
Erst überfielen die feierwütigen Relegations-Helden von Erzgebirge Aue ihren verdutzten und kurz darauf hopfengetränkten Trainer Hannes Drews, dann mischte sich sogar Edel-Fan und Biathlon-Star Erik Lesser unter das Party-Volk. Im Freudentaumel war bei den Sachsen am Ende einer dramatischen Woche die Erleichterung über den Klassenerhalt deutlich zu spüren. Die 2. Fußball-Bundesliga: Für das gesamte Erzgebirge eine Art Existenzgrundlage.
"Gut, dass ich keine Nierensteine habe. Die würde es gleich raushauen. Die letzte Woche war schon ein Abnutzungskampf", sagte Aues Präsident Helge Leonhardt nach dem 3:1 (1:1)-Sieg im Relegations-Rückspiel gegen den Drittligisten Karlsruher SC: "Nicht nur für die, die draußen gegen den Ball latschen."
Schon kurz nach Abpfiff schwappte eine Welle der Erleichterung durch das nagelneue Erzgebirgsstadion. Nach dem 0:0 im Hinspiel hatte es den Sieg zwingend gebraucht. Fans drängten wie entfesselt auf den Platz, umarmten die Spieler. Sie tanzten und sangen voller Freude - und trugen den Dreifachtorschützen Sören Bertram wie den Messias auf Händen. Für den Stürmer ist es fast schon eine märchenhafte Geschichte.
Bertram berichtet von HSV-Missgunst im Team
"Der hat das jetzt zurückgezahlt, nachdem ich den als Invaliden aus Halle geholt habe. Sören hat sich super entwickelt", sagte Leonhardt. 2016 war Bertram nach einem Kreuzbandriss vom Halleschen FC nach Aue gewechselt. Damals war er am Boden zerstört. Und nun hat er seine Mannschaft nicht nur im Alleingang gerettet, sondern auch sich selbst einen ganz persönlichen Wunsch erfüllt: Das Duell mit seinem Ex-Verein und Bundesliga-Absteiger Hamburger SV.
"Mein Herz schlägt schon schwarz-weiß-blau", sagte der 26-Jährige. Aue-Trainer Hannes Drews, selbst gebürtiger Neumünsteraner und von Holstein Kiel ins Erzgebirge gewechselt, hatte Bertram vor dem Hintergrund der Hamburger Vergangenheit besonders zur Höchstleistung gekitzelt. "Hannes hat mir auch nochmal gesagt: 'Für den HSV und das Spiel im Volkspark'. Es ist natürlich schön, dass das jetzt zustande kommt", berichtete Bertram, der gebürtig aus dem niedersächsischen Uelzen stammt. Er hatte in der Jugend für den HSV gespielt und 2010 gar in der Bundesliga debütiert. In Deutschlands höchster Spielklasse absolvierte er bislang jedoch nur zwei Partien.
Weit mehr sind es bereits für den FC Erzgebirge und im kommenden Jahr werden noch einige Zweitliga-Spiele dazukommen – zwei davon gegen den HSV. Laut Bertrams Mannschaftskollegen hätte das Duell gerne bereits früher stattfinden können. "Die Jungs wünschen dem HSV schon seit Jahren den Abstieg. Ich war immer der Einzige, der dagegen angekämpft hat", sagte Bertram.
Bierdeckelvertrag für Bertram?
Aues Ligaverbleib sichert derweil auch insgesamt die Zukunftsfähigkeit des kleinen Clubs. "Der FCE ist ein Leuchtturm in der Region. Er gibt den Menschen ein Selbstwertgefühl", sagte Leonhardt: "Damit hast du auch das ökonomische Potenzial, um weiterhin junge Leute zuzuführen und auszubilden."
Wie genau aber sieht die unmittelbare Zukunft der Auer aus? Durch den Klassenerhalt scheint das Torklau-Theater vom letzten Saisonspiel bei Darmstadt 98 (0:1), als Schiedsrichter-Fehlentscheidungen Aue erst in die Relegation gebracht hatten, eigentlich abgehakt. Doch Leonhardt wich auf Nachfrage im Hinblick auf eine Berufung vor dem Bundesgericht nach zuvor zwei abgelehnten Einsprüchen aus: "Kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich trinke jetzt erstmal mit den Spielern ein Bier."
Recht sicher ist, dass der Umbruch, den es im Fall eines Abstiegs gegeben hätte, wohl verhindert wird. Leistungsträger sollen gehalten werden. Leonhardt wolle "schnellstens ein paar Gespräche führen". Wie etwa mit Bertram, der noch ein Jahr Vertrag hat. Etwas keck fragte Biathlet Lesser Trainer Drews nach einer lebenslangen Vertragsverlängerung für Bertram. Der Coach lächelte verschmitzt: "Da reicht ja manchmal auch ein Bierdeckel, wo man was draufschreiben kann."