Pyeongchang. Immer bei Olympia hat der Strategiesport mit Stein und Besen fantastische Einschaltquoten – auch die Stimmung in der Halle ist prächtig

In der Halbzeit kommt der Mann mit der Handdusche, prüft mit strengem Blick jedes Ende der Eisbahn. Kurz dreht er das Wasser auf, bewegt die Dusche ruckartig und gekonnt aus dem Handgelenk, um die Tropfen gleichmäßig zu verteilen. Das macht die Oberfläche körnig – und ist eines der Geheimnisse des Curlings, die sich dem Laien nicht auf den ersten Blick erschließen. Gespielt wird nicht auf einer glatten Eisbahn, sondern auf einer, die übersät ist von angefrorenen Wassertropfen. Damit es ordentlich etwas zu wischen gibt. Damit der fast 20 Kilo schwere Stein gut rotieren kann.

Curling ist aus deutscher Sicht eine dieser zutiefst olympischen Sportarten: sonst kaum beachtet, aber alle vier Jahre mit großem Interesse verfolgt. Bis zu drei Millionen Zuschauer bescherten der ARD teilweise einen Marktanteil von mehr als 20 Prozent, wenn die Schrubb-Trupps übers Eis fegten. Am Bildschirm entsteht dabei ein ganz anderer Eindruck als in der Halle. „Zu Hause in Kanada kommen ständig Leute auf uns zu und sagen, dass sie das auch könnten. Wenn sie es probieren, merken sie, wie hart das ist“, sagt John Morris. Der wurde gerade Olympiasieger im Mixed Double, einer Disziplin, die in Pyeongchang neu in das olympische Programm aufgenommen wurde. Dadurch stehen die Curler nun zwei Wochen am Stück auf der olympischen Bühne. Kein anderer Sport hat so viele Wettkampftage in Südkorea.

Während im Fernsehen alles weitgehend entspannt wirkt, wenn ein Stein auf den nächsten geworfen wird, lässt sich in der Halle die Arbeit fühlen, die dahintersteckt. Nirgends auf dem Eis der Arenen in Gangneung geht es so laut zu wie bei den Curlern. Wer den Stein wirft, mal mit Kraft, mal mit Gefühl, brüllt seinen wischenden Kollegen voller Inbrunst Anweisungen hinterher. Diejenigen, die am Schrubber stehen, versuchen jedes Mal mit letztem Einsatz, die gefrorenen Tropfen durch die Reibung anzuschmelzen und den Stein so auf einem dünnen Film in die richtige Richtung zu ziehen.

Das Wischen mit dem Besen ist höllisch anstrengend

Das erfordert mehr Kraft, als viele denken. Davon ließ sich sogar Morris’ berühmter Landsmann Sidney Crosby überzeugen. Der Eishockeyprofi, einer der besten der Welt, verriet ihm einst: „Ich dachte, ich sei sehr athletisch, dann habe ich Curling probiert, und ein paar Tage später taten mir Muskeln weh, von denen ich dachte, dass ich sie gar nicht hätte.“ Mit ihrem ganzen Gewicht hängen sich die Curler über den Schrubber, schieben sich mit einem Bein vor und hoffen, den Stein möglichst mittig im Zielbereich zu platzieren oder Steine des Gegners zu entfernen. Sie schrubben mit Leidenschaft.

Lesen Sie auch:

Hamburg verlängert Pachtvertrag für Curling Club bis 2044
Vier Bahnen liegen in der olympischen Halle nebeneinander. Wenn alle bespielt werden, ist es nicht leicht, dem Trubel zu folgen. Überall schwirren die Steine über das Eis, alles ist in Bewegung, dazu das Geschrei. Auch von den Rängen. Die Halle ist voll, fast jeden Tag. Im Publikum werden Fahnen geschwungen, manche Besucher sind kostümiert. Alle Teams haben ihre Fans. Wenn die koreanischen Mannschaften ein End oder ein Spiel gewinnen, steigt der Lärmpegel auf Hexenkessel-Niveau. Vor allem die Frauen der Gastgeber putzen die Konkurrenz nur so weg. Bei den Männern haben die Schweden den besten Schwung in der Vorrunde, in der alle zehn Teams gegeneinander antreten.

Deutsche Mannschaften fehlen in Südkorea. Kaum Nachwuchs, wenige Bahnen und knappe finanzielle Ressourcen führten dazu, dass weder Männer noch Frauen sich qualifizieren konnten. Der deutsche Verband bevorzugte es, auf jeweils ein Team pro Geschlecht zu setzen und diese in die Spitze zu führen, statt sich breiter aufzustellen. Zwar sorgen die Olympiaübertragungen in Deutschland stetig für viel Interesse am Curling. Doch „dieses Interesse können wir leider gar nicht bedienen“, sagt Uli Kapp und verweist auf die problematische Infrastruktur. Kapp ist gerade erst zum Bundestrainer berufen worden und soll einen Neustart einleiten. Eines der deutschen Curlingzentren ist überraschenderweise Hamburg, in Stellingen steht die wohl beste Halle in Deutschland. Vor vier Jahren hatte sich ein Hamburger Team um Skip John Jahr für Olympia qualifiziert. Es erreichte aber nur den zehnten und letzten Platz.

Der olympische Start des Mixed Double in Pyeongchang indes erwies sich im Nachhinein als missglückt, er hat das Curling als letzten ehrlichen Wintersport entzaubert. Alexander Kruschelnizki, männlicher Teil der Bronzegewinner aus Russland, wurde positiv auf Doping getestet. Sollte er schuldig sein, „haben sie uns um unseren Moment des Ruhms beraubt, die Medaille im Stadion zu bekommen“, sagt Magnus Nedregotten, der mit Kristin Skaslien im Duell um die Medaille gegen die Russen unterlegen war.

Das Curling-Land schlechthin ist aber Kanada. „Als Curler oder Eishockeyspieler aus Kanada muss man einfach Gold mit nach Hause bringen“, sagt Morris. Obwohl ihr Treiben in der Heimat nicht immer richtig eingeschätzt wird, Ansehen genießen die kanadischen Curler schon. Dauerhaft sogar, nicht nur im Vier-Jahres-Rhythmus.