Hamburg. Warum Alsters Anne Schröder die interessanteste Persönlichkeit im Hamburger Damenhockey ist
Es gibt sie, diese Momente, in denen Anne Schröder denen, die ihr zuschauen, den Mund offen stehen lässt vor Staunen. Wenn sie auf engstem Raum vier Gegenspielerinnen ausdribbelt, als wären sie Fahnenstangen, und den Ball anschließend gezielt im Toreck versenkt, während man sich noch fragt, wie zum Teufel sie überhaupt in diese Position gekommen ist – dann wird deutlich, warum die 23-Jährige vom Club an der Alster als technisch versierteste deutsche Hockeyspielerin gehandelt wird.
Es gibt aber auch Momente, in denen man sich als Zuschauer abwenden möchte, weil das Fremdschämen zu sehr schmerzt. Wenn sie sich auf dem Spielfeld in Rage redet, weil ein falscher Schiedsrichterpfiff oder ein schlechtes Zuspiel ihr die Laune verhageln, bis sie schließlich gegen jeden und alles pöbelt – dann wird deutlich, warum sogar die Mittelfeldspielerin von sich sagt, dass sie sich mit ihrer Art manchmal selbst im Weg steht.
Diese Extreme vereint in einem Menschen machen Anne Schröder zur interessantesten Persönlichkeit, die im Hamburger Damenhockey aktuell zu bestaunen ist. Und natürlich ist das Viertelfinale um die deutsche Hallenmeisterschaft, zu dem Alster an diesem Sonnabend (14 Uhr, Hallerstraße) Schröders Heimatverein Rüsselsheimer RK empfängt, für den sie 13 Jahre lang spielte, ein guter Anlass, um über Außenwirkung und Selbstwahrnehmung zu reden.
Anne Schröder sitzt in einem Café an der Alster. Eine Erkältung macht ihr zu schaffen, sie trinkt frischen Minztee, um gesund zu werden, denn das ist wichtig. Auch wenn Alster die beste Mannschaft seit Jahren besitzt, souverän Nordmeister wurde und als Topfavorit auf den Titel gilt (es wäre der erste seit 2009), kann Cheftrainer Jens George auf seine Spektakelspielerin kaum verzichten. „Anne ist technisch unfassbar versiert und hat sich über die vergangenen Jahre zur Führungsspielerin entwickelt“, sagt der Coach.
Dass er mit ihrem zweiten Ich nicht immer glücklich ist, verschweigt George nicht. „Außerhalb des Hockeys hatte ich mit ihr noch nie Probleme, auf dem Platz kann sie ein anderer Mensch sein“, sagt er und führt dies auf den unstillbaren Ehrgeiz zurück, der die Ausnahmekönnerin antreibe. „Sie ist unheimlich zielstrebig, was eine positive Eigenschaft ist. Aber dadurch wird sie schnell unzufrieden mit sich und vergreift sich auch mal im Ton, was kontraproduktiv sein kann“, sagt er.
Als Psychologiestudentin weiß Anne Schröder, deren Freund Alessio Ress am Sonnabend (16.15 Uhr) mit Alsters Herren gegen den Mannheimer HC ebenfalls um die Teilnahme am Final-Four-Turnier in Stuttgart (3./4. Februar) kämpft, die Ausprägungen des menschlichen Charakters einzuordnen. Schon früh in ihrer Karriere hat sie die Vorwürfe hören müssen, zu impulsiv zu sein und damit nicht nur sich selbst, sondern auch dem Team zu schaden. Deutlich häufiger jedoch hat sie mittlerweile erfahren, dass Zielstrebigkeit und Ehrgeiz, die in dieser Form im Frauensport nur selten zu beobachten sind, sie ans Ziel gebracht haben. Dass ihre Bewegungen am Stock so leicht aussehen, ist das Ergebnis akribischen Trainings in unzähligen Technikeinheiten mit ihrem Entdecker Berti Rauth, die sie stets aus eigenem Antrieb absolvierte. Deshalb sagt sie: „Ich weiß, dass ich weiter daran arbeiten muss, meine Energie positiv zu kanalisieren. Aber ich will gar nicht so viel an meinem Auftreten verändern, weil mir und dem Team meine Eigenschaften viel öfter helfen, als dass sie schaden.“
Um ihre Außenwirkung mache sie sich seltener als früher Gedanken, „weil ich durch das, was ich erreicht habe, selbstsicherer geworden bin“. Überhaupt sei das Vorurteil, sie sei ein Mensch mit zwei Gesichtern, nicht zutreffend. „Ich bin auch privat sehr emotional, kann krass fröhlich sein, aber genauso gut auch jemanden heftig anmachen“, sagt sie. Das richtige Maß zu finden fällt ihr noch immer nicht leicht, „aber ich weiß jetzt, wann es sich gut anfühlt und wann nicht. Wir haben im Team einen Weg gefunden, dass die Mitspielerinnen mir offen sagen, was geht und was nicht. So kommen wir alle besser damit klar.“
Tatsächlich hat Anne Schröder in den vergangenen zwei Jahren deutliche Fortschritte gemacht im Bemühen, auf dem Hockeyplatz den Fokus nicht zu verlieren. Geholfen hat ihr dabei auch die Maßnahme des ehemaligen Bundestrainers Jamilon Mülders, sie in den Kreis der Spielführerinnen aufzunehmen. „Auch wenn ich die Binde nicht brauche, um für das Team mitzudenken, war es für mich schön, solches Vertrauen zu spüren“, sagt sie. Der Schritt von der freigeistigen Kreativspielerin zur strukturgebenden Führungskraft sei ein großer, „ich bin noch auf dem Weg dorthin“, sagt sie. Aber die Momente, in denen man über ihre Kunst staunt, überwiegen längst diejenigen, in denen man sich über ihre Ausfälle wundert. Insofern ist der Weg, den Anne Schröder geht, der richtige.
Die Nordzweiten spielen im Viertelfinale am Sonnabend auswärts. Die Damen des HTHC um 14 Uhr beim Mannheimer HC, die UHC-Herren um 17 Uhr beim TSV Mannheim.