Mailand/Hamburg. Schweden jetzt potentieller DFB-Gegner. Medien schelten Squadra Azzurra. Ibrahimovic-Gerüchte, Nitro-Rekord. Schweden-Coach empört.
Es ist tatsächlich passiert: Nach Holland fahren "wir" auch ohne Italien zur WM. Der "Squadra Azzurra" gelang es am Montagabend nicht, in den Play-offs gegen Schweden die Hinspiel-Niederlage (0:1) wettzumachen. Das 0:0 im Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadion war zu wenig – und so findet erstmals seit 1958 wieder eine Fußball-Weltmeisterschaft ohne den viermaligen Weltmeister statt.
Italiens WM-Aus in Bildern:
Freud und Leid: Italiens Tränen, Schwedens Fäuste
Abendblatt.de hält Sie über die WM-Qualifikation für Russland und das italienische Aus auf dem Laufenden.
Rufe nach Ancelotti als Nationaltrainer werden lauter
Nach dem blamablen Aus der italienischen Nationalmannschaft werden die Rufe nach Carlo Ancelotti immer lauter. Der ehemalige Trainer von Bayern München soll nach Ansicht des ehemaligen Vize-Verbandspräsidenten Demetrio Albertini und des Ex-Coaches Arrigo Sacchi die Nachfolge von Nationaltrainer Gian Piero Ventura antreten. Die Entscheidung über Venturas Zukunft fällt am Mittwoch.
Ancelotti sei der ideale Kandidat für den Posten, sagte Albertini am Dienstag. "Die Wahl eines Nationalcoachs ist immer schwierig, weil immer jemand unzufrieden ist. Doch der Name Ancelotti könnte auf viel Zustimmung stoßen", sagte Albertini.
Auch Sacchi sprach sich für den Ende September bei Bayern München entlassenen Trainer aus. "Ancelotti ist ein großartiger Coach. Wollen wir ihm helfen, die Nationalelf zu übernehmen, müssen wir diese Niederlage genau prüfen. Sie kommt nach zwei für Italien verheerenden Weltmeisterschaften", sagte Sacchi, der die Squadra Azzurra von 1991 bis 1996 trainiert hatte.
Maradona spricht von "traurigem Tag"
Die argentinische Fußball-Legende Diego Armando Maradona sprach derweil von einem "traurigen Tag" für Italien und den gesamten Fußball. "Es tut mir leid, dass Italien nicht an der WM in Russland teilnimmt. Die Italiener geben der Weltmeisterschaft immer Farbe", sagte der Ex-Star von Tabellenführer SSC Neapel.
Die Pleite der Azzurri beschäftigte am Dienstag sogar die Politik in Rom. "Es gibt zu viele ausländische Spieler in den Clubs, von den Jugendvereinen bis zur Serie A. Das ist das Resultat", sagte der Chef der Oppositionspartei Lega Nord, Matteo Salvini.
Trotz Italien-Aus muss DFB bangen
Unabhängig von Italiens WM-Aus könnte Titelverteidiger Deutschland bei der WM-Endrunde schon in der Vorrunden-Gruppe einen Top-Gegner erwischen. Während Deutschland zu den acht gesetzten Teams gehört, finden sich in Topf 2 unter anderem Ex-Weltmeister Spanien und England wieder. Dort wäre auch Italien bei einem Erfolg gegen Schweden gelandet. Die unangenehm zu spielenden Skandinavier sind nun in Topf drei und damit ein zusätzlicher starker potentieller deutscher Gegner.
Die 32 Teams werden bei der Auslosung am 1. Dezember (16.00 Uhr MEZ) in Moskau gemäß ihren Weltranglistenplatzierungen vom Oktober den vier Töpfen zugeteilt. So ist im Topf zwei nur noch eine Mannschaft offen. Peru wäre bei einem Erfolg im Playoff-Rückspiel gegen Neuseeland dabei, ansonsten würden Dänemark (Playoffs gegen Irland) oder Island nachrücken. Serbien würde dann aus Topf 4 in Topf 3 aufsteigen.
In der WM-Vorrunde können nur maximal zwei Teams aus Europa in einer Gruppe aufeinandertreffen. Aus den anderen Konföderationen können die jeweiligen Teams nicht in eine Gruppe gelost werden. Eine mögliche Gruppenkonstellation wäre für Deutschland beispielsweise Spanien, Senegal und Japan. Eine leichtere Konstellation mit Peru, Iran und Panama ist auch möglich.
Löw: Es spielt keine Rolle
Joachim Löw sieht durch das WM-Aus für Italien keine größeren Auswirkungen auf die eigene Weltmeisterschafts-Aufgabe im kommenden Sommer in Russland. "Italien ist schon ein großer Name, steht bei einem Turnier für gewisse Qualität“, hatte der Bundestrainer bereits vor der verpassten WM-Teilnahme der Squadra Azzurra am Montag erklärt.
Mit dem Sieg im EM-Viertelfinale 2016 habe sein Team überwunden, dass die Italiener bei einer EM- oder WM-Endrunde von Deutschland zuvor nicht zu schlagen waren. "Daher spielt es nicht die große Rolle“, meinte Löw. Für die Italiener selbst sei es ein "Desaster“.
Die Schweden hätten das WM-Ticket auch verdient, bemerkte Löw: „Sie haben eine sehr gute Mannschaft, auch gute Individualisten. Da muss man auch gratulieren.“
Kroos ist Italiens WM-Aus "egal"
„Mir ist es egal, eine starke Nation mehr oder weniger – da kommt es nicht drauf an. Es wird schon ein hochkarätiges Turnier“, hatte Nationalspieler Toni Kroos bei der Pressekonferenz des DFB am Montag schon vor dem Fußball-Drama in Mailand erklärt. Frankreich, Spanien, Brasilien, Argentinien und England ordnete der Real-Madrid-Star als ärgste Kontrahenten des DFB-Teams um den WM-Titel 2018 ein.
Harte italienische Pressestimmen
Die italienische Presse ist mit ihrer Nationalmannschaft nach der verpassten WM-Qualifikation wie erwartet hart ins Gericht gegangen. Von einer "unerträglichen Fußball-Schande" und einem "unauslöschlichen Fleck" schrieb der Corriere dello Sport, für die Gazzetta dello Sport stand fest: "Italien, das ist die Apokalypse."
"Apokalypse, Tragödie, Katastrophe: Es ist vorbei. Unser Fußball ist in einer tiefen Krise", schrieb der Corriere dello Sport weiter. La Repubblica titelte schlicht: "Tschüss, Russland!", La Stampa bezeichnete den WM-Knockout als "Desaster" – und weiter: "Das azurblaue Desaster ist Wirklichkeit. So viel Enttäuschung und so viel Ärger. Der Heilige Syrus hat kein Wunder gebracht, dabei war die Nationalmannschaft nicht mal weit entfernt davon (...). Die Aufregung ist vorbei, jetzt ist es besser, die Dinge beim Namen zu nennen. Nach Russland fährt Schweden und das verdient. Der Rest zählt nicht. (...)
Es ist die Zeit gekommen - ohne sich in Panik versetzen zu lassen -, zu verstehen, von wo aus man neu anfangen will und vor allem mit wem. Die erste Unternehmung muss sein: Gian Piero Ventura verabschieden, ihm für sein Engagement danken, aber schnellstmöglich vergessen, wie er [die Mannschaft] geführt hat. (...)
Die Nacht von San Siro ist schwarz wie Kohle. Es wird viel Zeit vergehen, bis der nächste Morgen graut.“
Auch schwedische und holländische Medien kommentierten Italiens WM-Aus:
Internationale Pressestimmen zu Italiens WM-Aus
Ibrahimovic-Berater nährt Spekulationen
Unmittelbar nach Schwedens erfolgreicher WM-Qualifikation sind Spekulationen um ein Nationalmannschafts-Comeback von Superstar Zlatan Ibrahimovic aufgekommen. "Wenn es nach mir geht, würde ich ihn persönlich dort abliefern", zitiert die schwedische Zeitung Expressen Ibrahimovics Berater Mino Raiola aus einer SMS.
Lars Richt, Sportdirektor im schwedischen Verband, wollte eine Rückkehr des Stürmers con Manchester United für die Endrunde im Sommer in Russland zumindest nicht komplett ausschließen. "Es ist klar, dass ich darüber nichts sagen kann. Heute feiern wir und reden nicht über das nächste Jahr", sagte Richt nach dem Triumph von Mailand.
Auch Ibrahimovic selbst gab dem Gerücht Nahrung. Nachdem sich Schweden das WM-Ticket gesichert hatte, postete er auf Twitter ein Bild der Sieger mit dem Text: "Wir sind Schweden" - wobei er "Schweden" mit Z wie "Zlatan" schrieb.
Für dieses Wortspiel musste der 36-Jährige, der seine Karriere im Nationaltrikot nach der EURO 2016 in Frankreich beendet hatte, im Internet viel Kritik einstecken. "Wie peinlich ist dieser Tweet von Ibrahimovic. Er hat nichts zu Schwedens Erfolg beigetragen, und jetzt stiehlt er ihnen einen gutes Stück des Ruhms mit einem schlimmen Versuch, Aufmerksamkeit zu erhaschen", twitterte zum Beispiel Fußball-Journalist Ben Wills.
Entscheidung über Ventura am Mittwoch
Nach der verpassten WM-Qualifikation hat der italienische Fußballverband (FIGC) für Mittwoch Konsequenzen für die Zukunft angekündigt. Italienische Medien gehen davon aus, dass National-Coach Gian Piero Ventura nicht zu halten ist.
"Wir sind zutiefst betrübt und enttäuscht wegen der verpassten Weltmeisterschafts-Qualifikation, das ist ein sportlicher Misserfolg, der eine gemeinsame Lösung braucht“, sagte FIGC-Präsident Carlo Tavecchio der Nachrichtenagentur Ansa am Dienstag. "Und deshalb habe ich für morgen eine Versammlung des Verbands einberufen, um eine gründliche Analyse vorzunehmen und über die Entscheidungen für die Zukunft zu treffen."
Nitro knackt den eigenen Rekord
Mit der Übertragung Italien gegen Schweden hat Nitro den eigenen Rekord geknackt: In der Spitze bis zu 3,18 Millionen Zuschauer sahen nach Senderangaben das Spiel. Durchschnittlich seien es 2,03 Millionen Zuschauer ab drei Jahren gewesen (6,8 Prozent Marktanteil). Den bisherigen Bestwert hatte der Spartensender im Rahmen der EM-Quali im Oktober 2015 mit der Konferenz-Schalte Niederlande gegen Tschechien und Türkei gegen Island aufgestellt (durchschnittlich 2,57 Millionen Zuschauer).
Die zweite Hälfte zwischen Italien und Schweden schalteten im Schnitt nun sogar 2,33 Millionen Zuschauer ein. Wie das Fachportal quotenmeter.de schreibt, wurde der Senderschnitt damit sowohl im Gesamtmarkt als auch bei den klassisch Umworbenen mehr als vervierfacht. Beim Publikum ab drei Jahren kamen 8,6 Prozent zu Stande, bei den Jungen wurden acht Prozent gemessen. Die Übertragung sei somit eine der erfolgreichsten in der Historie des Senders, der inzwischen nur noch Nitro heißt, aber Mitglied der RTL Group bleibt.
Mit dem Spiel Italien gegen Schweden endete das umfangreiche Rechtepaket, das die Mediengruppe RTL Deutschland für Nitro von der Uefa erworben hatte. Darin enthalten waren insgesamt 22 Live-Spiele der Qualifikations-Zyklen zur EM-Endrunde 2016 in Frankreich und zum WM-Turnier 2018 in Russland.
Coach Ventura will (noch) bleiben
Italiens Nationaltrainer Gian Piero Ventura denkt (noch) nicht an einen Rücktritt. "Ich habe noch nicht mit dem Verbandspräsidenten Carlo Tavecchio gesprochen. Es kommt nicht auf mich an, ich bin nicht die Person, die diese Entscheidung zu treffen hat", sagte der 69-Jährige nach dem 0:0 gegen Schweden.
Zum nahezu historischen Ausscheiden sagte er: "Das ist schwer zu verkraften, denn ich war absolut davon überzeugt, dass wir diese Hürde überwinden werden", sagte Ventura. Immerhin: Unter anderem RTL-Nitro-Experte Steffen Freund hatte Ventura auch nach dem Ausscheiden noch einen "exzellenten Matchplan" für das Rückspiel attestiert.
Tavecchio und die Spitze des Verbandes FIGC wollen sich nach dem Debakel 48 Stunden Bedenkzeit nehmen. Venturas Vertrag war erst im August verlängert werden, er sollte die Mannschaft eigentlich bis zur Europameisterschaft 2020 betreuen. Als Nachfolger wird unter anderem Ex-Bayern-Coach Carlo Ancelotti gehandelt.
Buffon: Dieses Ende ist schlimm
Während der Coach vorerst also keinen Schlussstrich ziehen will, beendeten einige Weltmeister von 2006 ihre internationale Karriere. Allen voran Star-Torhüter und Rekordnationalspieler Gianluigi Buffon, aber auch Andrea Barzagli, Giorgio Chiellini und Daniele De Rossi werden nicht mehr für Italien auflaufen. "Die Ära einiger Veteranen geht zu Ende, die von hungrigen, jungen Spielern beginnt. So sollte das auch sein", sagte Ventura.
Buffon selbst sagte im italienischen Fernsehen, es sei schlimm, dass seine Karriere so ende. Laut Nachrichtenagentur Ansa hatte der 39-Jährige bestätigt, dass das Spiel gegen Schweden seine letzte Partie im Trikot der Squadra Azzurra gewesen sei.
Ekdal mitten im Jubelrudel
Während Italien Trauer trägt, versinkt Schwedens Fußballwelt im Freudentaumel. Davon zeugte auch bereits unmittelbar nach dem Abpfiff ein zerstörter Moderationstisch des schwedischen Fernsehteams auf dem Rasen des Giuseppe-Meazza-Stadions, das die Spieler der Tre Kronors während eines Interviews ihres Trainers Janne Andersson gestürmt hatten.
Mitten im Jubelrudel befand sich auch Albin Ekdal. Der HSV-Akteur konnte beim Rückspiel wegen Rücken- und Oberschenkelproblemen nicht mitwirken, fieberte dafür umso mehr mit Und twitterte sich die Freude vom Herzen: "Liebe" schrieb er zu einem Bild der schwedischen Mannschaft. Und auch Ekdals Arbeitgeber gratulierte via Twitter.
"Natürlich wäre es der Wahnsinn für Albin, wenn sich Schweden statt Italien für die WM qualifiziert“, hatte HSV-Sportdirektor Jens Todt zuvor noch gesagt. Dieser Wahnsinn ist nun Realtität.
Schweden-Coach dreist unterbrochen
Zwischendurch gar nicht erfreut war Schwedens Nationaltrainer Janne Anderson nach dem Spiel – und das lag nicht an dem Interview-Crash seiner Spieler (s.o.), sondern vielmehr an dem Verhalten einzelner Medienvertreter während der Pressekonferenz. "Entschuldigen Sie, ich rede hier gerade", entfuhr es dem 55-Jährigen auf dem Podium, als er sich während seiner Spiel-Analyse durch tuschelnde Journalisten gestört fühlte.
Ballack frohlockt schon
Während Sergej Barbarez`Tweet rund ums Italien-Spiel gegen Schweden eher Rätsel aufgibt ("Müssen wir es jemals singen?"), war Michael Ballacks Fragestellung nach Abpfiff des Spiels eindeutiger. "Werden wir jetzt Weltmeister?", twitterte der deutsche Vize-Weltmeister von 2002 neben einer schwarz-rot-goldenen Flagge.
Der Kapitän der 2006er Mannschaft hat eine besonders unschöne Erinnerung an Italien: Bei der WM im eigenen Land scheiterte Ballack im Halbfinale mit 0:2 nach Verlängerung am späteren Champion – und stand anschließend Tränen überströmt auf dem Rasen des Dortmunder Stadions.