Schwerin. Jürgen Brähmer wechselt für den Gewinn der Muhammad-Ali-Trophy die Gewichtsklasse – und plant sein Karriereende.

Dieser Glanz in seinen Augen! Keine Frage, Jürgen Brähmerist in seinem Element, als er den Abendblatt-Reporter durch seine Zukunft führt. Ein ehemaliges Wasserwerk am Medeweger See im Schweriner Stadtteil Lankow baut der 39 Jahre alte Profiboxer zu einem hochmodernen Trainingsgym um, in dem er nach der aktiven Karriere andere zu dem Ruhm führen will, der ihn selbst aktuell lockt. An diesem Freitag (23 Uhr/Sky und ranfighting.de) will der frühere Halbschwergewichts-Weltmeister im eine Klasse tieferen Supermittelgewicht ins Halbfinale der World Boxing Super Series einziehen. Gegner in Schwerin ist Rob Brant (USA) – unbekannt, aber auch unbesiegt in 22 Kämpfen.

Hamburger Abendblatt: Herr Brähmer, Rob Brant hat niemals außerhalb der USA gekämpft und in seinem Rekord keinen einzigen namhaften Gegner stehen. Ist der Mann für Sie ein Freilos ins Halbfinale?

Jürgen Brähmer: Mit Sicherheit nicht, und selbstverständlich werde ich ihn nicht unterschätzen. Wie gefährlich er ist, das zeigt doch der Fakt, dass die anderen drei Gesetzten, die sich ihren Gegner fürs Viertelfinale wählen durften, ihn nicht gewählt haben.

Sie als letzter Gesetzter mussten nehmen, was übrig war. Hätten Sie Brant gewählt, wenn Sie früher an der Reihe gewesen wären?

Brähmer: Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Ich kenne es aus Amateurzeiten, dass man seine Gegner nimmt, wie sie kommen. Bis heute schaue ich kaum Videos vor meinen Kämpfen, von Brant habe ich maximal ein paar Runden gesehen. Ich verlasse mich auf meinen Instinkt und mein Auge. Boxerisch, davon bin ich überzeugt, kann ich es mit allen aufnehmen. Bei mir ging und geht es immer um die körperliche Verfassung.

Die war nicht immer optimal, Sie haben mehrfach krank oder verletzt geboxt und das auch mit Niederlagen bezahlt. Nun müssen Sie drei Kilogramm mehr abnehmen, als Sie es seit Ihrem Wechsel vom Supermittel- ins Halbschwergewicht 2008 gewohnt waren. Ist das in Ihrem fortgeschrittenen Alter ohne Risiko zu schaffen?

Brähmer: Absolut. Es ist mir gar nicht schwer gefallen, ich fühle mich sogar wohler. Ich habe gemerkt, dass das Supermittelgewicht für mich die beste Gewichtsklasse ist. Ich hatte aber im Halbschwer schneller die Chance, einen WM-Kampf zu bekommen, deshalb bin ich damals aufgestiegen. Und natürlich ist es bequem, drei Kilo weniger abnehmen zu müssen. Trotzdem fühle ich mich jetzt besser. Man glaubt ja gar nicht, was bewusste Ernährung ausmacht...

Sie als Trainer, der Sie seit einiger Zeit für Ihren Sauerland-Stall am Standort Schwerin sind, sollten das wissen.

Brähmer: Natürlich weiß ich das. Aber mein Credo ist, dass ich auf allen Feldern, auf denen ich kein Experte bin, entsprechende Fachleute zu Rate ziehe. Und dazu gehört auch die Ernährungswissenschaft. Unser Sport ist so komplex geworden, dass eine optimale Betreuung nur noch im Team zu gewährleisten ist. Ein Cheftrainer, der alles macht, das ist Schnee von gestern.

Tatsächlich haben Sie kürzlich angesichts der Tatsache, dass Ihr Coach Michael Timm den Kampf gegen Brant wegen der Hochzeit seiner Tochter verpasst, mit einer interessanten Aussage für Aufsehen gesorgt. Sie bräuchten keinen, der Sie in der Ecke vollquatscht. Was würden Sie denn Ihren Schützlingen Tyron Zeuge, Araik Marutjan und Denis Radovan sagen, wenn die so über Sie sprächen?

Brähmer: Das gäbe natürlich mächtig Ärger (lacht). Die Aussage war darauf gemünzt, dass ich mich in einer Phase meiner Karriere befinde, in der ich während eines Kampfes keine Anleitung mehr benötige. Natürlich ist ein Trainer wichtig, zur Motivation und zur Absprache der taktischen Marschroute. Aber die wichtigste Arbeit wird in der Vorbereitung gemacht und nicht während des Kampfes in der Ecke. Timmi und ich arbeiten so lange zusammen, er weiß, dass er mich allein lassen kann. Seine Tochter heiratet hoffentlich nur einmal, da wollte ich ihm diese Reise nicht kaputtmachen.

Wie käme der Trainer Jürgen Brähmer mit einem Sportler vom Schlage Jürgen Brähmers zurecht?

Brähmer: Ich denke, das würde gut passen. Das Wichtigste, was ich als Trainer umzusetzen versuche, ist, jeden Sportler als Individuum zu behandeln und nicht alle über denselben Kamm zu scheren. Jeder Sportler hat auf seine Art eine Meise, aber mit einigen ist es anstrengender als mit anderen. Die größte Herausforderung ist es, jeden Sportler dahin zu bekommen, dass er seine Defizite erkennt und akzeptiert, dass wir Maßnahmen ergreifen, um diese Defizite auszumerzen.

Haben Sie sich schon dabei ertappt, dass Sie als Trainer etwas gesagt oder getan haben, was Sie als Sportler an Ihrem Trainer gehasst haben?

Brähmer: Bislang noch nicht, aber das liegt auch daran, dass wir heute anders trainieren als früher. Ich mache nur das, was ich wirklich kann, alles andere überlasse ich anderen Fachleuten. Und ich versuche extrem zu vermeiden, dass meine Sportler übertrainiert sind. Das ist die wichtigste Erfahrung, die ich aus meiner Karriere gezogen habe.

Manchmal klingen Sie schon wie einer, der auf seine aktive Karriere zurückschaut. Dabei sind Sie noch mittendrin und haben nun die Chance, Ihre Laufbahn mit dem Gewinn der Muhammad-Ali-Trophy zu krönen. Ist das Turnier das Schaufenster, wonach Sie immer gesucht haben?

Brähmer: Nein. Ich hätte lieber den Rückkampf gegen Nathan Cleverly gemacht, gegen den ich vor einem Jahr wegen eines Muskelfaserrisses und eines Bandscheibenvorfalls aufgeben musste. Leider wollte er partout nicht. Das wurmt mich total, aber das Turnier ist natürlich ein toller Ersatz. Ich habe mich über die Anfrage sehr gefreut. Und die Chance, so ein Event nach Schwerin zu holen, ist einmalig. So etwas haben wir in Mecklenburg-Vorpommern ja nicht allzu oft.

Sie hätten auch in Las Vegas boxen können. Wollten Sie nicht in die USA?

Brähmer: Das war ein Thema, ich hätte es auch sofort gemacht. Aber dass Schwerin sich gegen Las Vegas durchgesetzt hat, das klingt einfach zu gut!

Es gibt einige, die bezweifeln, dass Sie den Turniermodus mit drei harten Kämpfen innerhalb eines Jahres körperlich durchstehen.

Brähmer: Ja, ich kenne diese Zweifler. Ich glaube, dass mir der Rhythmus sogar entgegenkommt, denn die Zeit, die mir im aktiven Boxen bleibt, ist begrenzt. Ich bin froh, wenn es Schlag auf Schlag geht. Und ich starte beim Turnier, weil ich es gewinnen will.

Und dann würden Sie abtreten?

Brähmer: Nein, dann würde ich gern Carl Froch aus der Rente holen und gegen ihn antreten. Das wäre für mich der Traumkampf, um anschließend abzutreten.

Können Sie Box-Deutschland Ihren Rücktritt überhaupt antun? Immerhin fehlen aktuell die möglichen Nachfolger, die große Kämpfe im Fernsehen garantieren. Spüren Sie diese Verantwortung für Ihren Sport?

Brähmer: Ich fühle mich schon verpflichtet, dem Sport, der mir sehr viel Lebensqualität ermöglicht hat, zu helfen. Aber das kann ich als Trainer genauso. Wir haben so viel Potenzial in Deutschland, aber weil in der Förderung falsche Akzente gesetzt werden, bleibt vieles auf der Strecke. Hier sind die Verbände und die Politik gefragt, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Die da wären?

Brähmer: Sportler in Deutschland, und damit meine ich nicht nur Boxer, müssen viel intensiver gefördert werden. Wenn ich sehe, für was alles Geld da ist, ärgere ich mich schwarz, wenn im Sport ständig gestrichen wird. Die Sportler müssen Anerkennung spüren, und dasselbe gilt auch für die Trainer. Auch da wird viel zu wenig investiert.

Sie investieren Ihr privates Geld, um Ihr eigenes Trainingsgym zu bauen. Warum wollen Sie sich in Zeiten sinkender Fördermittel von Sauerland lösen und Ihr eigenes Ding machen?

Brähmer: Will ich nicht zwingend. Aber ich vermisse auch von Sauerland die nötige Unterstützung und das Verständnis dafür, dass die Doppelbelastung, selbst noch zu boxen und gleichzeitig Trainer zu sein, immens fordernd ist. Neulich hatten wir ein englisches Team in Schwerin, die waren begeistert davon, wie wir hier arbeiten. Da habe ich gespürt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich kann mich vor Anfragen kaum retten. Und wenn Sauerland meine Arbeit nicht wertschätzt, ist das zu akzeptieren.